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“Entweder du bist frei, oder du bist es nicht!“

Eine Frage durchgeistert viele Köpfe mehr denn je. Was braucht es, um den Menschen, das Individuum, den Staatsbürger, sich als frei fühlen zu lassen? Und was ist es, dass er oder sie sich tatsächlich auch frei fühlt? Die Regierungen in den westlichen Ländern verweisen auf ihre Verfassungen. In anderen Ländern wird Freiheit nicht als Verfassungsrecht, sondern als Naturgesetz verstanden. Dritte wiederum halten die Frage für irrelevant, solange eine wie auch immer geartete Führung es fertig brächte, das Gemeinwesen zum Prosperieren zu bringen. Und wiederum andere pfeifen auf den Aspekt der Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, solange sie selbst an der Macht sind. 

Es ist interessant, die Weltkarte nach diesen Kategorien zu durchforsten. Das für den westlichen Beobachter Überraschende wird dabei sein, entdecken zu müssen, dass die verfassungsmäßigen, verbrieften Freiheitsrechte des Individuums ungefähr nur in einem Achtel der auf der Welt repräsentierten Staaten erwähnt werden. Es sollte zu denken geben. Nicht, weil es etwas mit einer wie auch immer gearteten Wahrheit zusammenhinge. Nein, aber weil es die Orientierung der Gattung in Bezug auf seine jeweiligen Staatssysteme dokumentiert. Und in der Minderheit zu sein bedeutet, sich genau überlegen zu müssen, was man wie erreichen will. Kreuzzugsmentalitäten sind, sofern man nicht den Krieg zum Mittel aller Dinge erheben will, das wohl Dümmste, was einem dabei einfallen kann. Und, um diesen Gedankengang abzuschließen, momentan sieht es so aus, als hätte sich der Westen unter Führung der zunehmend mehr in Panik geratenden USA auf ausgerechnet die schlechtest möglichen Option eingeschworen. Wenn das so bliebe, dann werden die gerade mit ihren ersten Laufversuchen betrauten Enkelchen in den USA und Europa bis zur eigenen Ergrauung nichts mehr erfahren als Kriege.

Um ehrlich zu sein, wird es nichts helfen, sich über diese Großwetterlage in langen, fruchtlosen Debatten auseinanderzusetzen. Denn die Karten sind gemischt. Der Krieg ist allgegenwärtig und rückt immer näher. Und in welcher Regierungszentrale, bitte schön, beriete man so etwas wie die Möglichkeit von Frieden und der dazu notwendigen Architektur sowie einem Paradigmenwechsel in der Politik?

Das Einzige, was hilft, ist etwas, das es schon immer gab und das im Grunde, betrachtet man den Lauf der Weltgeschichte, die einzige Kraft ist, die in der Lage ist, dem psychotischen Machtstreben von Profiteuren der Vernichtung den Garaus zu machen. Es ist die innere Freiheit. Der einfache Satz des Rebellen, der da lautet, „entweder bist du frei, oder du bist es nicht!“ Unabhängig von den äußeren Bedingungen, die dein Handeln ermöglichen. 

Ja, der Einwand kommt sofort und immer: Kann es nicht sein, dass der Preis zu hoch ist? Und die Antwort ist ebenso klar. Ja, er kann sehr hoch sein, er kann sogar die eigene Existenz kosten. Aber das, das muss das Individuum selbst entscheiden. Die Freiheit ist nicht umsonst! Sie abhängig zu machen von Schriftstücken, von Erklärungen und unverbindlichen Formulierungen, das ist ein scheinheiliges Werk, das nichts bedeutet. Wer allerdings für sich bestimmt, dass er oder sie frei ist, der hat das Zeichen gelesen. Die eigene, innere Freiheit, die sich durch nichts korrumpieren lässt, weder durch Bequemlichkeiten noch durch Drohungen und Angst, sie ist die Voraussetzung, derer es bedarf, um den Geist von Raub und Unterwerfung zu bezwingen. 

Generationenkonflikt: Wer ist wann betroffen?

Momentan wird in meiner Stadt eine Diskussion um die Notwendigkeit eines neuen Fußballstadions geführt. Wie immer in solchen Fällen gibt es gute Gründe dafür wie dagegen. Doch darum geht es mir nicht. Mir fiel bei dem Thema eine Episode aus meiner Kindheit ein. Auch damals ging es um eine neues Stadion. Meine Großmutter fragte uns, wie groß das denn werden solle, und als wir ihr das Fassungsvermögen nannten, schaute sie uns ungläubig an, rechnete im Kopf und sagte dann, dass sei ja die dreimalige Einwohnerzahl ihres Heimatortes. Sie vermutete eine Schelmerei unsererseits. Als wir ihr jedoch beteuerten, sie habe richtig verstanden und sie fragten, was sie denn davon halte, gab sie uns eine Antwort, die aktuelles Gewicht hat. Sie sagte, sie werde sich dazu nicht äußern, denn ihre Lebenszeit fiele nicht mehr in die Nutzung dieses Projektes. Um es noch zu erwähnen: sie war eine gutmütige wie gütige Frau, deren Leben durch harte Arbeit geprägt war. Und, wie die Antwort zeigt, war sie auch weise.

Die Haltung, sich nur noch in die Auseinandersetzungen einzumischen, die eine Wirkung auf das eigene Mitwirken und Erleben haben, erfährt durch die demographische Entwicklung in unserem Land eine besondere Dimension. Die meisten politischen Diskussionen, die geführt werden, beziehen sich nämlich auf Weichenstellungen. Sieht man sich die Bilder derer an, die bei Zukunftsprojekten zugegen sind und vehement Partei ergreifen, lässt sich feststellen, dass zumeist diejenigen, in deren Leben dieses Projekt eine Rolle spielen wird, sich in der Minderheit befinden. Und diejenigen, deren Zeitbudget der aktiven gesellschaftlichen Teilnahme überschaubar und in naher Zukunft endlich ist, machen die Majorität aus. 

Einmal abgesehen von den Unkalkulierbarkeiten in großen Umbruchphasen, und in einer solchen befinden wir uns, wäre es mehr als angebracht, genau zu unterscheiden, bei welchen Themen die eigene Existenz noch eine Rolle spielen wird und bei welchen nicht. Es gibt Themen, die immer brandaktuell sind, egal zu welcher Alterskohorte man gehört, wie zum Beispiel Krieg und Frieden, Freiheit, Würde und Gerechtigkeit. Aber es existieren ebenso Themen, von denen man genau wissen müsste, dass sie einen nicht mehr betreffen.

Wir leben in einer Zeit, die auf drei bis vier Jahrzehnte des hemmungslosen Wirtschaftsliberalismus zurückblickt, in der das wachstumsbesoffene „Forever Young“ kultiviert wurde und gleich mehrere Generationen von Ego-Shootern sozialisiert wurden. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die einfache, wie kluge Frage einer alten Frau aus der Provinz heute von den meisten Menschen gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird. Wird mich das, worüber gerade gestritten wird, selbst noch betreffen? Oder wäre es nicht ratsam, den Diskurs denen zu überlassen, die mit Sicherheit davon betroffen sein werden?

Deklinieren Sie dieses Szenario einmal durch! Wie viele der Themen, die momentan eine Rolle spielen, wären davon betroffen! Und mit Sicherheit nähmen manche Diskussionen einen ganz anderen Verlauf! Und kommen Sie nicht mit dem Argument, es ginge auch um die Verantwortung für die Zukunft. Zumeist handelt es sich um Selbstüberschätzung, Eigenliebe und Egoismus. 

Will diese Gesellschaft nicht in eine unversöhnliche Spaltung zwischen den Generationen hinabgleiten, dann wäre es ratsam, sich die Frage nach der jeweiligen eigenen zeitlichen Betroffenheit für die politischen Projekte, um die es geht, ausdrücklich zu stellen. Selbstverständlich freiwillig. Aber es entstünde eine neue Dynamik, die befreiend wäre. Und, als kleiner Hinweis an die Alten: Krieg und Frieden, Freiheit, Würde und Gerechtigkeit, diese Themen bleiben, und sie sind Aufgabe genug!

Budapest

Dohany utca, an deren Ende die große Synagoge steht, die größte Europas. Also mitten im jüdischen Viertel, das historisch und aktuell zugleich ist. Ranzige Fassaden einstiger Betriebe neben lebendigen Geschäften, in denen die Regsamkeit zuhause ist. Dass sich ausgerechnet hier ein zeitgenössisches Ausgehviertel etabliert hat, ist nicht von ungefähr. Die Nomaden dieser Welt zieht es immer wieder zueinander. Die Ideen, die Geschichte in das Jetzt herüberzuholen, mag in Gesellschaften, die sich im Umbruch befinden und deren Tempo hoch ist, besser durchsetzen als in etablierten. Das Hotel ist ein ehemaliges Bad. Alles inspiriert und passt und ich wage mir nicht vorzustellen, was deutsche Bauvorschriften aus diesem Projekt gemacht hätten. Aber ich genieße den Augenblick. Ich bin in Budapest. Genauer gesagt in Pest, Buda liegt auf der anderen Seite der Donau. 

Schon aus dem Flugzeug schlug mein Herz schneller, als ich das Fußballstadion sah, das nach dem legendären Ferenc Puskás benannt ist. Held der ungarischen Nationalmannschaft und nach der Niederschlagung des Volksaufstandes 1956 als Emigrant eine Ikone bei Real Madrid. Schon als Kind hörte ich den Namen aus dem Mund meines Vaters, wenn er mit seinesgleichen über Fußball sprach. Es hörte sich an, als sprächen sie über einen Heiligen. Am Flughafen nichts von K&K, alles sehr modern, Transporte bestens und geräuschlos koordiniert, alles funktioniert und ist technisch a jour. Und dann im jüdischen Viertel, an der Synagoge, Kommerz und Polizei und ein Stelldichein der Auserwählten, Juden wie Amerikaner, eskortiert von hoch bewaffneter Polizei. Alltagsroutine, auch ein Bild der Welt in ihrem Zustand. 

Budapest kommt mir bunter und freier vor, die Jugend probiert vieles aus und hat noch nicht die Kodizes gefunden, die wie ein Maulkorb wirken können. Es ist jener Moment der Freiheit, auf dem noch nicht das Preisschild zu sehen ist. Chinesen, die umherlaufen, inhalieren beflissen die fremde Kultur. Panoramen können schön sein, aber sie sind kein Bild des richtigen Lebens. Das ist dort zu finden, wo keine Kameras stehen. Und eines wird schnell deutlich, auch hier: Der Widerspruch von Stadt und Land muss immens sein. 

Alles riecht und schmeckt hier nach Viel-Völker. Selbst auf den Tischen der genuin ungarischen Lokale. Und im immer ausgebuchten Mazel Tov! Auf den hiesigen Speisekarten gibt es noch Chicken Kiev, das auch bei uns vor langer Zeit offeriert wurde, aber dann aus der Gastronomie verschwand. Kommt es jetzt zurück? Der Krieg als Anlass für eine weitere Geschäftsidee?

Die Schuhe am Donauufer. Dort, wo faschistische Milizen aus Jux mit Pfeil und Bogen auf Juden schossen und sie in den Fluss fielen, tot oder blutend, wenn interessierte das schon. Mein erster Gedanke, in Anbetracht des Zustandes unserer Welt, hört denn das nie auf?! 

In dieser Stadt ist alles im Umbruch. Und alles wird von Jazz-Musik begleitet. Wohltuend, zumindest mir erschließt sich dadurch vieles. Alter Glanz weicht der Dynamik.

Abends in einem alten ungarischen Restaurant. Kulisse wie in einem Film aus dem letzten Jahrtausend, 70iger Jahre, Mobiliar wie Raumaufteilung. Kellner, die ihrem Beruf gerecht werden, alles im Blick, jede Regung auf den Tischen wahrnehmend, alles begutachtend, dennoch sehr distanziert und diskret. Die Gerichte mit Namen ohne PC-Korrektur. Pork, serviced in Gypsy Style. Serviert in der Manier der alten Schule, eine kleine Schnapsfahne eskortiert das fette Ferkel. Lokale wie dieses gibt es kaum noch, ich denke an eines in Antwerpen, das ähnlich ist und den Eindruck an das alte Europa authentisch vermittelt. Es sind Leuchttürme aus einer verblichenen Welt. Sie stehen in keinem Reiseführer und sind auf keiner App zu finden. 

Kann es sein, dass die Solidarität mit der Ukraine größer wird, je weiter die Entfernung? In Heidelberg Rohrbach gibt es mehr solcher Hinweise als in ganz Budapest.   

Die ferngesteuerten Amöben sind hier eher selten. Wenn, dann sind es angereiste. Immer hinter ihrem eigenen Smartphone herlaufend, Botox gepimpt und op-korrigiert, wie aus der Serie X5a. Immer wieder kontaminieren sie die Sicht, ihre Ignoranz weckt das  Gefühl tiefer Blamage für das eigene Soziotop. Es ist eine Entwicklung in zweierlei Tempi festzustellen, der Globalisierungspapp ist schneller, seinerseits der Echoraum für die meisten Touristen. 

Budapest riecht nach Zimt. Immer wieder, ohne Ankündigung. Produziert wird der Geruch durch die vielen Stände mit den Chimney Cakes, übersetzt als Baumstriezel. Olfaktorisch könnte eine Metropole an einem großen Fluß schlimmer sein. 

Es existiert eine Konkurrenz der Küchen. Hier das Ungarische, wenig Gemüse, wenn, sauer eingelegt, viel Fleisch, zumeist vom Schwein, fettriefend. Und Schaschlik, das es bei uns nicht mehr gibt! Dort die Brandings der Globalisierung: Hamburger, Pizza, Tacos, Döner und die vereinigten Asiaten. 

Dort, wo du beschaulich sitzt, wirst du umtost von Schlagbohrern und Fräsmaschinen. Der Missklang des Umbruchs. Allerweltsmarken im Herzen der architektonischen Identität.

Entfernt vom Zentrum das andere Leben. Es ist wie eine Fahrt mit der Zeitmaschine. Menschen bei der Arbeit, Schüler auf dem Weg zur Schule, Flaneure in Parks, alte Leute auf den Friedhöfen. Sonnenschein und tiefer Frieden. Zurück im Zentrum: Café New York: 1 Stück Käsekuchen, 23 Euro. Ein Rudel nach dem anderen der ferngesteuerten Amöben betritt das Etablissement, ein Pianist, der alles mit seinem Geklimper überbordet und verhunzt. Blutjunge Bedienungen mit künstlichen Wimpern in Überlänge und mit Botox-Lippen bedienen dich mit ausdruckslosen Gesichtern – eine grandiose Kulisse für den ganzen Globalisierungstrash. Dagegen in der Oper, Prokofjews Krieg und Frieden. Stehende Ovationen.

Immer wieder drängt sich ein Wort in den Vordergrund, das nur noch Historiker zu kennen scheinen: Gulaschkommunismus. Wie schön, wie romantisch, alles andere als eine negativ besetzte Diskriminierung, wie er einst gedacht war. Imre Nagy, aufrecht unterm Galgen. Budapest 1956! Schwere Kost in den Markthallen. Rollende Buchgeschäfte, anscheinend liest man hier noch Bücher. Überall Menschen ohne Manierismen. 

Ach ja, Sport spielt eine große Rolle, viele Stadien und Sportparks und eine Donauinsel exklusiv für für alle Arten der Bewegung und Ertüchtigung.   

Lektüreempfehlung: György Konrad. Das Buch Kalligaro.

Budapest. Eine Reise in Europas Zentrum. Spannend wie nie.