Archiv für den Monat Oktober 2017

Unten durch

Nicht selten stellt sich die Frage, wie es kommen kann, dass einzelne Personen oder sogar ganze Organisationen nach einer Krise einfach nicht mehr auf die Füße kommen. Sie analysieren, was passiert ist, was die Krise ausgelöst hat, sie überlegen sich neue Strategien und sie investieren wieder gehörig: an Ideen, an Energie, an Ressourcen aller Art. Aber es wird einfach nichts mehr. Der Punch war der berühmte tödliche. Dabei hätten, in vielen Fällen, die Aktivitäten in anderen Zeiten durchaus gereicht, um aus einer Krise eine Chance zu machen. Aber manchmal soll es einfach nicht sein. Welche Umstände spielen in solchen Fällen eine Rolle?

Meistens liegt es an den anderen Beteiligten. Wenn sie nicht mehr gewillt sind, mit der Person oder Organisation weiter zu kooperieren, dann können diese unternehmen, was sie wollen, es wird einfach nichts mehr. Die Verweigerung der Kooperation kann vielfältige Gründe haben. Es kann einfach und objektiv der Bedarf an Kooperation gedeckt sein, was einfach nur tragisch wäre. Es kann aber auch eine Verletzung der Kooperationspartner sein, die einfach die Unzuverlässigkeit nicht ertragen oder akzeptieren. Es kann aber auch ein moralisches, ein kulturelles Aus sein. Das ist immer tödlich. Da hilft kein Neustart mehr. Da ist etwas untern durch, wie es in unserer Sprache so schön heißt. Und wer unten durch ist, der braucht sich nicht mehr zu bemühen, der hat seine Schuldigkeit getan.

Manchmal kann das sehr schnell gehen. Da steht ein Mensch oder eine Organisation im Rampenlicht, da wird angeregt über ihre Qualitäten gesprochen, ja die Qualitäten werden regelrecht gepriesen, und plötzlich passiert irgend etwas, das nie eine Rolle gespielt hat, das niemand aller Beteiligten und Kooperierenden je im Sinne dieser Gemeinsamkeit vermutet hat, und schon ist schlagartig Schluss. Je nach Stärke und Macht des Individuums oder der Organisation bricht dann die Zeit an, in der sich herausstellt, ob jemals wieder kooperiert werden kann.

Die ganz Mächtigen, denen das Prädikat der Systemrelevanz zugeschrieben wird, die werden von einem großen Ensemble an Spielern gedeckt und gefördert und oft auch wieder ins Spiel gebracht. Andere, die einen großen Beliebtheitsgrad genießen, aber nicht über derartige Lobbys und Allianzen verfügen, die sind dann mausetot. Es ist hoch spannend, zu verfolgen, wie diese Krisen ausgelöst werden, was die Akteure selbst unternehmen, wie sie damit umgehen und wie sie versuchen, da wieder heraus zu kommen. Und es ist interessant zu sehen, wie sich die ehemaligen Kooperationspartner verhalten. Das Spannende dabei ist, dass es sich um ein Leben-oder-Tod-Spiel handelt. Ja, das gibt es. Und meistens ist es existenziell und nicht physisch. Manchmal geht es aber bis zum physischen Ende.

Das Gemeinsame an Krisen, die zur Folge haben, dass manche nicht mehr auf die Füße kommen, ist der Bruch gesellschaftlicher Tabus. Das Wesen von Tabus ist, dass sie nirgends in einer Liste stehen und man sie nicht nachlesen kann, sondern dass sie aus dem Gespür aller Interakteure heraus gelesen werden müssen. Das Interessante ist, dass in Zeiten, in denen der normative Geist penetranter wirkt als die lässliche Gegenwart, die Anzahl der Tabus beängstigend gestiegen ist. Je unaufgeklärter der Verband, desto höher die Zahl der tödlichen Verbote. Die Chancen, aus Krisen wieder herauszukommen, sind dramatisch gesunken. Für jene, die Tabus brechen.

König ohne Land

Der Junge, der in seinen wilden Jahren alles kaputt schlagen wollte, was ihn kaputt macht, der dann später, geläuterter und lyrischer mit einer Vision spielte, die Charme hatte. Das alles, so ließ der schon lange in kühler Erde ruhende Rio Reiser verlauten, denn alles, und noch viel mehr, würd ich machen, wenn ich König von Deutschland wär. Rio Reiser wäre nicht der einzige, der sich wundern würde, was aus dem rebellischen und visionären Deutschland geworden ist. Selbst zu einem Zeitpunkt, zu dem ein König endlich einmal, quasi über Nacht, zuschlagen könnte, selbst zu einem solchen Zeitpunkt liegt das Leichentuch des Schweigens über dem Land. Als herrschte hier nur ein Monarch, nämlich der der Schattenwelt. Denn wo die Phantasie keinen Platz mehr hat, da ist es trostlos, auch bei vollen Töpfen.

Denn, selbst laut Verfassung, hat das Land seit letzter Woche keine Regierung mehr. Ja, die alte wurde abgewählt und die neue hat sich noch nicht konstituiert. Da tüfteln jetzt die unterschiedlichen Fraktionen eines wie auch immer gearteten Mittelstandes an einer programmatischen Konsens-Formel. Egal, wie diese aussehen wird, wer nicht zum Mittelstand zu rechnen ist, und das ist die numerische Mehrheit, wird sich in den nächsten Jahren umsehen können. Wonach? Nach einem König, der zumindest das Prädikat des aufgeklärten Monarchen verdiente und den so genannten Kleinen Mann auch auf dem Zettel hat. Von den Piraten aus dem fernen Jamaika ist auf jeden Fall keine Staatsführung zu erwarten, die des Volkes Zufriedenheit wird erzeugen können. Aber wie steht es schon in der Bibel: Den sieben mageren Jahren werden weitere sieben magere Jahre folgen. Stimmt das wirklich? Ja, das geht so lange, bis du aufstehst und dich deiner visionären Pflicht erinnerst und der Welt neue Hoffnung bringst.

Jetzt wäre die Zeit für einen König von Deutschland. Der könnte einfach in den Reichstag, den sie heute Bundestag nennen, marschieren, mit Gefolge und den Insignien der Macht, vielleicht einem schlichten Hammer und einer Waage, und den erstaunten Gefolgsleuten der parlamentarischen Demokratie erklären, dass er auch in Zukunft ihren Rat benötige, aber erst einmal einige Dinge gerichtet werden müssten, die sich nicht in endlosen Debatten herausschrieben ließen.

Und dann würde der König von Deutschland mit milder Rede und mitfühlenden Worten diese Dinge benennen. Wie er die Geldverleiher für eine Zeit in den Turm werfen ließe, wie er die Hersteller der Droschken unter Druck setzen wolle, damit sie nicht mehr die Luft verpesteten mit ihren alten Modellen, wie er die kleinen, emsigen Untertanen, die nur von ihrer Hände Arbeit lebten, von der Steuer befreien und die fetten, reichen, mit mehreren Wohnsitzen ausgestatteten Bürger dafür mehr zur Kasse bitten würde. Und dass er alle Teile der Armee zurück nach Hause hole, denn sie seien da, das Land zu verteidigen, und das ginge nur von heimischem Boden aus, und sonst nichts. Und wie er das Recht, als Mitglied des Reiches zu werden erwürbe, wenn man schlicht hier geboren sei. Und natürlich gebe es Saturnalien, es würde einmal wieder so richtig gefeiert und gesoffen, und die Bürger sollten wieder lernen, ihr Maul auf zu machen und alles zu kritisieren, wobei sie mithelfen könnten, es zu verbessern.

Aber, obwohl der König immer noch redet, wird klar, dass selbst der Zustand eines regierungslosen Landes keinen König hervorbringen wird. Nicht einmal in der Phantasie. Denn die ist auch tot. Und was will ein König in einem Land ohne Phantasie?

Zu kaufen: Der Gestus der Revolte

Die Entwicklungslinie scheint allem vorgezeichnet zu sein. Eine neue Idee taucht auf, oder auch nur eine neue Art und Weise, das Alte in Frage zu stellen. Das Novum löst Unruhe aus, es schockiert, es erhitzt die Gemüter. Von nichts anderem ist mehr die Rede als von dem Neuen. Ablehnung und Zustimmung befinden sich zumeist in einem eindeutigen Verhältnis. Da Menschen grundsätzlich nicht besonders veränderungsliebend sind, ist die Gruppe derer, die das Neue zunächst einmal spontan ablehnen, in der Regel weitaus größer als die der Befürworter. Doch dann kommen die ersten Avancen. Man will mehr über das Neue, seine Akteure und die Hintergründe wissen. Und aus dem Fremden, das gestern nur geschockt hat, wird allmählich etwas Vertrautes, das einen menschlichen, allzumenschlichen Hintergrund bekommt.

Und hinter den schlimmsten Revoluzzern verbergen sich plötzlich Menschen wie Du und Ich. Und tatsächlich, langsam aber sicher fassen auch diejenigen, die das Neue so gar nicht mochten, Vertrauen in das Neue. Da es menschliche Züge bekommen hat, scheint es nicht mehr so gefährlich zu sein. Und nun kommt es auf das Neue selbst an. Wenn es sich selbst auch immer mehr der großen, schweigenden Wand annähert, um die eigenen Gesichtszüge zu zeigen, dann dauert es nicht mehr lange und die Wand verschwindet. Und diejenigen, die das Neue erfunden haben, erwachen in der großen Herde, von der sie sich absetzen wollten. Es ist die Annäherung über das urmenschliche Gefühlt der Gemeinsamkeit.

Es existieren aber noch andere Möglichkeiten, das Neue zu entschrecken. Man nennt es die Verwertungsmethode des Kapitalismus. Der macht es anders. Er macht das Neue, Schreckliche, zu einem Produkt und bringt es auf den Markt. Dort können es all jene kaufen, die schon immer einmal revoltieren wollten, aber aus welchen Gründen auch immer nie dazu kamen. Sie können sich den Gestus der Revolte jetzt in Form einer Ware kaufen und so tun, als gehörten sie zu dem Neuen. Gesellschaftlich wird das traditionell wunderbar toleriert, weil es nichts in Frage stellt. Es ist ein bloßer Gestus. Das hat sich dermaßen eingespielt, dass die eigentliche Rebellion immer seltener wird. Die Angst vor der Vermarktung alleine scheint viele davon abzuhalten, sich auf riskante Missionen der Veränderung zu begeben.

Nun kann man die Verwertungslogik des Kapitalismus beklagen, aber das hilft nicht weiter. Die Liste der vermarkteten Bewegungen ist lang und nahezu komplett. Von Dada bis zum Punk sind die kulturellen Erhebungen der Moderne im Warenhaus gelandet. Und von der sozialen Revolution bis zum Ökologismus hat die Ökonomie sehr profitiert. Das allerdings als Grund für den Abgesang zu nehmen, ist eine Form des Defätismus, die ihrerseits keinen attraktiven Geist versprüht.

Es sollte darüber nachgedacht werden, welche Formen der Vermarktung letztendlich existieren und wo die Verwertungsmaschine ins Stocken gerät. Sicher, die Form kann immer vermarktet werden und selbst die Reproduktion der zerfetzten Klamotten von südamerikanischen Guerilleros lassen sich in Münchner Boutiquen für horrende Preise verkaufen. Das entkräftet aber nicht die Aktion derer, die tatsächlich im Dreck liegen und ihr Leben für etwas Neues riskieren. Der Gestus ist nicht gleichzusetzen mit der Aktion selbst. Wer die Initiative behalten will, kann das auch. Bei aller Verwertungslogik.