Archiv für den Monat Mai 2023

Ein grandioser Krimi aus Frankreich!

Jérôme LeRoy, Die letzten Tage der Raubtiere. Kriminalroman

Schon nach wenigen Seiten der Lektüre von Jérome LeRoys neuestem Roman, „Die letzten Tage der Raubtiere“, wurde mir wieder schmerzlich bewusst, was die gegenwärtige Situation Frankreichs von der in Deutschland unterscheidet. Nicht nur, dass westlich des Rheins eine breite politische Bewegung gegen die hoch brisanten Fieberphantasien des Neoliberalismus entstanden ist, im Gegensatz zur deutschen Bräsigkeit, sondern auch, dass es einen Konnex zwischen politischem Bewusstsein und guter zeitgenössischer Literatur gibt. Jérome LeRoy ist dafür ein exzellentes Beispiel. Er versteht es, die politischen Verhältnisse und ihre Widersprüche in eine Handlung zu packen, die unterhält und gleichzeitig inspiriert. Da liegt ein Stück Kriminalliteratur vor der Leserschaft, die nicht hilft, den drängenden Fragen der Zeit zu entfliehen. Sie nimmt die Leser mit auf eine dramatische Reise und hinterlässt von Spannung erschöpfte Individuen, die dazu gezwungen sind, die politischen Zusammenhänge und Entwicklungen noch einmal vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen und sich zu fragen, was die Erkenntnisse von ihnen verlangen. Mehr kann man von einem solchen Genre nicht erwarten.

„Die letzten Tage der Raubtiere“ ist eine Erzählung, die im Hier und Jetzt spielt. Es ist ein Buch, das alles, was von politischer Relevanz im heutigen Frankreich ist, zum Thema hat. Da gibt es die Aushebelung des klassischen Parteiensystems durch das Bündnis, das Macron ins Amt getragen hat. Da existieren die rechten Bündnisse, die aus alten Kolonialallianzen, aus Fragmenten der ehemaligen Fremdenlegion und aus politischen Karrieristen bestehen. Es wabern Verbindungen  zwischen Neoliberalen und strikten Ökologen. Alle sind irgendwie miteinander verwickelt, niemand gehört zu den Guten und das Böse ist immer präsent. Natürliche sind die vom Autor in die Handlungen verwobenen Protagonisten keine Abbilder derer, die wir aus den Nachrichten kennen, alle sind bewusst als Fiktion identifizierbare Figuren, die dennoch das Stigma  der realen Existenz vor sich hertragen. Das ist große Kunst, es ist nicht platt, sondern subtil, es ist ein Lehrstück ohne Zeigefinger. 

Die Handlung ist brandspannend, es handelt sich ja um einen Krimi. Die Handlung spielt vor den Lockdowns der Corona-Krise, sie touchiert das brisante Thema selbst, sie läuft entlang der ethnischen Konflikte in den Banlieues, sie thematisiert die Gelbwesten und die spontaneistischen Formen des Widerstandes aus dem studentischen Milieu. Sie zeigt die Allianzen jenseits der Öffentlichkeit, die verschiedenen Fraktionen der rechtsnationalistischen Bewegung und das Illusionäre bei den Linken. Niemand wird verschont. Und vielleicht handelt es sich dabei ja auch um eine kleine pädagogische Hilfe für die Auseinandersetzung mit den aktuellen Zuständen. Es geht wesentlich brutaler zu, als viele noch denken. Es geht um die absolute Macht. Und wer dorthin will, der schreckt vor nichts zurück. Deshalb die Raubtiere. Mit denen haben wir zu tun. Ob wir wollen oder nicht. Und hoffen wir, dass ihre Tage irgendwann gezählt sein werden.

Und, als deutscher Leser, ist unmissverständlich zu konstatieren, dass unsere französischen Freunde, die lange Zeit von hier aus belächelt worden sind, irgendwie in ihrer DNA haben, dass sie wissen, wann es ums Ganze geht. Sie sind uns weit voraus. 

„Die letzten Tage der Raubtiere“, Jérome, LeRoy. Ein absolut großartiges Buch. Natürlich bei der Edition Nautilus erschienen! Die war unserer Zeit immer weit voraus! Chapeau! 

  • Herausgeber  :  Edition Nautilus GmbH; Deutsche Erstausgabe Edition (6. März 2023)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Taschenbuch  :  400 Seiten
  • ISBN-10  :  3960543131
  • ISBN-13  :  978-3960543138
  • Originaltitel  :  Les derniers jours des fauves