Es kam, wie es kommen musste! Die Duldung einer militärischen Aggression im Sinne des Völkerrechts hat zu einer Lage geführt, die besonnen ausgedrückt als prekär gekennzeichnet werden muss. Und selbst das Motiv der Handlung ist in den Statuten der NATO nicht als Ursache für den Bündnisfall vorgesehen. Aber wer sich auf die Akzeptanz von abweichendem Verhalten einlässt, darf sich nicht wundern, wenn die Spirale weitergeht. Die Türkei ist dabei, einen Konflikt weiterzutreiben, der nicht nur dort, wo sie bereits aktiv ist, zu verheerenden Wirkungen führt, sondern es ist abzusehen, dass eine Kettenreaktion zu kriegerischen Handlungen führen wird, die als ein Flächenbrand enden können.
Das militärische Eindringen der Türkei auf syrisches Staatsgebiet wurde zwar mit eigenen Sicherheitsinteressen begründet, hatte und hat aber zum Ziel, die Kurdenfrage ein für alle Mal im Sinne des neuen osmanischen Imperialismus zu lösen. Es ging von Anfang an darum, die auf syrischem Gebiet lebenden Kurden zu vernichten oder zumindest zu zerstreuen. Eine tatsächliche Bedrohung türkischen Hoheitsgebietes, weder durch kurdische Peschmerga noch durch syrische Einheiten stand nie zur Debatte. Dennoch wurde seitens der NATO die Aggressionshandlung gebilligt. Dass die türkische Operation sich nun als ein im wahren Sinnes des Wortes als ein Schuss nach hinten herausstellt und eine aus Sicht Edogans schmachvolle Niederlage andeutet, bringt ihn auf die grandiose Idee, bei der NATO den Bündnisfall einzufordern.
Dass diese Forderung eskortiert wird von einem Erpressungsversuch, macht die Sache noch unappetitlicher. Das türkische Außenministerium betonte, sollte keine Hilfe kommen, würde man die Grenzen nach Europa für die zwei Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich auf türkischem Staatsgebiet aufhalten, öffnen. Letzteres kann als eine Drohung verstanden werden, die nicht nur in Deutschland zu traumatischen Reaktionen führt.
Was zeigen diese Vorfälle? Sie machen deutlich, dass Mangel an Haltung sehr oft zum Dilemma führt. Oder anders, um den ganz dem Volksmund entlehnten Satz zu zitieren: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Die Contenance ist längst verloren, wenn man betrachtet, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass ein Verteidigungsfall, und nur dazu sind militärische Operationen vorgesehen, dann vorliegt, wenn das eigene Hoheitsgebiet bedroht ist. Mit dem, anders kann es nicht genannt werden, mit dem Geschwafel von den deutschen Interessen, die auch am Hindukusch verteidigt werden, wurde bereits vor langer Zeit der Grundstein gelegt für eine verfassungsmäßig nich vorgesehene Politik der Einmischung in das Geschehen anderer Länder. Alles, was folgte, war folgerichtig. Und zwar die folgerichtige Entwicklung eines Fehlers, der, je weiter die Verstrickungen fortschritten, zu immer größeren Verwerfungen führte und weiter führen wird.
Die demagogische Begründung von Kriegshandlungen mit dem Argument der Werte, die natürlich exklusiv auf deutschem Boden definiert werden, ist ein Muster, das seit den Balkankriegen immer wieder verwendet wird. So ist es kein Wunder, dass just in dem Moment, als die türkische Aggression in Syrien vor einem Debakel für die Invasoren zu werden scheint, der deutsche Außenminister mit der humanitären Lage in Syrien genau diese Argumentation wieder aufgreift. Insofern ist davon auszugehen, dass ein Lernprozess weder stattgefunden hat noch zu erwarten ist. Die humanitäre Katastrophe der durch die Invasion betroffenen Kurden ist damit nicht gemeint. Wird deren Vernichtung, wie es so fruchtbar heißt, billigend in Kauf genommen, damit der Erpresser vom Bosporus nicht die Schleusen öffnet, und die syrischen Kriegsflüchtlinge wieder auf den europäischen Kontinent ziehen lässt? Vieles spricht dafür. Wie kann das Schurkenstück zusammengefasst werden? NATO wie Europa lassen sich von einem Kriegstreiber erpressen. Die Frage, um die es geht, ist recht schlicht zu formulieren: Führt der Bruch des Völkerrechts zum Bündnisfall?
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