Archiv für den Monat August 2020

Das Besteck des Regime Change

Wie sieht das Besteck aus, das erforderlich ist, um ein Szenario für einen Regime Change zu entfachen? Zu beobachten war es in den letzten Jahrzehnten gefühlt einhundert Mal und es sollte nicht so schwer sein, daraus ein Handbuch abzuleiten. Letzteres wird bei denen, die für den Systemwechsel in den betroffenen Ländern verantwortlich zeichnen, vorhanden sein. Dass zumeist bei dem, was wir beobachten, die USA dahinter stecken, ist kein Geheimnis. Und für alle, die daran zweifeln, sei das neue Buch des ehemaligen Sicherheitsberaters des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, John Bolton, empfohlen. Unter dem Titel „The Room Where It All Happened“ ist im Falle Venezuelas ohne Schnörkel zu lesen, wie so etwas geplant und durchgeführt wird. Das Buch sollte zur Pflichtlektüre aller werden, die gerne von den Werten des freien Westens reden und die materiellen, geostrategischen und machtpolitischen Interessen dabei vergessen.

Doch zurück zum Besteck des Regime Changes. Voraussetzung ist eine politische Situation, die so beschrieben werden kann, dass eine Regierung oder Person seit langem im Amt ist und keine Aussicht besteht, diese auf legalem Weg abzuwählen. Zumeist geht so etwas einher mit der Tendenz der amtierenden Regierung oder Person, sich immer mehr Gesetze geschaffen zu haben, die jegliche Form von Opposition zu kriminellen Handlungen umdeuten. Meistens ist das Ergebnis, dass nach einem gewissen Zeitraum keine sichtbare Opposition mehr vorhanden ist. Derartige Zustände streben, nahezu gesetzmäßig, irgendwann auf einen Punkt zu, an dem sich spontan viele Menschen erheben und für einen Wandel auf die Straße gehen. Das können scheinbar unbedeutende Anlässe sein, aber sie reichen aus, um die berühmte Quanität in Qualität umschlagen zu lassen. 

Obwohl dieses Aufstehen vom Standpunkt der Souveränität von Menschen in ihrer kollektiven Entscheidung gerecht ist, kommt dann die Stunde des im Verborgenen administrierten Regime Changes. Plötzlich tauchen junge Führerinnen oder Führer auf, die zumeist gut anzuschauen, relativ unschuldig und etwas vulnerabel erscheinen. Das öffnet die Herzen der Weltöffentlichkeit. Diesen wie aus dem Nichts erschienen Führern wird der auf den Straßen sich manifestierende Widerstand zugeschrieben und sie werden zu den legitimen Verhandlungsführern des Aufstandes hochgepusht. Mit ihnen, so der Plan, lässt sich hinterher leicht verhandeln, um das System zu formen, das die Initiatoren des Regime Change im Auge haben. Das zumeist aber nicht kongruent mit dem ist, was die aufbegehrenden Menschen möchten. Anzumerken ist noch, dass das beschriebene Narrativ so erfolgreich ist, dass es auf andere, gesellschaftspolitische Bereiche mit Erfolg ausgeweitet wurde.

Zu den jungen Führerinnen oder Führern gehört noch ein Accessoire, das dem Ganzen eine romantische Aura verleiht. Das können eine Blume oder Farbe als Symbol sein, oder Regenschirme, Halstücher oder Früchte. Und wenn die Geschichte der romantischen, jungen hübschen, vulnerablen Revolution gewoben ist, dann ist es an der Meinungsmaschine, diese mit den Begriffen wie Demokratie, Menschenrechten und Freiheit oft genug zu assoziieren. Ist dieses Bild gezeichnet, steht dem Vollzug nichts mehr im Weg, obwohl im Hintergrund das richtige Dirty Business vollzogen wurde: mit Bestechung, mit Waffenlieferungen, mit Mordanschlägen, nicht selten mit gezielt inszenierten Opfergeschichten, die den Herrschenden zugeschrieben werden. Aber, so ist das Geschäft. Man sollte, bei der Bewertung dessen, was nach diesem Drehbuch abläuft, nach einiger Zeit genau hinschauen. Und zwar aus der Perspektive derer, die unter Einsatz von Leib und Leben guten Glaubens den Sturz des Ancién Regime ermöglicht hatten. Haben sich ihre Lebensbedingungen zum Besseren gekehrt? Ist alles im Prinzip so geblieben, wie es war? Oder hat sich alles noch zum Schlechteren gewendet? 

Nehmen Sie sich die Zeit, wählen eines der genannten Symbole, suchen Sie die dazugehörenden Beispiele und bewerten Sie das Ergebnis. Und werden Sie nicht pessimistisch. Nicht jeder Versuch der letzten Jahre, den Aufstand in einem Land zu instrumentalisieren, ist gelungen. Das Konzept ist nicht mehr geheim. Und noch ein Hinweis: Suchen sie auch woanders. Nicht, dass es heißt, man beschränke sich auf ein Zentrum der Macht. Das raubt zwar die Illusion, auf diesem Planeten gäbe es Gut und Böse. Aber nur, wer der Wahrheit ins Auge schaut, hat das Recht auf Untergang mit klarem Kopf.