Archiv für den Monat Juli 2020

Der kurze Sommer der Weltherrschaft, Deutschland und die NATO

Was jetzt als eine Strafaktion eines tollwütigen amerikanischen Präsidenten daherkommt, hat sich seit längerem angebahnt und ist keine Überraschung. Einmal abgesehen von den historischen Hintergründen ist es kein Debakel, wenn eine Streitmacht, die vor 75 Jahren ein Land in einem Krieg besiegt hat, einen Teil ihrer Truppen aus dem Land abzieht. Eher wäre Verwunderung darüber angebracht, was denn da passiert ist, dass nach einem Dreivierteljahrhundert überhaupt dort noch Truppen vonnöten sind. Wir kennen die Geschichte. Dem heißen folgte der Kalte Krieg und diesem die alleinige Weltherrschaft der USA. Man könnte die Zeit von 1990 bis 2008 den kurzen Sommer der unangefochtenen US-Weltherrschaft nennen. Sie währte vom Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 bis zur Weltfinanzkrise 2008. Seit dem bröckelt sie beträchtlich. Nicht lange, in historischen Dimensionen gedacht.

Dass sich in derartig rauschenden Zeiten die Bedürfnisse der Protagonisten ändern, liegt auf der Hand. Bereits mit dem Niedergang der Sowjetunion war es mit der Überschaubarkeit der Verhältnisse dahin. Die NATO, das westliche Militärbündnis als Antipode zum Warschauer Pakt, war über Nacht kein Verteidigungsbündnis gegen einen klar definierten Feind mehr. Und es ist kein Wunder, dass die stärkste Macht im Bündnis, die USA, sich daran machten, das Bündnis nach den eigenen neuen Bedürfnissen umzuformen. Ziel blieb und bleibt die Aggression gegen Russland und die damit verbundene Spaltung Europas, denn eine Allianz zwischen Zentraleuropa und Russland wäre die Bettgeschichte, die in den USA niemanden mehr schlafen ließe. Und es ging darum, die bestehende Struktur zu nutzen, um vor allem die Operationen von Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Afghanistan mittels der NATO-Struktur zu sichern. 

Hinzu kam und kommt, dass Deutschland als direktes Protektorat obsolet war. Dass die USA von Deutschland nun mehr eigenen militärischen Einsatz forderten und fordern, ist folgerichtig, wenn es keine Interessendivergenzen in der Zielsetzung gibt. Hinter der etwas erbärmlich wirkenden Wehklage einiger süddeutscher Landesfürsten über den drohenden Abzug von US-Soldaten und der eigenartigen Arithmetik bezüglich des zu leistenden finanziellen Beitrags Deutschlands in der NATO verbirgt sich das eigentliche Problem. 

Der Umbau der Bundeswehr von einer der allgemeinen Wehrpflicht unterliegenden Verteidigungsarmee zu einer auf Söldnerbasis operierenden Interventionsarmee lässt vermuten, dass stillschweigend die Ausrichtung der NATO zu einem weltweit agierenden Aggressionsinstrument mitgetragen wurde. Auch die verbalen Statements aus Reihen der Bundesregierung lassen das vermuten. Die ununterbrochenen Sottisen gegen Russland und das nahezu trunkene Suchen nach Wörtern im syrischen Debakel, sowie das Schweigen zu Themen wie dem Jemen sind Indizien für ein stummes Nicken Richtung USA. Die wollen nun ein klares, lautes Bekenntnis. Das ist keine Laune eines in die Ecke gedrängten Cholerikers, sondern es wird sich auch unter einem demokratischen Präsidenten wiederholen.

Spätestens seit 9/11 und dem von den USA als weltweiten Krieg gegen den Terror deklarierten Kampf um den Erhalt der globalen Hegemonie wäre ein öffentlicher Diskurs hierzulande erforderlich gewesen, um die internationale Positionierung Deutschlands zu klären. Dieser Prozess hätte beinhalten müssen, ob der im Grundgesetz formulierte Satz, die eigenen Streitkräfte dienten ausschließlich der Verteidigung noch Bestand hat oder nicht. Der Diskurs hat nicht stattgefunden, man ist weiter im Windschatten der USA getaumelt und hat die Chance, sich als souveränes Subjekt zu etablieren, vertan. Die Angst vor der öffentlichen Klärung des eigenen Standpunktes scheint größer zu sein als die vor dem Feind. Wer immer das auch sein mag.

Normative Profile und humane Defizite

Seit langer Zeit hat sich im Denken derer, die Arbeitsbeziehungen gestalten, eine Denkweise etabliert, die auf einem rein technischen Sektor durchaus nachvollziehbar ist, im Umgang mit Menschen allerdings die vorhandenen Potenziale ignoriert. Durch diese Denkweise hat sich eine Atmosphäre breit gemacht, die sich vor allem durch negative Strahlung empfiehlt. Es dominiert das Gefühl, dass die in Arbeitsprozessen assoziierten Menschen nichts anderes zu machen haben als gegen eigene Defizite anzukämpfen. Dass das nicht die Grundlage produktiver Prozesse sein kann, die quasi aus einem emotionalen Flow entstehen, ist folgerichtig. Bleibt die Frage zu stellen, was eigentlich schief geht?

Vor allem, aber nicht nur junge Menschen, die sich auf den formalen Arbeitsmarkt begeben, um eine Arbeitsstelle zu finden, beklagen immer wieder und zu recht den Irrsinn der dort zu findenden Anforderungsprofile. Jung, flexibel, natürlich mit großer Erfahrung, Prädikatsabschluss, geübt auf internationalem Parkett, ungebunden, lernwillig und bereit, für geringes Entgelt einzusteigen. Allein diese Charakteristika, die sich nicht auf die Fachkompetenz beziehen, dokumentieren die ganze Weltverlorenheit derer, die ihr Leben in den Personalabteilungen bereits verwirkt haben und die garantiert ihrerseits nichts von dem mitbringen, was dort gefordert wird. 

In den weltfremden Labors der Verwaltung menschlicher Arbeitskraft werden, wenn denn jemand gesucht  wird, so genannte Anforderungsprofile erstellt, in denen neben den oben genannten Referenzen fachlich genau die Fähigkeiten und die Fertigkeiten aufgelistet werden, die vorher in einer Arbeitsplatzbeschreibung gelistet wurden. Dann wird in einem Auswahlprozess, wenn alles gut läuft, der Mensch genommen, der diesem normativen Profil am nächsten kommt. Meistens bleibt dennoch eine Differenz zwischen dem normativen Profil und dem realen Menschen. Dieses Defizit gilt es dann mit Maßnahmen der Personalentwicklung zu beheben. Folglich jagt de facto die gesamte Belegschaft einem Programm nach, das dazu bestimmt ist, die aus dem Denkschema entwickelten Defizite zu beheben. 

Was als logischer Prozess beginnt, endet emotional und spirituell in einem Dilemma. Denn es klingt zunächst einmal vernünftig, den Versuch zu unternehmen, die Schritte, die an einem bestimmten Prozess innerhalb der Organisation zu erwarten sind, zu beschreiben und die daraus resultierenden Anforderungen festzuhalten. Und es ist ebenso vernünftig, bei der Auswahl der Menschen, die dort aktiv werden sollen, darauf zu achten, ob sie in der Lage sein werden, diesen Anforderungen zu entsprechen. Und es ist und bleibt wahrscheinlich, dass die meisten Menschen, mit denen man zu tun hat, nicht exakt diesem Profil entsprechen werden. 

Was jedoch aus dieser teilweise vernünftigen Vorgehensweise resultiert, ist eine komplexe Buchführung über die Defizite von ganzen Belegschaften und die Vernachlässigung ihrer Potenziale. Das Drama besteht darin, dass dieses Missverhältnis überall anzutreffen ist. Und dass sich diejenigen, die diesen Prozess wiederum organisieren in der Fokussierung der humanen Defizite so festgefahren sind, dass es mit ihnen wohl nicht mehr gelingen wird, einen Kurswechsel zu vollziehen, der Einsatz wie Kombination festgestellter menschlicher Fähigkeiten zum Thema hat. Meistens ist es nicht einmal möglich, den Unterschied zwischen formalem Abschluss und tatsächlich zu erwartender praktischer Fähigkeit zu verdeutlichen. Die gesamte klassische Personalentwicklung steckt in einer technokratischen Sackgasse. Sie erscheint wie ein gigantischer Reparaturbetrieb defizitärer menschlicher Befähigung. Die angewendeten Instrumente dienen ausschließlich diesem Leitgedanken. Kompensation der tatsächlich existierenden Defizite zu einem normativen Profil.

Der Weg aus diesem Dilemma kann nur über einen exklusiven Paradigmenwechsel geschehen. Die präzise Erfassung und Kombination tatsächlich vorhandener Potenziale und die Erforschung der Entwicklungsmacht individueller und kollektiver Prozesse der Arbeit. Die mentalen wie rechtlichen Voraussetzungen sind bis heute nicht gegeben.