Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt stellt sich immer wieder. Wann sollten Menschen, die in einer wichtigen Funktion sind, die sich in einer herausragenden Position befinden, die eine Führungsrolle wahrnehmen, selbst die Entscheidung ihrer Verabschiedung wählen oder wann ist es die Aufgabe der Organisation, in der diese wirken, darüber entscheiden, wann der Zeitpunkt da ist, sich voneinander zu trennen? Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Emotionen, Selbstwertgefühl, Respekt, Nutzen und vor allem, die Prognose auf eine positive Zukunft.
Menschen in dem Individualismus verschriebenen Kulturen neigen dazu, bei der Beurteilung der Lage die subjektiven Eindrücke und Wünsche überzubewerten und die eigene Befindlichkeit ins Zentrum ihrer Überlegungen zu stellen. Nur Wenige bewahren sich die Fähigkeit, sich selbst in das Koordinatensystem zu stellen, das bei einer Beurteilung der Lage von Nutzen sein könnte. Zu diesem gehört die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, die Zweckausrichtung der Organisation, in der sie tätig sind, eine Analyse der Rahmenbedingungen, die sich permanent verändern und neue Herausforderungen mit sich bringen wie die Taxierung der Möglichkeiten, die neben dem Individuum die Organisation mit ihren Potenzialen selbst in sich bergen.
Ist das Individuum selbst aus der Zeit gefallen und verspricht es nicht, mit den ständigen Umwälzungen standzuhalten, dann muss die Organisation dafür sorgen, dass der richtige Zeitpunkt einer Trennung getroffen wird. Kommt die der Organisation vorstehende Persönlichkeit zu der Einsicht, dass sie in der Lage wäre, die notwendigen Veränderungen innerhalb der Organisation vorzunehmen, die Organisation allerdings durch eine systemerhaltende Eigendynamik dieses zu verhindern in der Lage ist, dann ist es klug, selbst den Hut zu nehmen. Das Gemeinsame, das Führungsindividuum und Organisation aufweisen, ist immer temporär. Ist dieses weder dem Individuum noch der Organisation bewusst, dann ist ein Ende mit Schrecken unausweichlich. Misserfolge stellen sich ein, Schuldige werden gesucht, Fortschritte im Sinne einer gemeinsamen Zielerreichung bleiben aus.
Unter diesen Aspekten ist es immer interessant, sich das ganze Portfolio von Politik, Wirtschaft, Sport und die vielen Mikrosysteme einer Gesellschaft anzuschauen. Was überwiegt? Die kritische Analyse und das Zurückstellen der eigenen Befindlichkeit, der eigenen Wünsche und Motivlagen oder eine problematische Wahrnehmung der Gesamtlage und der Hang zur Nostalgie, der den Fokus auf bessere, goldene vergangene Zeiten richtet und sich in Durchhalteparolen verliert?
Das besagte Portfolio bietet bei näherem Hinschauen einen Befund, der nicht zuversichtlich stimmen kann. Ob in der Politik, die sich von dem Instrument der Selbstkritik verabschiedet hat, ob in den wesentlichen Bereichen der Industrie, die sich am schalen Rausch vergangener, goldener Zeiten labt, ob in der Verwaltung, die sich in einem längst verblichenen Ruf sonnt oder ob in den großen Organisationen des Sports und in vielen kleinen Gesellschaften und Vereinen: die gravierenden globalen Veränderungen haben bis heute nicht dazu geführt, dass die wichtigsten Funktionsträger wie die Organisationen selbst den Weg frei gemacht hätten, sich auf eine Standortbestimmung zu konzentrieren, die die eigenen Defizite, Potenziale und Ressourcen einer kritischen Revue passieren ließen, um den Weg für eine positive Zukunftsgestaltung frei zu machen.
Stattdessen herrscht eine Apologetik vor, die alte, nicht mehr zielführende Prinzipien hoch- und an dem zunehmend überforderten Personal festhält. Das Gros des führenden Personals wie die gesellschaftlich wichtigen Organisationen erliegen dabei einer flächendeckenden Emotionalisierung, die zu Hysterie und Schuldzuweisung führt. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel, doch der richtige Zeitpunkt für den Abgang und die Einleitung des Wandels wird zuverlässig verpasst.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.