Archiv für den Monat April 2013

Konsequent wie unbeugsam

Christopher Hitchens. The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen

Christopher Hitchens, kurz The Hitch genannt, galt sowohl in seinem Heimatland Großbritannien als auch seiner späteren Wahlheimat, den USA, als einer der bissigsten und unbequemsten Journalisten. In Deutschland wurde er erst spät aufgrund seiner wüsten, unerbittlichen Religionskritik zur Kenntnis genommen, welche in dem Buch Der Herr ist kein Hirte (2007) Ausdruck fand. Noch bevor bei streitbaren und strittigen Journalisten Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde, schrieb er seine Memoiren unter dem Titel The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen. Im Jahr 2011, ein Jahr nach Erscheinen der Erstausgabe, verstarb der Autor 61jährig in Texas.

Die vorliegende Autobiographie ist für einen Deutschen Leser vor allem interessant, weil es durchweg um Politik geht, die von ihrer Wirkung auch in Deutschland eine große Rolle gespielt hat, in Großbritannien und den USA aber ganz anders diskutiert wurde. Neben der beeindruckenden Schilderung über seine frühe Sozialisation, die in einer Navy-Familie mit post-kolonialem Aroma stattfand und sich dann auf Schulen in Cambridge und einem Studium in Oxford fortsetzte, ist überaus aufschlussreich, wie sich der junge Hitchens aufgrund seines Gerechtigkeitsgefühls und seiner Kriegsgegnerschaft zu einem Trotzkisten entwickelte und aus dieser revolutionären Attitüde heraus journalistisch zu arbeiten begann.

Das Wertvollle an dem vorliegenden Buch ist die undogmatische und tabulose Herangehensweise an das Zeitgeschehen und die Vermittlung profunder Erkenntnisse in nahezu lakonischen Sätzen. Wenn Hitchens schreibt, irgendwann Ende der siebziger Jahre sei ihm aufgefallen, dass Diskussionsredner plötzlich begannen, ihrer Rede einen Exkurs über ihre Gruppenzugehörigkeit vorauszuschicken und daraus allein schon Legitimation und Verdienst ableiteten, dann ist das nahezu eine seismographische Beobachtungsgabe, die die Abkoppelung des Leistungsgedankens von der politischen Legitimation in den spätkapitalistischen Gesellschaften zum Gegenstand hat. Hitchens beschreibt sehr eindrucksvoll, wie ihm die Entwicklung in Großbritannien den Garaus gemacht hat und letztendlich welche Motive es waren, die ihn veranlassten, seiner von Margaret Thatcher kontaminierten Heimat den Rücken zuzukehren und in die USA zu emigrieren.

Doch auch dort blieb er der Kritiker und der Engagierte. Vor allem sein bedingungsloses Eintreten für Salman Rushdie, dem von der iranischen Fatwa bedrohten britischen Schriftsteller, ist ein Lehrstück über die Doppeldeutigkeit und, wenn man so will, Verlogenheit der Politik im Westen. Hitchens zeichnet unbarmherzig die Linien des Opportunismus und der Kälte, die letztendlich die Schwäche der westlichen Demokratien zunehmend hervortreten lassen. Die Inkonsequenz im Prinzip als die opportunistische Variante eines um sich greifenden Populismus ist es, die Hitchens immer wieder analysiert und anklagt.

Und richtig böse wird es in Bezug auf die Politik im Nahen Osten, vor allem den Irak. Hitchens, der selbst oft dorthin reiste und das Land des Saddam Hussein bereits in Zeiten kannte, als der Diktator noch als Verbündeter des Westens galt, rechnet sowohl mit der amerikanischen Bündnispolitik als auch mit der Linken ab, die sich später so vehement gegen den Irak-Krieg wandte. Man stelle sich vor, so schreibt er, in London hätten eine Millionen liberale und humanistische Leute aus pazifistischen Motiven gegen den Krieg gegen den Faschismus demonstriert. Hitchens nennt unzählige Beispiele, um das Grausame und Faschistoide der Hussein-Herrschaft zu illustrieren. Er plädiert für den Krieg, ohne das Schmerzhafte in seinem eigenen Erkenntnisprozess auszusparen.

Hitchens Buch ist in allen historischen Fällen, die es schildert, konsequent wie unbequem. Das sind Eigenschaften, die wir uns für Journalisten so sehr wünschen. Schade, dass The Hitch nicht mehr schreiben wird! Um sehr mehr ein Argument dafür, das zu lesen, was er geschrieben hat!

Oberschichtenkriminalität

Nun haben wir wieder eine schöne, emotional aufgeladene Symboldiskussion. Es geht nicht um klare Gedanken und Sachverhalte, sondern um emotionale Zonen und intellektuelles Niemandsland. Der „Fall“ des Bayernpräsidenten ist nur insofern interessant, als dass er in beeindruckendem Maße das vorexerziert, was die meisten hierzulande eben nicht zu Staatsbürgern im modernen Sinne macht.

Dadurch, dass eine Person des öffentlichen Lebens, die sich nicht nur gerne mit dem Erfolg, sondern auch mit einem hohen moralischen Anspruch geschmückt hat, nun als krimineller Vergehen schuldig herauszustellen droht, hat eine Debatte entfacht, die mit dem Sachverhalt nur noch wenig zu tun hat. Da werden plötzlich Sympathien und Antipathien für oder gegen einen Fußballverein mobilisiert, da werden Kritiker des kriminellen Verhaltens als Hasser und Schlammwerfer diskriminiert, aber die staatsbürgerliche Räson, die bleibt auf der Strecke.

Letztere muss in erster Linie muss nur betonen, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Und sie muss klären, ob es Sinn macht, sich einer unterschiedlichen, inkonsistenten Logik hinsichtlich verschiedener Strafdelikte zu verschreiben, weil der Staat Geld braucht. Keine Diebin und kein Dieb, keine Räuberin und kein Räuber und keine Mörderin und kein Mörder können sich mit einer Selbstanzeige exkulpieren. Es wäre auch ein Skandal für jedes Rechtsempfinden. Die Ausnahme für den Steuerbetrug, die aus dem 19. Jahrhundert stammt, muss schlichtweg revidiert werden.

Was aus der Perspektive der Staatsräson so einfach aussieht, wird aus der der Emotion zu einem Gemisch aus Ressentiment und intellektuellem Desaster. Der Schlüssel zu dieser sanguinischen Aufladung liegt an der moralisierenden, moralistischen Chiffrierung von Hoeneß´ Handlungsweisen. Wer moralisiert und fällt, fällt bekanntlich tief. So gesehen, sind wir momentan Beobachter des Falles Wulff, Teil II.

Und das wäre alles gar nicht so tragisch, wenn es nicht etwas andeutete, was die Republik noch schwer wird erschüttern können. Hinsichtlich der Eliten und ihres Verhaltens beginnen wir es mit einem Massenphänomen zu tun zu bekommen. Es geht nicht nur um Sonderinteressen in der Schulpolitik, um die Privilegierung des eigenen Stadtteils oder die Steuermillionen, die in Form des Kulturetats den Oberschichten nahezu exklusiv zugutekommen, sondern es geht um eine Massenflucht der Elite aus dem Solidarpakt der gesamten Gesellschaft. Es hat sich ein Egoismus etabliert, der durch keine Form der punktuellen Wohltätigkeit kompensiert werden kann.

Das einzige Mittel, das die Gesellschaft hat, um der Tendenz der Entsolidarisierung Grenzen zu setzen, ist das Gesetz. Dieses in dem historischen Kontext, in dem wir uns befinden, relativieren zu wollen, ist nicht nur unverantwortlich, sondern auch lebensgefährlich. Gleiches für Gleiches und die Gleichheit vor dem Gesetz ist das Mindeste, was zu fordern ist.

Das Recht allein und seine Anwendung jedoch werden nicht ausreichen, die moralische Erosion der als Moralisten durch die Welt krakeelenden Elite aufzuhalten. Ihre gesellschaftliche Ächtung wird wohl kommen, aber nur, wenn sich auch diejenigen, die rechtskonform und vorbildlich handeln, endlich die Courage aufbringen, die Luftikusse aus dem eigenen Lager zu kritisieren. Ein anderes Kapitel sind die Moralisierer per se. Von ihnen wimmelt es in der gegenwärtigen Politik. Werden sie ähnlich entlarvt wie gegenwärtig der Bayernpräsident, dann rauscht das gesamte politische System in eine Existenzkrise.

Die Leere im öffentlichen Raum

Ein Blick auf die Objekte im öffentlichen Raum reicht aus. Nichts, was nicht auf eine epochale Entwicklung hindeutete. Die Ära, in der wir uns befinden, ist die des Eklektizismus. Stilrichtungen mit einem unverbrüchlichen Charakter, einer deutlichen Ästhetik und einer frappierenden Sinngebung ist unter den gegebenen Umständen eher die Ausnahme. Das Geniale der Individuation einer Klasse ist der sozialen Diversifikation zum Opfer gefallen und die großen Ideen, die ganze Zeitalter gefesselt haben, werden zu oft verscherbelt an den opportunistischen Deal der da heißt Konsensdemokratie. Darunter leidet nicht nur die mentale Volksgesundheit, sondern auch die platzierte Architektur, die in ihrer Mediokrität noch eskortiert wird von Planfeststellungs- und Anhörungsverfahren, die nicht unbedingt zur Schönheit beitragen.

Was will man erwarten, wenn Ideen vom Prinzip her so verwässert werden müssen, dass sie nichts mehr aussagen, wenn Positionen so vernebelt werden müssen, dass sie nicht mehr zu orten sind und das Werte so verwischt werden müssen, dass sie nicht mehr darstellbar sind. Man hat das Gefühl, als seien alle Metaphern zum Teufel gejagt. Alles, was große Ideen vergegenständlichen könnte, gilt als Blasphemie, als wären wir in einer intellektuellen Phase der radikalen Islamisierung. Vergegenständlichung von Ideen allein über die große Idee sind bereits Gotteslästerung. Doch während im Islam hinter dem Verbot der Vergegenständlichung unübersehbar das Gebot der Demut sichtbar wird, ist die Auflösung der Metaphern im Orkus der Postdemokratie wohl eher die Sinnentleerung der politischen Vision zu vermuten.

Kunst im öffentlichen Raum war immer das Koordinatensystem für das Denken und Werten der sich darin bewegenden sozialen Wesen. Ihre Ängste, Flüche und Visionen ein Rekurs auf die Verarbeitung der konkreten Geschichte im kollektiven Lernprozess. In den Gesellschaften von Pionieren deutet vieles auf Schlichtheit und Stärke, in den kulturell gesetzten Formationen verrät diese Architektur das Sublime und eine hohe Stufe der Zivilisation, in den totalitären Staaten das Monströse und in den Niedergehenden die konzeptionelle Inkonsistenz und das Nichtige.

Sehen wir uns die aktuelle Architektur im öffentlichen Raum an, dann müssen wir leider feststellen, dass der Pioniergeist nirgendwo, das Gesetzte allenfalls sporadisch und das Nichtige flächendeckend zu verzeichnen ist. Die Botschaft, die wir mit jedem Mahnmal der Nichtigkeit und des Eklektizismus, das wir aufstellen und an die Nachwelt senden, ist der Verweis auf den mentalen Niedergang einer Gesellschaft, die von den zischenden Fragen der Zeit, die an sie gestellt werden, maßlos überfordert ist. Da ist keine Idee in Sicht, unter deren Leitung die Expeditionen in die Problemlösung beginnen könnten, da ist keine große Vision, von der Individuen oder Klassen besessen wären, die die Rolle von Treibern gerne übernähmen. Da lauert die Missgunst in jeder Fuge und die entsprechende Ästhetik ist die des Überdrusses.

Selbst das Wagnis in das Unbekannte lässt sich nicht mehr darstellen, die Reise in eine Sphäre, von der noch niemand weiß, wie man in ihr überlebt. Kein Überleben in der Höllenqual und kein Bacchanal auf einem neuen Stern. Nein, die soziale Utopie scheint allenfalls in Archiven, aber nicht mehr im öffentlichen Raum unserer Breitengrade anzutreffen zu sein. Der Flaneur, das gedachte Subjekt der assoziativen Moderne, lebt in schlechten Zeiten, wenn er durch unsere Straßen und über unsere Plätze schreitet.