The Rolling Stones. Exile on Main Street
Und wieder erscheint eines der größten Alben der Rockgeschichte in überarbeiteter Form die interessierte Zuhörerschaft und wieder wird die Legendenbildung bemüht, um die Attraktion des zumeist doch schon Bekannten zu erhöhen. Bei dem Album Exile on Main Street von der Rolling Stones ist das nicht anders. Und dennoch lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen und zu hören. So kann man natürlich verstehen, dass der begnadete Marktstratege Mick Jagger Anfang der siebziger Jahre, als man vor britischen Polizei- und Finanzbehörden auf der Flucht war und die gar nicht marktfördernden Skandale mit der Morgenpresse regelmäßig präsentiert bekam, aus einem Fluchtvorgang gleich ein Exil machte, was sich immer besser anhört, weil es ja eine politische Dimension besitzt.
Was sich allerdings in Richards´ Villa in Südfrankreich in diesem Sommer abspielte, kann eigentlich noch besser mit dem Wort Exzess als mit dem des Exils beschrieben werden. Sprich: die Stones saßen von den letzten Etappen ihres Karriereverlaufs, Trennung und Tod von Brian Jones, das Desaster von Altamont, Steuerschulden, ein Rechtsstreit mit Manager Allen Klein etc. ziemlich angepisst zusammen und wussten nicht so recht, wie es weiter gehen sollte. Im Grunde war dieser an sich missliche Umstand der Glücksfall, denn die Stones flüchteten sich eben nicht nur in die Exzesse, sondern sie erinnerten sich auch dessen, was sie zusammengebracht hatte.
Die Musik, die in diesem Sommer entstand, brach doch im Wesentlichen mit den vorangegangenen, sehr erfolgreichen Alben. Die Stücke, die auf Exile on Main Street zu hören sind, zeichnen sich einerseits durch ein starkes, authentisches Bauchgefühl aus und dokumentieren eine vorher nicht da gewesene Experimentierfreude. Dominieren bei Rocks Off noch die Londoner Kellerriffs, ist bei Tumblin´Dice schon ein Hauch von Südstaaten vorhanden und bei Sweet Virginia fragt man sich, ob man es noch mit einer europäischen Band zu tun hat. Mit dem Ventilator Blues schufen sie einen All Time Favorit für jeden Film über die Südstaaten und bei Shine A Light klopft vernehmbar der Gospel an die Tür. Das Bonusmaterial, welches aus Konserven gespeist wurde, die aus den Sessions in diesem Sommer stammten, verdeutlicht einmal mehr die Rückbesinnung auf die eigenen Stärken, den ungeheuren Spaß an der Musik und die Offenheit für Neues. Alles dies sollte in Exile On Main Street seinen Höhepunkt erfahren. Nie wieder danach waren die Stones so leidenschaftlich vertraut mit ihrer eigenen Musik, nie wieder so zweckfrei, was den Erfolg anbetraf und nie wieder so offen. Das macht den Wert dieser Aufnahmen aus, die alle nun in anderer Tonqualität und Dynamik vorliegen und die sich jeder zu Gemüte führen sollte, der die Gassenhauer nicht mehr hören kann und der wissen will, wie der R&B in Europa zu einer seiner besten Zeiten geklungen hat!
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