Archiv für den Monat Oktober 2021

Ein Kartell des Schweigens

Zu Recht wird zuweilen beklagt, dass die neuen Medien und der extrem einfache Zugang zu ihnen zur Folge gehabt hat, dass sich alle zu allem äußern können. Was die einen als einen Sieg der Demokratie feiern, ist den anderen die Herrschaft des Mobs. Es ist zwecklos, sich in eine Bewertung einzumischen. Denn, so der Rat eines guten Freundes in solchen Momenten: Es ist, wie es ist. 

Was ohne jeden Zweifel festgestellt werden kann, ist der Umstand, dass alles, ob nun Bedeutendes oder Profanes, eine Kommentierung von überall her erfährt. Das war schon immer so, nur eben nicht sichtbar. Vor der digitalen Revolution waren die Orte, an denen die Kommentare auf alles Wichtige oder Unwichtige produziert wurden, die Stammtische, die Küchen und die Pissoirs. Heute ist alles im virtuellen, aber öffentlichen Raum. Das hat insofern eine andere Dimension und es hat tatsächlich viel verändert. Festzuhalten ist allerdings, dass auch die digitale Technologie, wie vorher andere, nicht an sich zu einer weiteren Demokratisierung der Gesellschaft beigetragen hat. Ganz im Gegenteil, auch wenn die Technologie dafür nicht verantwortlich gemacht werden kann, die Nutzungsbedingungen und die tatsächliche Nutzung haben zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft, die sich seit Jahrzehnten in einem neoliberalen Abnutzungsprozess befindet, zumindest in starkem Maße beigetragen. 

Es geht hier allerdings nicht um die berühmten Hinz und Kunz, die ihre Meinung im Netz publizieren. In diesem Fall geht es um diejenigen, die sich aufgrund der radikalen Öffentlichkeit zu bestimmten, wichtigen und tatsächlichen Fragen, die die Gesellschaft und ihre Entwicklung betreffen, gar nicht mehr äußern. Obwohl es sich um politisch aktive und gebildete Geister handelt, vermeiden sie es, bestimmte Ereignisse zu kommentieren. Wäre das eine durchgängige Haltung, so hätte das den Respekt verdient, den eine individuelle Entscheidung mit sich bringt. Da aber die gleichen Personen in vielen politischen Fragen sehr aktiv in unterschiedlichen Foren und Netzwerken unterwegs sind, scheint ein Nachhaken legitim zu sein.

In Bezug auf die sonstigen Äußerungen aus diesem Personenkreis wäre zu schließen, um einige Beispiele zu nennen, dass sie gar nicht einverstanden sind mit der Behandlung eines Julian Assange, dass sie es für grotesk halten, den Militarismus und seine Verwüstungen aus der Klimadebatte herauszuhalten, dass sie deutsche Waffenlieferungen in Krisengebiete für ein Verhängnis halten, dass sie die „Wahl“ von Frau von der leyen zur EU-Kommissionspräsidentin als Skandal ansehen, dass sie die Liquidierung bestimmter Branchen während der Lockdowns als eine gravierende Fehlleistung betrachten, dass sie das Gendern am grammatischen Genus für einen Angriff auf die Formgebung der Sprache ohne positiven politischen Aspekt ansehen, dass sie die Orchestrierung Chinas und Russlands zu Feindbildern für verfehlt halten, dass die Mission in Afghanistan alles andere war als ein Kreuzzug für die Demokratie etc. etc..

Und obwohl diese Menschen Besseres wissen, haben sie sich für Stillschweigen entschieden. Und so, wie sie dieses tun, erscheint es wie ein Kartell des Schweigens. Wie abgesprochen sparen sie genau diese Themen aus, die in ihrer praktischen Handhabung nach Dissens schreien, konsequent und diszipliniert. 

Was bleibt, ist die Frage, was die beschriebenen Menschen, die sich ansonsten durch Klugheit auszeichnen, dazu veranlasst, sich diesem Kartell des Schweigens zu verschreiben? Ist es die Angst davor, von den üblichen Meinungslöwen gemobbt zu werden? Oder ist es die Befürchtung, dass man zu wesentlich radikaleren Ansätzen kommen muss, wenn man diese Felder tatsächlich bearbeitet? Wahrscheinlich spielt beides eine Rolle. Zum Preis der Selbstaufgabe. 

Glasgow: Des Pudels Kern!

Die Aufregung ist groß, vor dem Weltklima-Gipfel in Glasgow. Die einen befürchten, dass dort Dinge beschlossen werden, die vielleicht, eventuell, das Klima, so, wie es ist, konservieren können, aber ihre eigene Existenz vernichten werden. Die anderen haben Angst davor, dass dort nur halbherzige Erklärungen abgegeben werden, die nichts bewirken und den konstatierten Wandel der klimatischen Bedingungen in keiner Weise werden aufhalten können. 

Interessant ist, dass diese beiden Positionen als die exklusiven wahrgenommen werden, obwohl es noch viel mehr gute, durchdachte und erörterungswürdige Ansätze existieren, die vielleicht einen Schlüssel böten, um die Tür zu tatsächlichen Lösungen aufzuschließen. Doch, davor seien alle bewahrt, sowohl die Pusher wie die Bremser, denn so könnten die beiden beschriebenen Postionen am besten beschrieben werden, haben in gewisser Weise recht. Das Absurde dabei ist, dass beide Standpunkte in keiner Weise dazu geeignet sind, die Probleme zu lösen. Denn sie leiden beide an einer letalen endenden Krankheit: der Systemimmanenz. 

Letztendlich, um die Situation noch einmal kurz und verständlich zu beschreiben, geht es um eine ungleiche Verteilung von Gütern auf der Welt. Das System, das für die Versorgung mit Gütern und Waren verantwortlich zeichnet, unterliegt den logischen Mechanismen von Marktwirtschaft, Konkurrenz und Warenproduktion. Zu letzterem, dem entscheidenden Faktor, muss man über Menschen verfügen, die zu einem möglichst niedrigen Preis Waren zu erstellen, sie verarbeiten dabei Ressourcen, die zu möglichst niedrigen Preisen erworben werden müssen, um das Endprodukt zu einem möglichst hohen Preis bei möglichst geringen steuerlichen Belastungen zu vertreiben. Viele Produkte werden, je nach Nachfrage und Konkurrenzlage, nicht verkauft und daher vernichtet. Und dann beginnt der Kreislauf von Neuem. Unter dem Strich sind bei dem Rennen um Gewinne und Renditen die Produzenten und die Ressourcen die Verlierer.

Der Kampf gegen die desaströsen Auswirkungen dieser Produktionsweise, so wie er sich auch in Glasgow darstellen wird, wird genau diese Frage ausklammern. Er wird sich konzentrieren auf staatliches Handeln, dessen Möglichkeiten durch eine nachhaltige Phase des Wirtschaftsliberalismus auf ein Minimum reduziert wurde, und auf den Appell an die Konsumenten, sich via Kauf- oder Konsumentscheidung gegen große Verletzungen ökologischer Rationalität zu stellen. Die Produktionsweise selbst wird nicht zu Disposition stehen. Insofern ist es ratsam, sich trotz aller Dramatik nicht zu sehr emotional an dieser Art von Konferenzen abzuarbeiten.

Richtig dreckig und blutig, sprich letztendlich effektiv wird es erst dann, wenn die wahren Ursachen für das Desaster für die Mehrheit der Menschheit im Fokus stehen: Armut und die damit verbundene Abhängigkeit, die dazu zwingt, Dinge zu tun, die trotz der unterstellten Intelligenz des Homo sapiens in der Tierwelt undenkbar wäre: die Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen. 

Wenn man in diesem Zusammenhang die Tendenz der ultrareichen Eliten betrachtet, wie sie sich Refugien wie Bunker und Inseln sichern, wie sie von extra-planetarer Existenz träumen, wird deutlich, mit welch degenerierten Sozialwesen sich die Menschheit momentan auseinanderzusetzen hat. Machen wir uns jedoch nichts vor, denn sie sind die Mächtigen und mit ihnen wird nicht zu verhandeln sein, wie in Zukunft produziert, verteilt und konsumiert wird. 

Machen wir uns also mit dem Gedanken vertraut, dass eine wie auch immer geartete Politik nicht in der Lage sein wird, die systematische Zerstörung von Natur und Mensch zu verhindern, solange sie die vorherrschende Produktionsweise nicht in den Fokus nimmt. Sie ist des Pudels Kern. Alles andere ist Makulatur, so schmerzhaft diese Einsicht auch sein mag.