Archiv für den Monat Dezember 2013

Freiheit und Glück!

Nietzsche, der so perfekt Verfemte, wusste es. Die Menschheit, so schrieb er in einem seiner vielen Momente der Erleuchtung, würde von der mächtigen Natur, die einem wilden Stier gleiche, irgendwann wie ein lästiges Insekt von sich geschüttelt. Nietzsche kannte sich aus mit Bildern. Er hatte eine Ahnung davon, wie sehr die Nichtigkeit unserer Existenz überblendet wurde von unserem unbändigen Subjektivismus, der auf nichts anderem fußte als auf einem kollektiven Tabu, das die meisten Kulturen überstrahlt. Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit wird von den wertschöpfenden Gesellschaften mit Macht ausgeblendet, um die furchtbare Relativität unseres Tuns zu verbergen. In Anbetracht der kosmischen Dimensionen, eingeschlossen der Zeit, ist die Menschheit allenfalls eine Episode im Gang der Dinge. Wie klein, wie schrecklich klein ist in diesem Kontext doch das Individuum.

Der falsche Schluss aus dieser Erkenntnis wäre der Fatalismus. Er ist die Unterwerfung der Verantwortung unter das unvermeidliche Scheitern. Der Fatalismus, Produkt dieses Denkens, rät den Menschen, sich im Orkus der ungeheuren Entwicklungsgeschichte nicht in die Pflicht nehmen zu lassen. Er ist das Ticket zur Freisprechung von der Pflicht zur Gestaltung, und sei die Phase ihrer Möglichkeit auch noch so kurz. Daraus entspringt der Typus Mensch, der uns so allen so auf die Nerven geht: Der Hedoniker, der nach der Maxime „Nach mir die Sintflut“ nach den Gütern greift, die im unersättlichen Konsum die Klimax der Existenz versprechen, ohne dabei zu bedenken, dass den Momenten, die den nächsten Generationen bereit stehen, das wenige an Zeit nehmen, die genutzt werden könnten, um ihrer eigenen Existenz einen Sinn zu verschaffen.

Der richtige Schluss wäre Demut. Demut vor der eigenen Begrenztheit und Dank für die Möglichkeit, dennoch aus ihr etwas zu machen. Das ist ein sehr hoher Anspruch, der uns die Gewissheit darüber vermittelt, wie wenig wir beitragen können zu dem, was den Sinn des Lebens ausmacht. In Relation zu der uns verbleibenden Zeit ist das Drehen am großen Rad, das selbstverständlich nur aus der kleinen Perspektive des Individuums groß erscheint, eine Illusion, die neben dem verbreiteten Hedonismus als die andere, verhängnisvolle Entschuldigung gereicht. Die Alternative zwischen Rausch und Depression ist die des Realismus in Bezug auf die eigene Lebenswelt. In ihr, unserer eigenen, von uns selbst beeinflussbaren Sphäre, wachsen wir als Individuen in einem vernünftigen Maßstab hinsichtlich der von uns beeinflussbaren Dinge. Wir können etwas bewirken, und es ist, selbst im Wissen um unseren unbedeutenden Mikrokosmos, eine große Chance, unserer Existenz Nanosekunden des Sinns zu vermitteln. Das ist viel, und wir sollten uns nicht von einem Hochmut irreführen lassen, der zu nichts führt.

Das vermeintlich Unbedeutende, Profane, ist unser Metier, in dem wir uns zu Giganten des Augenblicks machen können. Wirksam werden wir dann, wenn wir die Chancen nutzen, die uns die täglichen Routinen bieten, um zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten, um durch Haltung und Richtung denen Orientierung zu bieten, die im Zweifel durch die Existenz schlingern, die erkennen lassen, dass sie nach einem Sinn suchen, der sie befreit von nutzloser Gier, von Streben nach Status, von verhängnisvoller Illusion. Das Leben ist und bleibt ein Auftrag. Unser Sein ist etwas zu Leistendes. Nur wenn wir uns dessen bewusst sind, werden wir beglückt durch Sinn und das Leben gewinnt die Qualität, die einen Wert vermittelt. Vergessen wir das nie! Es beschert uns die Freiheit, in der sich das Glück offenbart!

Turbulenzen im Verschwörertempel

Man ist geneigt Goethes bekanntes Zitat aus dem Faust zu bemühen:

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.

Es scheint so, als ob die Beschäftigung mit den Geschehnissen in der Türkei vortrefflich von dem ablenkt, was uns hier beschäftigen sollte. Und nicht nur das. Auch die Art, wie mit vermeintlicher Expertise auf den Feuilletontisch gekübelt wird, führt nicht unbedingt zu dem, was zunächst einmal im Mittelpunkt stehen sollte, nämlich der sichtbare Wille, die Vorgänge zu verstehen. Man solle nicht so tun, als sei alles so klar, wie es der Schule von Dogmatikern oder auch den Bornen jeglicher Verschwörungstheorie erscheint. Indem die türkischen Turbulenzen zu einem maßgeblichen Teil dem Treiben amerikanischer Geheimdienste zugeschrieben werden, entstehen Blüten, die mit dem Kampf um die Vormachtstellung in der islamischen Welt gar nichts mehr zu tun haben. Vielleicht hülfe es denen, die von der Lancierung der Destabilisierung Erdogans durch die Gülen-Bewegung einen Streich der CIA sehen, wenn sie sich vergegenwärtigten, dass genau dieses zu den Schutzbehauptungen Erdogans zählt, mit denen er von dem maroden Zustand seiner Regierung ablenken will.

Der Kampf in Syrien zwischen sunnitischen Milizen und dem Assad-Regime wird geführt, um die Isolierung des schiitischen Iran voranzutreiben. Saudi Arabiens Wünsche, den Iran zu isolieren und, wenn möglich, in eine militärische, vielleicht auch nuklearen Auseinandersetzung mit Israel zu treiben, wird momentan weder vom Iran selbst, noch von den USA oder Israel angenommen. Assad, seinerseits Allevit, balanciert auf diesem Widerspruch, um sich selbst an der Macht zu halten. Wo da insgesamt, bei einem durch und durch imperialen Treiben auf allen Seiten noch die gerechte Sache sein soll, bleibt den Kabbalisten des Sektierertums überlassen, zu sehen ist sie nicht. Wie in Syrien, so scheinen momentan auch in der Türkei das jeweilige Volk zur Geisel besagter imperialer Großmannssucht zu werden.

Bei aller Expertise dreht sich eigenartiger Weise keine Überlegung um die Frage, wie die türkische Bevölkerung aus diesem Machtkampf hervorgehen wird. Die Intervention des alten, kemalistischen Militärs wäre wohl ebensowenig eine Alternative wie der Triumph des anderen Flügels aus der AKP. Das, was ins solchen Situationen von Vorteil wäre, nämlich eine große Volkspartei, die die Interessen der treibenden Kräfte der Gesellschaft repräsentiert, ist nicht zu sehen, genauso wenig wie starke Gewerkschaften, die in der Lage wären, das Land lahm zu legen, wenn die Option Terror gegen die eigene Bevölkerung gezogen wird. Insofern muss die Entwicklung in der Türkei mit der gleichen Skepsis betrachtet werden wie die in Syrien, ohne dass es attraktiv wäre zu glauben, es bleibe besser so, wie es ist. Viele haben anscheinend gedacht, die Phase der Abkoppelung der Gesellschaften im Nahen Osten und in der arabischen Welt von den alten Autokraten brächten Aufklärung und Demokratie im Zeitraffer. Das ist nicht so und wird leider auch nicht so sein. Aus ohnmächtiger Wut mit Erklärungsmustern aus dem Verschwörertempel aufzuwarten, hilft nicht weiter und bringt nur eines: Defätismus. Letzterer ist wiederum das Leichengift eines jeglichen Fortschritts.

Komplott im Kartenhaus

Wir haben es aufgegeben von Gesetzmäßigkeiten im Verlauf von Geschichte zu sprechen. Das hat zu schlimmem Dogmatismus geführt, weil so manch ganz Schlaue immer schon wussten, wohin der Lauf der Dinge führt und mit ihrer vermeintlichen Gewissheit viele Menschen hinter das Licht oder in geistige Abhängigkeit führten. Und obwohl das Phänomen Geschichte nicht so erklärbar ist wie die Vorgänge in einem Chemielabor, so weist es doch Muster auf, die sich aus den Prinzipien menschlichen Handelns und Fehlens ableiten lassen und die immer wieder kehren, ob im alten Rom, in den zeitgenössischen Machtmetropolen Washington oder Moskau oder eben auch in der Türkei.

Da, so überschlagen sich momentan die Meldungen, faucht derzeit ein Tayyip Recep Erdogan, derzeitiger Ministerpräsident, über das größte Komplott in der türkischen Geschichte. Natürlich ist dieses Komplott gegen ihn gerichtet und natürlich kommt es aus den USA, auch wenn dahinter ein Landsmann steckt. Muster Nummer Eins könnte nicht präziser formuliert werden: Gerät ein Machthaber, zudem einer, der sich mehr und mehr absolutistisch definiert, ins Schlingern, so hat er selbst keine Fehler gemacht, sondern andere, schlimme Finger haben ihn damit behaftet, und zwar aus dem Ausland.

Erdogans AKP, die vor gut zehn Jahren zum ersten Mal die Wahlen in der Türkei gewinnen konnte, hatte nicht nur einen politischen, sondern auch einen moralischen Neuanfang in der Politik versprochen. Mit sehr hohen ethischen Ansprüchen, die in eigenen Bildungsinitiativen für die Kader realisiert wurden, sollte das Land modernisiert werden, ohne die traditionelle, in den Kanon des Islam vertrauende Landbevölkerung zu verlieren. Dabei gab es ein Bündnis und eine Arbeitsteilung, die in diesen Tagen aufbricht und die nie formellen Charakter hatte. Während Erdogan, der einstiger Sesamkringelverkäufer und Upcomer aus den informellen Zonen Istanbuls, das politische Ressort übernahm, kümmerte sich der in den USA lebende Islamgelehrte Fetullah Gülen um die ethische Festigkeit von Kader und Staatsapparat.

Tatsächlich gelang vieles in der Türkei: Die Korruption vor allem im Bausektor und bei der Vergabe von Ämtern wurde zurückgedrängt, das Bankenwesen wurde schonungslos reformiert und ist heute weitaus seriöser als manches im Zentrum Europas, die Kurden wurden zum großen Teil entkriminalisiert und das Bildungswesen wurde radikal modernisiert. Wirtschaftlicher Aufschwung und politische Stabilität führten zu großer Zustimmung für die AKP wie Ministerpräsident Erdogan. Der Fortschritt in der Türkei führte zu sozialen und sozio-kulturellen Veränderungen, mit denen zumindest der Architekt Erdogan selbst nicht gerechnet hatte. Die ökonomische Internationalisierung des Landes zeitigte eine Teilhabe an internationalen Krisen und die vor allem in den Metropolen Istanbul und Izmir entstandenen jungen, akademischen und weltoffenen Eliten kamen mit Ansprüchen daher, die weil jenseits des bekannten Traditionalismus lagen. Den wirtschaftlichen Schwierigkeiten begegnete Erdogan mit einem schrittweise immer aggressiver formulierten neuen osmanischen Imperialismus, den er vor allem in Nordafrika während der Arabellion vortrug und den neuen Eliten im eigenen Land versuchte er mit dem Schlagstock beizukommen.

Vor allem letzteres nahm ihm der an hohen ethischen Ansprüchen festhaltende Fetullah Gülen übel. Leute aus diesem Bildungssektor sind es auch, die nun gegen die neue Nomenklatura der AKP vorgehen, die sich allzu schnell an des System angeglichen haben, das sie vor zehn Jahren noch so vehement zu bekämpfen suchten: Ein Netzwerk korrupter Politiker, die das Staatswesen den Hunden zum Fraß vorwerfen. Während Erdogans ideologisches Kartenhaus zusammenfällt, spricht dieser von einem Komplott. So einfach ist das nicht und die jetzige türkische Krise ist eine weitaus tiefere, als es noch erscheint. Sie sollte uns alle besorgen.