Archiv für den Monat Februar 2020

Syrien/Türkei: Der Bruch des Völkerrechts als Bündnisfall?

Es kam, wie es kommen musste! Die Duldung einer militärischen Aggression im Sinne des Völkerrechts hat zu einer Lage geführt, die besonnen ausgedrückt als prekär gekennzeichnet werden muss. Und selbst das Motiv der Handlung ist in den Statuten der NATO nicht als Ursache für den Bündnisfall vorgesehen. Aber wer sich auf die Akzeptanz von abweichendem Verhalten einlässt, darf sich nicht wundern, wenn die Spirale weitergeht. Die Türkei ist dabei, einen Konflikt weiterzutreiben, der nicht nur dort, wo sie bereits aktiv ist, zu verheerenden Wirkungen führt, sondern es ist abzusehen, dass eine Kettenreaktion zu kriegerischen Handlungen führen wird, die als ein Flächenbrand enden können.

Das militärische Eindringen der Türkei auf syrisches Staatsgebiet wurde zwar mit eigenen Sicherheitsinteressen begründet, hatte und hat aber zum Ziel, die Kurdenfrage ein für alle Mal im Sinne des neuen osmanischen Imperialismus zu lösen. Es ging von Anfang an darum, die auf syrischem Gebiet lebenden Kurden zu vernichten oder zumindest zu zerstreuen. Eine tatsächliche Bedrohung türkischen Hoheitsgebietes, weder durch kurdische Peschmerga noch durch syrische Einheiten stand nie zur Debatte. Dennoch wurde seitens der NATO die Aggressionshandlung gebilligt. Dass die türkische Operation sich nun als ein im wahren Sinnes des Wortes als ein Schuss nach hinten herausstellt und eine aus Sicht Edogans schmachvolle Niederlage andeutet, bringt ihn auf die grandiose Idee, bei der NATO den Bündnisfall einzufordern.

Dass diese Forderung eskortiert wird von einem Erpressungsversuch, macht die Sache noch unappetitlicher. Das türkische Außenministerium betonte, sollte keine Hilfe kommen, würde man die Grenzen nach Europa für die zwei Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich auf türkischem Staatsgebiet aufhalten, öffnen. Letzteres kann als eine Drohung verstanden werden, die nicht nur in Deutschland zu traumatischen Reaktionen führt.

Was zeigen diese Vorfälle? Sie machen deutlich, dass Mangel an Haltung sehr oft zum Dilemma führt. Oder anders, um den ganz dem Volksmund entlehnten Satz zu zitieren: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Die Contenance ist längst verloren, wenn man betrachtet, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass ein Verteidigungsfall, und nur dazu sind militärische Operationen vorgesehen, dann vorliegt, wenn das eigene Hoheitsgebiet bedroht ist. Mit dem, anders kann es nicht genannt werden, mit dem Geschwafel von den deutschen Interessen, die auch am Hindukusch verteidigt werden, wurde bereits vor langer Zeit der Grundstein gelegt für eine verfassungsmäßig nich vorgesehene Politik der Einmischung in das Geschehen anderer Länder. Alles, was folgte, war folgerichtig. Und zwar die folgerichtige Entwicklung eines Fehlers, der, je weiter die Verstrickungen fortschritten, zu immer größeren Verwerfungen führte und weiter führen wird.

Die demagogische Begründung von Kriegshandlungen mit dem Argument der Werte, die natürlich exklusiv auf deutschem Boden definiert werden, ist ein Muster, das seit den Balkankriegen immer wieder verwendet wird. So ist es kein Wunder, dass just in dem Moment, als die türkische Aggression in Syrien vor einem Debakel für die Invasoren zu werden scheint, der deutsche Außenminister mit der humanitären Lage in Syrien genau diese Argumentation wieder aufgreift. Insofern ist davon auszugehen, dass ein Lernprozess weder stattgefunden hat noch zu erwarten ist. Die humanitäre Katastrophe der durch die Invasion betroffenen Kurden ist damit nicht gemeint. Wird deren Vernichtung, wie es so fruchtbar heißt, billigend in Kauf genommen, damit der Erpresser vom Bosporus nicht die Schleusen öffnet, und die syrischen Kriegsflüchtlinge wieder auf den europäischen Kontinent ziehen lässt? Vieles spricht dafür. Wie kann das Schurkenstück zusammengefasst werden? NATO wie Europa lassen sich von einem Kriegstreiber erpressen. Die Frage, um die es geht, ist recht schlicht zu formulieren: Führt der Bruch des Völkerrechts zum Bündnisfall?

Manmade Tsunami in the City – Ein Gastbeitrag von Gero von Harder aus Jakarta

Manmade Tsunami in the City

Gero von Harder

Jakarta, am 25. Januar 2020 handgeschrieben

Es ist schon ein merkwuerdiger Zufall, dass ich heute ein Buch von Tiziano Terzani (A Fortune Teller Told Me) beendet habe, das seine einjaehrige Abstinenz von Flugreisen als Spiegel-Auslandskorrespondenz in Asien beschreibt. Gleichzeitig geriet ich selbst unfreiwillig in eine andere Abstinenz. 

Was war passiert? Meine Umgebung wurde nach haeufigen schweren Regenfaellen in den letzten Tagen “geflutet”, was gleichbedeutend mit Ueberschwemmung und Abschaltung der Stromversorgung ist, um Braende zu verhindern. Als erstes war ich erst einmal stinksauer, denn die Ueberschwemmung war nicht notwendig gewesen. 

Zur Erklaerung: In der naeheren Umgebung hat die Marine einen Wohnkomplex fuer ihre Angehoerigen gebaut, sicherlich nicht fuer die niedrigen Grade. Schon bei Baubeginn vor ueber 30 Jahren lag das Gebiet unter dem Meeresspiegel. (Zu dem damaligen Zeitpunkt lagen nur 10 % von Jakarta unter dem Meeresspiegel, heute sind es 40 %.) Von der Stadt wurde eine Schleuse gebaut, um das Wasser in der Regenzeit zu kontrollieren. Eigentlich sollten Fachleute der Stadt die Schleuse bedienen. Doch Marineangehoerige wollten sicherstellen, dass sie immer trockenen Fusses nach Hause kommen koennen. Also haben sie eigene Leute mit MPis bewaffnet dorthin abkommandiert und zum militaerischen Sperrgebiet erklaert, zwar illegal, aber wer etwas dagegen hat, laeuft Gefahr, sich danach mit einer Bleivergiftung herumschlagen zu muessen.

Nun fallen Marinekraefte eigentlich nicht durch Schleusenkenntnisse auf. Wenn einem hoeheren Grad jedoch einfaellt, dass sein Haeuschen demnaechst unter Wasser stehen koennte, gibt er den Befehl, die Schleusen voll zu oeffnen, damit es die Nachbarn abbekommen, natuerlich ohne Vorwarnung und morgens um 2 oder 3 Uhr. Da kommen derartige Wassermassen, dass in ein bis maximal 2 Stunden Hunderte von Haeusern 30 – 40 cm unter Wasser stehen. Hier gibt es eine recht gute Drainage, aber solche Massen in einem  so kurzem Zeitraum schafft das System nicht. Warum diese Doedel das Wasser nicht langsamer und frueher ablassen konnten, ist wohl nur einem militaerischen Dickschaedel verstaendlich. Dann haette es die Drainage geschafft, denn nach 24 Stunden ist das Wasser abgeflossen.

Die Verluste sind betraechtlich, denn die Gegend gilt als ueberschwemmungssicher. Deswegen stellt man auch wasseranfaelligere Sachen in Bodennaehe. Nicht doll, wenn man Sachen in der Wohnung herumschwimmen sieht, die vollen Buecherschraenke die 3 unteren Buchreihen unter Wasser stehen und der Kuehlschrank wohl seinen Geist aufgegeben hat. Fuer Autobesitzer steht die Freude eines abgesoffenen Wagens vor der Tuer. Motorraeder werden manchmal gerettet, indem sie in das Obergeschoss gebracht werden, wenn nicht vorhanden, dann beim zweistoeckigen Nachbarn. (Schon ueberraschend, wenn man schlaefrig aus dem Schlafzimmer kommt und vor einem fremden Motorrad steht. Mir vor ca. 15 Jahren passiert. Gott, hatte ich damals noch einen guten Schlaf!) 

Wenn man sich ueber all diese Dinge wieder abgeregt hat, was einfacher in einem zweistoeckigen Haus ist (unten nass, oben tendenziell trockener, wenn das Dach dem Regen an entscheidenden Stellen standhaelt – es hielt), beginnt die Tageswirklichkeit. Und da ist die Ueberschwemmung zwar aergerlich, aber der Stromausfall haut voll rein. Nun merkt man einmal, wie abhaengig wir inzwischen von Elektrizitaet sind. 

Hier in Jakarta gibt es dann auch kein Leitungswasser. Nach einer Toilettenspuelung ist der leichte Plastikeimer (Gott sei Dank noch nicht wieder aus Eisen)  und der Gang in den ueberschwemmten Teil der Wohnung zum Wasserholen angesagt. Unwahrscheinlich, wie sich da der Wasserverbrauch fuer Toilettenspuelungen reduziert. Duschen faellt komplett aus. Man kann auch nicht die durch die Ueberschwemmung verdreckte Waesche per Hand waschen. So etwas macht man hier noch.

Morgens ist es relativ ruhig, denn nur wenige Mullahs haben einen Genset und nicht viele haben eine so kraeftige Stimme, dass sie auch ohne Lautsprecher auskommen. Sicherlich wird es bald mehr Generatoren geben, denn durch Besitz von einem konnten drei von ihnen den Rest der Kollegen vorfuehren.

Wenn man einen Elektroherd hat, dann fallen der Morgenkaffee und das Morgenei aus, Mittagessen sowieso, Nachmittagstee ist sich nichts und Abendessen der Tagestempe- ratur entsprechend warm. Sollte man eine Tiefkuehltruhe haben, sollte der Stromausfall nicht zu lange dauern, denn nach einer Weile stinkt es, und die Nachbarn koennen die Nahrungsmittel auch nicht gebrauchen, weil sie ja auch nichts verarbeiten koennen. Uebrigens pflegen Tiefkuehltruhen nicht im oberen Stockwerk zu stehen, was Wasserschaeden sehr wahrscheinlich macht.

Stromausfaelle wegen schwerer Regenfaelle gab es  seit Neujahr schon mehrfach. (Diese Regenzeit ist extreme niederschlagsreich mit den hoechsten Tages-Niederschlaegen seit ueber 100 Jahren.) Dann fuhr man einfach in eine der fast 300 Malls von Jakarta mit ihren eigenen Generatoren, wo es Dutzende von Restaurants, Cafes und Bars drinnen und oft auch im Freien gibt. WLAN gibt es ebenso, sonst kaeme kein Kunde. Nur gab es da keine Ueberschwemmung in meiner Gegend, jetzt aber war der Verkehr total ins Wasser gefallen. Paar Kilometer Wassertreten mit vielen Schlagloechern ist keine echte Alternative.

Dann merkt man erst richtig, dass es noch ganz andere Dinge gibt, die den Lebens-rhythmus durcheinanderbringen. So gibt es kein Licht, und hier in der Naehe des Aequators ist es knapp 12 Stunden am Tag dunkel. Was macht man nun am Abend? Lesen? Bei Kerzenlicht, wenn hoffentlich noch vorraetig? Kein grosses Vergnuegen. Die alte Petromaxlampe, mit der man die Lichtstaerke per Pumpe regulierte, ist schon seit langem nicht mehr im Haus. Kann man sich ja einen gemuetlichen Abend mit dem Mitbewohner machen (PartnerIn, Untermieter, Freund, was immer, wenn ueberhaupt vorhanden). Anderes? Wer hat noch Spiele Zuhause oder ein nicht-elektrisches Musik-instrument?

Aber was wir reichlich haben, dass ist elektronische Kommunikation, von der man nun ohne Strom ausgeschlossen ist. Ich lasse hier einmal TV und Radio beiseite, die auch wegfallen. Handy, Tablet, Laptop laufen noch so lange wie die Batterien halten, Wiederaufladen derzeit nicht moeglich. Wenn man am Kabel haengt, hilft auch kein Laptop mehr. (Gibt natuerlich noch andere Wege, die dann alle anderen auch nutzen wollen, was zur Ueberlastung der Sendewege und damit auch zum Absturz fuehrt.)

Von Nachrichten und Informationen ist man abgeschnitten. Eine Nachrichtenstille moechte ein jeder wohl gern ab und an haben, hat er bloss nie, weil er sie eigentlich gar nicht moechte. Bei Stromausfall ist Nachrichtenentzug von aussen verordnet. Das stoert uns doch nicht! Wir sind natuerlich stark und von nichts abhaengig! Deswegen stehen wir darueber! Nur das Wahlergebnis von Hamburg haette ich doch ganz gern gewusst.

Schon interessant, einmal fuer etwas laenger (wir reden ueber ein bis zwei Tage)  ohne Strom zu sein. Es laesst Zusammenhaenge, Abhaengigkeiten, Selbstverstaendlichkeiten in einem anderen Licht erscheinen. Danke fuer diese Erfahrung. Ich brauche sie nicht weiter zu vertiefen. Schliesslich habe ich erst vor drei Tagen meinen PC fuer einige Piepen reparieren lassen. Ach ja, irgendwann werde ich mich auch auf die Suche nach einem Ersatz fuer den Kuehlschrank machen, der ueber das Wasser so toedlich beleidigt war. Das hat aber Zeit.