Archiv für den Monat März 2012

Stamokap reloaded

Ist liegt ja auch nahe! Nach den verschiedenen Sortimenten von Rettungsschirmen für Länder, denen man überdimensioniertes und teures Rüstungsgut verkauft hat, nach der Bergung systemisch relevanter Banken aus der Brandung der Weltfinanzkrise, nach der Subvention der Sonnenenergie und nach immer wiederkehrenden Trockenübungen zur Rettung mal einer Baufirma und mal eines Automobilkonzerns – nach all dem und noch viel mehr drängt sich die Notwendigkeit auf, dass die staatliche Intervention auch im Falle der Pleite der Handelskette Schlecker das Natürlichste von der Welt sei. Wieder, wie immer in derartigen Situationen, springen die Ziehsöhne des staatsmonopolistischen Kapitalismus in die Bresche und watschen den vermeintlichen Liberalismus und den freien Markt ab, um ihren geliebten Vater Staat wieder ins Spiel zu bringen.

Seit Jahren, bis hin zur angekündigten Insolvenz des besagten Unternehmens, galt dieses als Musterbeispiel für schlechtes Wirtschaften und eine miserable Firmenkultur. Übrigens zu Recht! Vom Firmenkonzept her gab es keine Alleinstellungsmerkmale für das Sortiment, die geographische Nähe verschiedener Filialen in den Ballungszentren war absurd und unwirtschaftlich, das Personal schlecht bezahlt, schlecht qualifiziert und zudem bespitzelt. Es kam so alles zusammen, was man aufzählen kann, um einem Unternehmen in heutiger Zeit eine schlechte Prognose zu geben.

Nun, da eingetreten ist, was vorherzusehen war, geht ein Aufschrei durch die Republik. Man müsse, so der Tenor, den betroffenen, vor allem weiblichen Mitarbeiterinnen helfen, indem man staatlicherseits sich an der Finanzierung von Auffanggesellschaften beteiligt, um den Mitarbeiterinnen eine Chance auf Wiedereingliederung in das Arbeitsleben zu geben. Belegt wird dieses Ansinnen, auf das die politischen Kreuzritter der Staatsintervention aufspringen wie auf ein Traumpferd, durch keinerlei Fakten. Auffanggesellschaften sind schlichtweg nicht effektiver im Sinne der Betroffenen als die Bundesagentur für Arbeit. Aber das Signal ist ein anderes.

Alles, was die Chance auftut, die Einflussmöglichkeiten des Staates zu erhöhen, wird natürlich nicht gepriesen als Machterweiterung der politischen Klasse und weitere Entmündigung der Gesellschaft. Nein, das Verkaufsmotto ist die soziale Fürsorge. Rein etymologisch beinhaltet der Begriff Fürsorge jedoch schon das inhärente politische Programm. Es wird unterstellt, dass die Bürger nicht selbst für sich sorgen können, sondern dass es Staatsinstitutionen sein müssen, die die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen. Das ist sehr deutsch und sehr autoritätsgläubig und erzieht zu Abhängigkeiten, die in der totalitären Tradition eines Landes stehen, dass sich anscheinend per se durch das kollektive Psychogramm nicht für den Teil der Eigenverantwortung in der Demokratie eignet.

Eine Lehre aus der Talfahrt des besagten Unternehmens kann nur sein, dass man wirtschaftlich agieren muss, dass es dazu gehört, qualifizierte und selbstbewusste Beschäftigte zu haben, die mit Intelligenz und Kreativität ihre Arbeit machen. Dazu gehören Beteiligungsformen sowie Bildung und Qualifikation. Davon redet im Moment niemand, sondern es ist von Schicksal die Rede. Im Schicksal jedoch schwingt der Fatalismus des Individuums mit. Letzteres gehört zum emotionalen Programm der Verfechter des Staatsinterventionismus.

Informelle Erziehungsinstitutionen

Es ist noch gar nicht solange her, da berichteten deutsche USA-Reisende voller Spott von Erlebnissen mit dem amerikanischen Fernsehen. Da hatte man dann schon morgens im Motel beim Zähneputzen Spots im TV gesehen, in denen davor gewarnt wurde, das eigene Haustier in der Microwelle zu trocknen oder mit einer brennenden Zigarette im Mund beim Tanken in den eigenen Füllstutzen zu schielen, um sich zu vergewissern, ob er auch voll ist. In den achtziger und frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts sorgten derartige Erlebnisse noch für große Belustigung. Ein Blick auf das zeitgenössische Fernsehen hierzulande lässt allerdings feststellen, dass das Phänomen zu uns über den Atlantik geschwappt ist.

Die stereotype Erklärung für alles, was einem nicht schmeckt, es handele sich halt um die Amerikanisierung, ist eine gesonderte, eher psychoanalytische Betrachtung wert, weil die Ambivalenz der Deutschen zu den USA eine besondere ist. Jenseits der Polemik ist jedoch in den erwähnten Spots diesseits und jenseits des Atlantiks eine Entwicklung zu beobachten, die etwas zu tun hat mit der Erosion der traditionellen formellen wie informellen Erziehungsinstitutionen.

Bleiben wir in unserem eigenen Land. Wie so oft gehen wir in Deutschland einen Sonderweg, in dem wir Erziehung und Bildung trennen, d.h. die Erziehungsleistung wird sogar gesetzlich exklusiv dem Elternhaus zugesprochen, die Vermittlung von Wissen hingegen der Schule und nachfolgenden staatlichen Institutionen. Das hat einige Jahrzehnte ganz gut funktioniert, seit nahezu zwanzig Jahren wird jedoch beklagt, dass die Erziehung immer weniger in den Elternhäusern vonstatten geht und wir es daher mit einem dramatischen Mangel an sozialer Kompetenz und einem Verfall der Werte zu tun haben. Das scheint zum Teil zuzutreffen, trifft aber nur einen, wenn auch wichtigen Aspekt.

Einer der größten Erzieher im letzten Jahrhundert war die Industrie. Das hohe Maß an Organisation und die Notwendigkeit, mit großen Menschenmassen innerhalb diesem hohen Organisationsgrad zu agieren, hat dazu geführt, dass das klassische Proletariat in Bezug auf soziale Verhaltensnormen mehr in der Fabrik als in der eigenen Familie gelernt hat. Mit dem quantitativen Niedergang der Industrieproduktion in einem Land wie Deutschland hat sich der wohl größte Erzieher jenseits der Elternhäuser verabschiedet. Individualisierung und auch wirtschaftlich freie sowie temporäre Assoziation haben aus der Referenz der Massenproduktion ein Museumsstück gemacht.

An ihre Stelle sind in starkem Maße die Medien getreten, die jederzeit zugänglich sind und den Verlust direkter sozialer Kontakte seit langem kompensieren. Und ähnlich wie in den noch vor wenigen Jahrzehnten verspotteten US-TV-Spots, sind es nun hierzulande so genannte Reality-Shows, die die Misere schildern. In Gerichtsepisoden wird mit abstrusen, aber doch wohl massenhaft vorkommenden Sozialmustern das hiesige Rechtssystem erklärt und in Polit-Talkshows paradigmatisch über politische Sachverhalte und die dazu notwendigen Entscheidungen räsoniert. Die Medien sind längst zur informellen, aber wirkungsvollen Erziehungsinstitution Nummer Eins geworden und haben die Industrie abgelöst. Angesichts dieses Stellenwertes ist es inakzeptabel, sich von ihnen mit einer nonchalanten Haltung zu distanzieren. Sie sind zu Zentren der Macht und Indoktrination geworden und nicht die Privatangelegenheit von Unterschichten.

Ein innerer Kampf zwischen Misanthropie und Humanismus

Louis Begley. Schmidt Delivered

Louis Begley hat sich von der Nachfrage hinreißen lassen. Nach dem Erfolg von About Schmidt schrieb er an der Erzählung über den pensionierten Rechtsanwalt Albert Schmidt weiter und entdeckte dabei immer neue Nuancen einer aus der Distanz betrachtet langweiligen, im Kern jedoch turbulenten Biographie. Denn im Grunde genommen sind die die Leidenschaft inspirierenden Universalthemen wie Liebe, Geld, Macht, Hass und Eifersucht bereits in der ersten Erzählung angelegt und nehmen in der Folge unter dem Titel Schmidt Delivered noch an Intensität zu.

Ohne der weiteren Handlung vorzugreifen bzw. Ärger durch das Ausplaudern des weiteren Fortgangs provozieren zu wollen, bleiben die wesentlichen Baustellen des wohlhabenden Rentners Schmidt virulent. Das Verhältnis zu seiner Tochter, die ihrem jüdischen Ehemann und ihren Psychoanalytiker-Schwiegereltern näher steht wie ihrem Vater ist ein ewiger Stachel im Fleisch. Carrie, die ehemalige Kellnerin in seinem Stammlokal, puertoricanisch, jung und lebenshungrig, realisiert zunehmend, dass ihr ein vierzig Jahre älterer Mann doch mehr den Vater als den feurigen Liebhaber ersetzt. Und die Verwaltung seines Vermögens, auf das die eine oder andere der jungen Frauen spekulieren, wird ihm zunehmend zur Bürde.

Die ihn belastenden emotionalen Verhältnisse werden nicht gerade aufgewogen, aber sie erhalten einen neuen Stellenwert durch das Auftauchen eines neureichen ägyptischen Juden, der Schmidt Freundschaftsavancen und Geschäftsangebote macht, um sich in der alten Ostküstenoberschicht zu etablieren. Die Hybris des Tycoons irritiert Schmidt, er fühlt sich aber auch geschmeichelt und kann nicht widerstehen. Letztendlich verliert Schmidt viel in seinen Beziehungen, gewinnt aber bei der Realisierung einer neuen Lebensaufgabe, bei der er seine gründliche und reichhaltige Berufserfahrung in die Waagschale werfen kann und zudem an materiellem Reichtum dazu gewinnt.

Auch in Schmidt Delivered gelingt es Louis Begley, eine große Erzählung fortzuschreiben. Die epische Qualität generiert sich aus den Reflexionen des Protagonisten. Schmidts weitschweifige Gedanken nehmen selbstverständlich Dynamik aus der Handlung, aber sie dokumentieren gerade dadurch die Taktung seines tatsächlichen Lebens. Die Leserschaft bekommt durch die literarische Komposition eine sprachliche wie syntaktische Vorstellung des Rentnerdaseins. Die vergleichsweise spärlichen Handlungen werden eingebettet in ein Räsonnement, gespeist aus einer reichhaltigen Vergangenheit und einem tiefen Misstrauen gegenüber der Zukunft.

Die Größe der Erzählung liegt nicht in den skurrilen Ereignissen, die zweifelsohne vorkommen, sondern in der enttäuschten Menschlichkeit und in einem daraus entstehenden inneren Kampf zwischen Misanthropie und Humanismus. Schmidt Delivered als Fortsetzung von About Schmidt weist durchaus Analogien zu großen russischen Erzählungen Gogols oder Chechovs auf, in denen das Individuum zum Mikrokosmos untergehender und neu entstehender Welten wird. Das ist ein komplett anderer Horizont als der aus der ersten Erzählung gerippte Film, der seine Meriten durch die Darstellung des Grotesken gewann. Begleys Erzählung erschließt mehr, sie ist emotional und intellektuell anspruchsvoll und bietet Tiefe.