Archiv der Kategorie: food for thought

Das Grundgesetz und sein Feind, der Souverän?

Namhafte Rechtsgelehrte haben bereits nach einem YouTube—Auftritt des Bundeswirtschaftsministers das Wort ergriffen und darauf hingewiesen, dass Grundrechte nicht auf der Bedingung der Teilung der politischen Meinung der Bundesregierung fußen. Dieser Konnex wurde in der besagter Rede hergestellt und in der pressemonopolistischen Landschaft überaus positiv aufgenommen. Es hätte allerdings keiner Gelehrter bedurft, um auf die Idee zu kommen, dass zum Beispiel die freie Meinungsäußerung nicht gebunden ist an die politische Einschätzung der Dinge durch die Regierung. Solange die Wahrnehmung eines Grundrechtes nicht zu strafbaren Handlungen führt, bleibt es unangetastet. So einfach war das, bis die Corona-Krise kam und das Diktum einer Bundesregierung zu einer alternativlosen Wahrheit erhoben wurde. Das Grundgesetz musste zurückstehen, die Notsituation galt als Begründung.

Das, was in dieser Zeit als verfassungsrechtliche Normalität avancierte, hat sich zu einer schleichenden, immer mehr beschleunigten Verfahrensweise entwickelt. Diejenigen, die auf dem schlichten Geist des Grundgesetzes beharrten, wurden zu Feinden der Demokratie erklärt. Besonders diese Abart eines modernen Totalitarismus muss als die Todsünde jener Phase bezeichnet werden. Die Art und Weise, diese Linie fortzuschreiben, ist atemberaubend und muss als Generalangriff auf die Grundmauern der bürgerlichen Demokratie begriffen werden. Alle, die die Regierungsmeinung vertreten, werden mental wie materiell subventioniert und alle, die auf den Grundrechten beharren, als Feinde einer im Schreddervorgang begriffenen Demokratie stigmatisiert. Im Falle der Ukraine und nun in Bezug auf das Drama in Gaza. Da helfen auch keine sinnentleerten Argumentationen. Dass in der Ukraine für die liberale Demokratie gekämpft wird oder die Palästinenser in Gaza, selbst Semiten, als Anti-Semiten bezeichnet werden, zeigt die Belanglosigkeit und Arroganz, mit der die Sturmtruppen der Entrechtung unterwegs sind.

Und, hört man sich die Begründung von Demonstrationsverboten durch die Innenministerin an, dann hat das nichts mehr mit dem Schutz und der sinnhaften Anwendung der im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu tun, sondern wirkt wie eine Passage aus den Volksreden der von der Macht degenerierten Schweine aus George Orwells Animal Farm. 

Es mutet schon dystopisch an, dass bei den bevorstehenden proklamierten Feierlichkeiten zum fünfundsiebzigjährigen Bestehen des Grundgesetzes ein Bundespräsident die Schirmherrschaft beansprucht, der alle Attacken auf die Grundrechte gutgeheißen hat, zum Schutze der Demokratie versteht sich. Das Demokratieverständnis derer, die seit dem Bestehen der Republik dem Geist der Demokratie den größten Schaden zugefügt haben, entspricht bis hin zur Diktion dem Vorgehen derer, die auf dem Weg zum Totalitarismus waren. Und sie merken es nicht. Vielleicht sind sie sogar überzeugt davon, dass sie die Demokratie verteidigen. Aber indem sie den Prozess der Entrechtung vorantreiben, erledigen sie das Geschäft derer, die mit der Demokratie tatsächlich nichts im Sinn haben. Die permanente Entrechtung mit dem Argument des Demokratieschutzes ist das Gift, das jegliches Vertrauen auch bei denn Wohlmeinenden zerfrisst. 

Bei jedem Schock, bei jeder Krise, werden die Schritte Richtung totalitärem Vorgehen größer, anstatt sich auf den Souverän zu besinnen. Im Grunde genommen ist der Souverän selbst als potenzieller Feind der Demokratie ausgemacht. Wie schrieb Bert Brecht so treffend, nach der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR?

„Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”

Sage noch einer, die Geschichte wiederholt sich nicht!

8. Mai 1945 – Nie wieder?

Da war es wieder. Das Datum, welches die Deutschen seit dem Jahr 1945 so bewegt. Der 8. Mai, in Russland ist es der 9., an dem Deutschland seine Niederlage eingestand und ein gewisser General Wilhelm Keitel für das Oberkommando der Wehrmacht in Berlin die Kapitulationsurkunde unterschrieben hat. Lange Zeit, vergessen wir das nicht, wurde in Westdeutschland von einem Tag der Niederlage gesprochen. Im Osten war es immer die Befreiung. Und dann, nach Jahren einer erfolgreichen Entspannungspolitik, wagte auch im Westen ein Bundespräsident das Wort Befreiung in den Mund zu nehmen. In den nunmehr 79 Jahren seit der Niederlage des deutschen Faschismus in einem Krieg, den er angezettelt hatte und bei dem es, auch das sollte niemals vergessen werden, um Imperialismus und Vorherrschaft ging und nebenbei, obwohl dieses Wort den Schrecken verharmlost, die Rassenphantasien von politischen Psychopathen eine tragende Rolle spielten, hat sich manches verändert, anderes aber auch nicht. Das Motiv des Krieges war formuliert: Wer hat Zugriff auf den ukrainischen Weizen, und wer sichert sich die Ölfelder am Kaspischen Meer? Blieb alles bei der Sowjetunion oder konnte Deutschland seinen Zugriff sichern, um Briten wie Franzosen auszubooten im Kampf um Hegemonie.

In Deutschland selbst ging es bei der historischen Verarbeitung meistens um die Verbrechen an der Menschlichkeit und es dominierte der Slogan Nie wieder! Dass er sich auf diese Verbrechen bezog, nicht aber um den Imperialismus, sehen wir in diesen Tagen sehr deutlich. Im Staccato: aus zwei Einflusszonen konkurrierender Mächte, den USA und der UdSSR, wurden zwei deutsche Staaten, die jeweils einem Lager zugeordnet waren, mutierte in den Jahren 1989/90 nur noch eine. Die Sowjetunion brach zusammen, zog ihre Truppen aus Deutschland ab, ermöglichte damit die deutsche Einheit und die USA blieben, mit allem, was dazu gehörte, inklusive Militär. Es waren Tage der Einheit, einer erneuten Befreiung nicht. Der Imperialismus blieb.

Der der USA schwelgte im Hochgefühl des Endes der Geschichte, der gute alte Hegel mit seiner Geschichtsphilosophie begann wie ein GI Kaugummi zu kauen. Nach einer Phase des Raubtierkapitalismus in Russland, der der Westen dummerweise den Titel einer Demokratisierung anheftete und letztere damit in der russischen Bevölkerung, die arbeits- und brotlos wurde, bis ins Ungewisse diskreditierte, kam ein neuer Zar mit ordnender Hand, dem viele bis heute dafür danken. Der einstige Konkurrent und heutige Hegemon reagierte, im Konsortium mit denen, die unter der Herrschaft des Sowjetimperialismus gelitten hatten, in dem er mit einer militärischen Einkreisung begann, die eine rote Linie nach der anderen für das russische Sicherheitsempfinden überschritt. Bis der Punkt erreicht war, der nun im Westen als der neue russische Imperialismus identifiziert wird.

Schnitt: Gestern, am 8.Mai 2024, konnten wir in der offiziellen und politischen Öffentlichkeit auf allen Seiten eine Situation erleben, die der vor dem Beginn des großen, verheerenden, letztendlich Europa auf den Boden verfrachtenden Krieg entsprach. Feindbilder wurden bestätigt, Kriegsmaschinerie wurde präsentiert, die Notwendigkeit eines erneuten, erweiterten Krieges wurde unterstrichen, Bemühungen um Frieden wurden verspottet oder als subversiv bezeichnet, Sünder wurden benannt und das eigene Vorgehen moralisch überhöht. Von Nie wieder! war gar nichts zu spüren. Oder doch? Ja, es gab kleine Verschiebungen bezüglich zu schätzender und zu hassender Ethnien, aber sonst war es ernüchternd. Was auf keinen Fall in nahezu achtzig Jahren auf den Prüfstand gekommen ist und was als Quelle der Kriege immer taugt, sind Imperialismus und die Gier nach Hegemonie. Und wissen Sie was? In dem Fall stehen alle auf der falschen Seite! 

Die Jeunesse dorée und ihr Ablaufdatum

Ja, alles hat seine historische Vorlage. Von der Form weicht es so manches Mal ab, aber der Kern kommt wieder. So, wie einstige Kampf- und Heldentage, die sich aus Kriegen, Kämpfen und Revolutionen speisten, irgendwann zu blutleeren Zeremonien wurden, die nur noch der Anlass für einen vollen Bauch und zu viel Wein waren, ging es auch ganzen Klassen und Perioden. Heute, am 1. Mai, wo immer wieder Menschen gesichtet werden, die irgendwo am Wegesrand besoffen im Gras liegen und an die Vergänglichkeit des Anlasses erinnern, tauchen aktuell ganze Gruppen von Menschen auf, die politisch eine Rolle spielen. Wie gesagt, in einer bestimmten Periode. Dann geht auch für sie das Licht wieder für ein Jahrhundert oder länger aus.

So hat die Französische Revolution, nachdem sie die Machtverhältnisse geklärt hatte, sich danach konsolidierte und mit der Hinrichtung Robespierres den Grande Terreur beendet hat, verschiedene Phasen durchlaufen, die teils vorantreibenden, aber auch restaurativen Charakter hatten. Die Gruppe, die sich bei der Restauration einen Namen machte, wurde schnell von allen Beobachtern die Jeunesse dorée genannt. Die vergoldete Jugend rekrutierte sich vor allem aus dem unterlegenen Adel und den Neureichen, die gute Geschäfte mit der Armee gemacht hatten. Die Bewegung hatte zum Ziel, die Französische Revolution als Episode zurück in die Geschichtsbücher zu verweisen. So romantisch die Bezeichnung einer vergoldeten Jugend auch klingen mochte, es handelte sich dabei um handfeste Reaktionäre, die auch mit Knüppeln bewaffnet nächtens auf den Straßen lauerten und so manchen Sansculotten oder Jakobiner zusammenschlugen.

Obwohl Kinder der revolutionären Epoche, übertrafen sie alles, was sich die alte Generation der Monarchisten noch gewagt hätte. Sie kaschierten ihre Rückständigkeit durch pittoreskes, den Moden die Fratze zeigendes Auftreten und erweckten so zunächst bei vielen Zeitgenossen den Eindruck einer rebellischen Jugendbewegung. Die sie nicht waren. Die Jeunesse dorée war ein Ausbund der Reaktion und eine Stoßbrigade des Monarchismus. Mit der neuen Zeit, die ein ganzes Volk ausgerufen hatte, hatten sie ihrerseits nichts zu tun. Ihr Handwerk war die Gewalt, immer schön kaschiert, aber immer mit dem Ziel, die alten Besitz- und Einflussverhältnisse, für die die Monarchie stand, wiederherzustellen und zu sichern.

Nun stellt sich die Frage, warum mir die Geschichte dieser Jeunesse dorée gerade jetzt wieder einfällt? Warum drängen sich mir beim Anblick vieler, die heute eine aktive Rolle im politischen Spektrum dieses Landes spielen, die Bilder des historischen Originals auf? Ja, die Fragen sind natürlich suggestiv. Wir sind Zeugen einer historisch etwas gewandelten Jeunesse dorée, die aus gesicherten Verhältnissen stammt, die die Rechte des gemeinen Volkes nicht schätzt und die sich an allem beteiligen, was die Demontage von Demokratie und Recht verspricht. 

Das Licht historischer Akteure erlischt in der Regel dann, wenn die Einschätzung ihrer historischen Rolle zum Allgemeingut wird. Dieser Prozess wird erleichtert, wenn den Akteuren ein Freiraum zur ungezügelten Gestaltung zugestanden wird. Das ist bei dem heute und hier existierenden historischen Ableger der Jeunesse dorée der Fall. Die Erkenntnis über ihre historische Rolle verbreitet sich derzeit wie ein Lauffeuer. Es läuft!!!