Archiv für den Monat Januar 2009

Ein Soziologe verlässt die Bühne der Literatur

Am Dienstag, den 28. Januar, verstarb der amerikanische Schriftsteller John Updike im Alter von 76 Jahren in seinem Heimatland USA. Der Autor ging bis zu seinem Ende seiner großen Leidenschaft des Schreibens nach und hinterlässt der Nachwelt ein Werk von unschätzbarem Wert. Die von John Updike geschaffene Literatur ist ein Kompendium über die Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts und hat in seiner Beobachtungsdichte und analytischen Schärfe nichts Vergleichbares neben sich stehen.

Vor allem mit seiner Rabbit-Tetralogie schuf Updike im Zeitraum von 1960 bis 1990 ein Vorstellungs-, Sitten- und Sozialpanorama des amerikanischen Mittelstandes in der Provinz. Die Hauptfigur, Harry Rabbit Angstrom, wird literarisch begleitet von seiner Karriere als Highschool Basketballstar (Rabbit, Run, 1960), geht über seine beruflichen Anfänge als Autoverkäufer (Rabbit Redux, 1971), seinen sozialen Aufstieg in der Autobranche (Rabbit Is Rich, 1981) bis hin zu seinem Rentnerdasein im Staate Florida (Rabbit At Rest, 1990). Updike ist es mit literarischen Mitteln gelungen, eine soziologische Studie der amerikanischen Mittelstands- und Nachkriegsgeneration zu fertigen, die weit über den sozialen Kontext der empirischen Soziologie hinausgeht.

Der soziale Aufstieg des Rabbit korrespondiert mit einem Wertesystem, das aus der protestantischen Leistungsethik generiert wurde. Das Liebenswerte an den Figuren, die Updike in die Handlungsmuster wirft, ist ihre Friktion mit dem überlieferten Wertesystem und den Wünschen und Begierden, die durch die soziale Verfügbarkeit und die Lebenserleichterung einer wachsenden technischen Infrastruktur entstehen. Rabbits Frau tendiert zu Statussymbolen und dem besseren Leben, Rabbit hat machtgesteuerte Sexualphantasien, die durch die Entsagungen, die der tägliche Leistungsdruck erzeugt, freigiebig gespeist werden. Der Geldzuwachs erspart dem sozial avancierten Ehepaar nicht den Generationenkonflikt mit den Kindern und nicht die zusehend deutliche Erkenntnis, dass die USA den Wohlstand der siebziger und achtziger Jahre mit einem schleichenden Identitätsverlust bezahlen mussten. Rabbit erlebt das alles im Reich des Unterbewussten, die Veränderungen erkennt er bewusst nur in der technischen Soziologie des Haushalts, in Mixern, Mikrowellen und Fernbedienungen oder im Verschwinden von Geschäften im alten Stadtzentrum und riesigen Shopping Malls auf der grünen Wiese. Tief im Innern bemerkt er, wie die Geschichte vor ihm herläuft und den Boden, auf dem er fest zu stehen glaubte, mit sich zieht und ihn ins Schwanken bringt. Sein Rentnerdasein in Florida ist eine industrialisierte Dienstleistung, die ihm den Traum von der individuellen Freiheit endgültig raubt, seine geheimen Begierden jedoch nicht zu töten vermag. Das gelingt ihm selbst nicht beim Sterben, das von Updike ins Tragikomische verzerrt wird.

Obwohl die Rabbit-Tetralogie bei weitem nicht das Einzige ist, auf was verwiesen werden muss, wenn von John Updikes soziologischer Sezierschärfe gesprochen wird, die großartige Metaphern hervorbringt, soll diese Erwähnung genügen, um darauf hinzuweisen, wie sehr dieser Schriftsteller fehlen wird, jetzt, wo er nicht mehr unter uns weilt.

Gabriel Garcia Marquez. Leben, um davon zu erzählen

Wenn erfolgreiche Literaten zur Feder greifen, um ihre Memoiren zu schreiben, dann ist das nicht immer ein Anlass zu übergroßer Freude. Nicht selten fallen die Erzählungen aus dem eigenen Leben weit zurück hinter die großartigen Werke der Fiktion, die in ihrer Erlebnisdichte wie Metaphorik kaum durch das Profane des Alltags überboten werden können. Der 1927 geborene Nobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez hat kurz nach der Jahrtausendwende den vermutlich ersten Teil seiner Memoiren herausgegeben, ohne große Werbekampagne im Voraus und ohne knisternde Versprechung im Titel.

Garcia Marquez, der zweifelsohne zu den gegenwärtig großen lebenden Erzählern in der Literatur zählt, hat es nicht nötig, aus dem selbst Erlebten eine reißerische Story zu machen, mit der sich ein vermeintlich noch größerer Ruhm erzielen ließe. Vielmehr entfaltet Gabito, wie er von Freunden genannt wird, in über sechshundert Seiten ein Bekenntnis zu der großen Passion seines Lebens, dem Schreiben. Im Grunde handelt es sich um ein Buch, in dem Garcia Marquez den Leser in seine Werkstatt einlädt, um ihm über seine Schulter schauen zu können, wie Werke wie Hundert Jahre Einsamkeit, Liebe in Zeiten der Cholera, Ein General in seinem Labyrinth etc., die in alle Weltsprachen übersetzt wurden und auf allen Kontinenten gelesen wurden, entstanden.

Und wieder einmal kann die Erfahrung gemacht werden, dass Weltliteratur nicht unbedingt in den Metropolen, sondern in der Provinz entstehen kann, in der vor allem das Genre der Epik als Erbe der mündlichen Erzähltradition in voller Blüte steht. Garcia Marquez erzählt von seinen Eltern, Geschwistern, Großeltern, Onkeln und Nachbarn, er holt den kolumbianisch-karibischen Mirkokosmos mit seinem Aberglauben, Animismus, seiner Mystik und tropischen Lebensfreude in das Zentrum der Betrachtung. Sofort wird deutlich, dass die großen Romane des Autors schon in seiner Kindheit thematisch auf einem kleinen Fleckchen Erde bereit lagen und nur noch durch einen Epiker geborgen werden mussten, der sich nicht nur traute, diese Stoffe zu verwerten, nein, der es bei seinem Leben musste, sonst wäre er untergegangen.

Das Sujet seiner Literatur ist das Volk und seine ans Absurde grenzende Kreativität und Liebe, die großen politischen Ereignisse im andinen Bogotá seiner jungen Jahre spielen zwar auch eine, aber letztlich untergeordnete Rolle, zumal der Karibe Garcia Marquez sie als kritischer und mutiger Journalist stets begleitet hat. Aber die eigentliche Geschichte, die vollzieht sich aus Sicht dieses Autors im kollektiven Gedächtnis der kleinen Leute, die jeder lüsternen Verführung aufgeschlossen gegenüberstehen und die keinen Versuch scheuen, vom Teller der bitteren Enttäuschung zu kosten.

In seinen Memoiren gewährt Gabriel Garcia Marquez Einblicke in das große Konstruktionshaus des von ihm begründeten magischen Realismus, es ist die Freigiebigkeit eines Meisters, der schon lange kein Plagiat mehr fürchten muss.

Rom & Soul

Als die Väter der Vereinigten Staaten von Amerika Washington zur Hauptstadt auserkoren, sorgten sie durch die Architektur des Regierungsviertels für einen eindeutigen historischen Bezug. Vom Capitol bis zum Monument, eskortiert vom Lincoln Memorial und dem Weißen Haus sollte klar gestellt werden, dass man nichts weniger erreichen wollte als die Macht des römischen Imperiums. Als Präsident Barack Hussein Obama als 44. Präsident der USA eingeschworen wurde, stand er als Nachkomme eines kenianischen Einwanderers auf den Stufen des Gebäudes, das durch die Zwangsarbeit afrikanischer Sklaven fertig gestellt worden war. Obama, der während seiner unzähligen Wahlkampfreden immer wieder betont hatte, dass er der Präsident aller Amerikaner, unabhängig von Hautfarbe, Glauben und sozialem Stand werden wolle, machte bei der Choreographie seiner Inauguration dennoch deutlich, woher er kommt. Die Ehrentribüne war auffällig dunkel, ein Bürgerrechtler aus den Südstaaten sprach den Segen und Aretha Franklin, die Queen of Soul, die mit ihrer Hymne auf die Emanzipation namens „Respect“, die sie schon in einer Fischbratküche gesungen hatte, schon in der Hall of Fame weilt, Aretha Franklin blies der Hymne der USA so kräftig den Soul ein, dass manchem antiken angelsächsischen Weißen das Blut in den Adern gerann.

Die nach der Vereidigung gehaltene Rede des neuen Präsidenten wich erheblich von seinen Massenreden im Wahlkampf ab. Es war zu spüren, dass der Kandidat für das Weiße Haus sich der Verantwortung der Macht bewusst geworden war. Seine Worte beschrieben den desolaten Zustand des Landes, die wirtschaftlichen und sozialen sowie die psychologischen Probleme einer ramponierten Weltmacht. Was ihn von einem historischen Blut-, Schweiß- und Tränenredner unterschied war das Talent, die bevorstehenden schweren Jahre durch eine Vision zu inspirieren, die in den Grundüberzeugungen derer tradiert ist, die ihre Länder verlassen hatten, um auf dem Neuen Kontinent Freiheit und Glück zu suchen. Dass er denen, deren Vorfahren unfreiwillig und in Ketten an die Ostküste geschafft worden waren, nun die Hoffnung geben konnte, ebenso das Recht auf die Freiheit zu haben, machte die Inaugurationsrede einzigartig und verlieh ihr dramatische Kraft.

Dass beim anschließenden Lunch der weiße, demokratische Königsmacher Ted Kennedy kollabierte, hatte wieder römische Züge, genauso wie der Weg zum Weißen Haus, den der neue Präsident und seine Familie in einem Cadillac namens The Beast unternahmen, flankiert von einer Formation zweispänniger Harley Davidsons, die regelrecht falcatus, d.h. mit Sicheln versehen wirkten. Hunderttausende jubelten dem neuen Imperator zu, und das stylish presidential couple, das zuweilen aus dem Biest ausstieg, um das Volk seine Aura spüren zu lassen, wirkte schon ganz cäsarisch und gar nicht mehr wie Chicagoer Mittelstandsjuristen.

Noch während der neue Imperator beim Tanze seiner Gattin mehrmals auf den Saum trat, wurde bekannt, dass er bereits alle Verwaltungsakte der Bush Administration gestoppt und die laufenden Verfahren auf Guantanamo eingestellt hatte. Schon in den ersten 100 Tagen wird es also rasseln in den rostigen Arsenalen der alten Regierungsmaschinerie. Obama wird sehr dynamisch und entschlossen das Haus auf Vordermann bringen, das von der nachlässigen Führung eines phlegmatisch burschikosen Bauern aus Texas verludert ist. Da wird es krachen und Aufgabenkritik geben, Leistungen werden gestrichen, Staff entlassen und Privilegien abgeschafft werden. Und dann werden neue Projekte kommen, die der Dimension der Neuen Welt entsprechen. Und wenn das Haus wieder in einem vernünftigen Zustand ist, dann wird die Welt zu spüren bekommen, dass ein neuer Imperator im Rom der Moderne die Macht in Händen hält. Und viel Bigotterie wird aus der Weltpolitik verschwinden, auch wenn es vielen nicht schmecken wird. Denn die Gattin des neuen Präsidenten, die stammt von Sklaven ab, und wenn der neue Imperator den Wohligkeiten und neckischen Avancen der Macht empfänglich zu werden scheint, dann wird diese Dame ihm etwas ins Ohr flüstern, das ihn wieder zur Besinnung bringt, jede Nacht! Und das ist Rom & Soul!