Archiv für den Monat November 2018

Der schwere Weg vom Objekt zum Subjekt

In Gesellschaften, die von Formulierungen wie der normativen Kraft des Faktischen zehren, ist es offensichtlich, dass sie an einem Mangel an Strategie leiden. Unsere Alltagserfahrung dokumentiert dieses Defizit in vielerlei Hinsicht. Einerseits wird die Faktizität dessen, was waltet, als Realität gepriesen, andererseits wird sehr viel von Strategie geredet. Letzteres speist sich aus der zutreffenden Wahrnehmung, mehr getrieben zu sein als selbst das Heft des Handelns in der Hand zu haben. Strategie ist ein Sammelbegriff für ein gefühltes wie reales Defizit geworden. Der Begriff drückt die tiefe Sehnsucht nach einer Orientierung aus, die denen, die sich immer mehr als Objekt und nicht als Subjekt sehen, tatsächlich fehlt. Das große Rätsel, welches sich mit dem beschriebenen Umstand stellt, ist die Frage, wie die Transformation vom Objekt zum Subjekt gelingen soll.

Menschen, die sich als Sklaven von Prozessen und Verhältnissen sehen, können aus dieser Passivität nur herauskommen, wenn es ihnen gelingt, die Verhältnisse, die sie entmündigen, fundamental zu kritisieren. Das wiederum ist nur zu vollbringen, wenn die Geschichte, die zu dieser Passivität geführt hat, aufgearbeitet wird. Wenn die Frage, warum sich Verhältnisse durchgesetzt haben, die den Menschen entmündigen und in die Rolle des Objektes zwingen, gestellt wird, muss auch beantwortet werden, welche Option die Opfer nicht gezogen haben. Die beklagte Realität als etwas hinzunehmen, das quasi aus dem Nichts und ohne das Zutun der Betroffenen selbst entstanden ist, schafft keine Abhilfe.

Nur wenn es gelingt, die eigenen Anteile der geduldeten Bevormundung zu dechiffrieren, besteht die Chance, zwischen dem zu unterscheiden, was selbst gemacht und was fremd bestimmt zu den Zuständen geführt hat. Wer die Eigenanteile an beklagenswerten Zuständen in der Lage ist zu identifizieren, hat die Möglichkeit, diese selbst abzustellen, indem das eigene Verhalten verändert wird. Einfach gesprochen: wer sich der normativen Kraft des Faktischen widersetzt und sie nicht als vom Schicksal gegeben akzeptiert, hat bereits den ersten Schritt gemacht.

Und wenn die Ablehnung der nebulösen Macht des Faktischen dazu führt, dass zu Sanktionen gegriffen wird, um die angeblich unpersönliche Faktizität am Leben zu erhalten, lassen sich die Interessen identifizieren, die hinter den Verhältnissen stehen, die von der Mehrheit als unglücklich angesehen werden. Wer Flagge zeigt, sieht auch bald die Flaggen derer, die Interesse an Entmündigung und an der Haltung von potenziellen Subjekten als Objekten haben. 

Es führt also kein Weg daran vorbei, den Eigenanteil an der Misere zu thematisieren und sich damit auseinanderzusetzen. Wer sich nur als Opfer fremder Mächte sieht, wird in der Rolle des Opfers bleiben. Das ist in einem Zeitalter, in denen Wohlfühl- und Komfortzonen als angestrebtes Lebensmodell gepriesen werden, eine durchaus bittere, aber eben auch heilsame Erkenntnis. Der tradierte Spruch alter chinesischer Militärs, der da lakonisch lautet „kennst du deine Feinde, kennst du dich selbst, hundert Schlachten ohne Schlappe“, bringt diesen Umstand auf den Punkt.

Es hilft also nichts. Wenn Strategien entwickelt werden sollen, die ermutigen und gleichzeitig ertüchtigen, muss der mühevolle Pfad der Selbstkritik beschritten werden. Und die Selbstkritik muss zu einer Veränderung der eigenen Haltung und der eigenen Verhaltensweisen führen. Geschieht dies nicht, bleibt das klagende Objekt in seinem beklagenswerten Zustand. Wer Subjekt sein will, muss raus aus der Komfortzone. In deutschen Landen eine unbequeme Wahrheit.