Archiv für den Monat April 2018

Koreanische Wege und deutsche Gedanken

Jetzt heißt es hinschauen. Genau hinschauen! Es geht um die Einheit Koreas. Da wird es spannend. Und da ist es schon seit längerer Zeit spannend, was im einst geteilten Deutschland nicht so richtig begriffen wird. Vielleicht soll es ja auch nicht begriffen werden. Seit langer Zeit gab es Avancen seitens des Nordens, die Frage der Wiedervereinigung zu einer hoch aktuellen zu machen. Der Norden war sich immer der Gefahren bewusst, die die Teilung des Landes mit sich bringt. Da stehen sich zwei Imperien stellvertretend gegenüber. In diesem Fall die Volksrepublik China und die Vereinigten Staaten von Amerika. Beide bis an die Zähne bewaffnet. Seit dem Korea-Krieg von 1950 – 1953, in dem insgesamt vier Millionen Koreaner ihr Leben. bis heute. Sie stehen sich am 38. Breitengrad gegenüber. Verlierer ist das koreanische Volk. Fällt irgend etwas auf?

Deutschland war wegen des gleichen Schicksals der Teilung und vor allem wegen deren Überwindung für Korea immer ein wichtiges Land und Studienobjekt. Deutschland seinerseits hatte, nach der Vereinigung kein Interesse, seine Erfahrungen mit Korea auszutauschen. Noch bei der in diesem Winter in Korea veranstalteten Olympiade sprang ein deutscher Bundespräsident zu nächtlicher Stunde im Deutschen Haus herum und feierte die Medaillen, gab dabei aber Interviews, in denen er die nordkoreanischen Initiativen zur Wiedervereinigung als taktische Manöver charakterisierte. So reden Vasallen ohne Phantasie.

Beim Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel sprach D.T., der gegenwärtige amerikanische Präsident,  davon, dass sich in Korea die amerikanische Politik durchgesetzt habe. Die Kanzlerin pflichtete ihm eifrig bei, was heißt, dass wir in Sachen Korea und bei dem, was sich dort in nächster Zeit tut, heftig zu recherchieren haben, um herauszufinden, was dort tatsächlich passiert. Im Westen laufen jetzt, nachdem überraschenderweise ein erstes Treffen zwischen dem offiziellen Norden und Süden auf koreanischem Boden stattgefunden hat, die Arbeiten an einem weiteren Fake-News-Narrativ. Bleibt abzuwarten, was sich die Feinde von Selbstbestimmung und Autonomie nun einfallen lassen.

Die Initiative in Korea ging jedenfalls eindeutig vom Norden aus. Über die Motive kann spekuliert werden, aber Spekulationen sind das Handwerk anderer. Was besonders interessieren sollte, ist einerseits die Frage, wie sich die beiden lauernden Mächte, China und die USA, dazu verhalten werden und ob sie es noch vermasseln. Und andererseits wird es sehr spannend werden, wie sich zwei Staaten sehr unterschiedlicher Systeme gedenken anzunähern. Wieviel Zeit werden sie sich geben? Werden sie etwas Neues schaffen? Jedenfalls ist es mehr als unwahrscheinlich, dass sich  ein zumindest noch machtpolitisch voll im Saft stehendes Nord-Korea einfach vom Süden eingemeinden lässt. Sicher ist, dass es dort keinen Schäuble geben wird, der mit einem Übernahmevertrag die Sache in wenigen Wochen abwickelt. Im weisen Asien hat man nämlich nach Deutschland geschaut und auch gesehen, was man möglichst vermeiden sollte.

Da wir hierzulande unsere jeweiligen Erfahrungen mit dem Einigungsprozess haben, wird es sehr lehrreich sein, diesen nun beginnenden Prozess in Korea genau zu studieren. Auch dort, wie historisch damals in Deutschland, steht hier zur Debatte, ob eine friedliche Fusion auf einem neuen gesellschaftlichen Konsens möglich sein wird. Das ist spannend. Hochspannend! Dass bis jetzt die mediale Öffentlichkeit darüber berichtet, als ginge es um eine stinkende Müllkippe auf den Philippinen, lässt vermuten, dass großes Unbehagen herrscht bei dem Ausblick, dass die Geschehnisse in Korea hier noch einmal viele Deutsche veranlasste, über ihr Schicksal nachzudenken. 

Psychedelisches Schattenboxen

Eine revolutionäre Situation ist dann gegeben, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen. Dieser Satz wird Lenin zugeschrieben, und zuzutrauen wäre er ihm auf jeden Fall. Denn seine Erfolge feierte er, weil er nicht lange fackelte und es sogar fertig brachte, in einem Bauernland eine proletarische Revolution anzuzetteln. Der Satz ist nicht unbedingt ein Choral der hohen politischen Analyse, und dennoch spricht aus ihm eine nicht rückweisbare Evidenz. Denn tatsächlich, was passiert denn, wenn diejenigen, die die Macht haben, das irgendwie nicht mehr hinkriegen und diejenigen, die beherrscht werden, darauf einfach keine Lust mehr haben? Es wird auf jeden Fall ein Aufbegehren geben. Ob das gar in eine Revolution mündet, ist eine zweite Frage.

Viele verweisen hinsichtlich der momentanen Situation auf dieses Zitat. Es wird immer wieder ins Gedächtnis gerufen, wenn die Verzweiflung über das Regierungshandeln groß ist und die Sprachlosigkeit über das Schweigen der Unzufriedenen sich der Depression nähert. Es ist mehr das Pfeifen im Walde als eine wie auch immer volkstümliche Analyse. Denn: Weder dilettieren die Mächtigen, noch sind die Ohnmächtigen in Aufbruchstimmung.

Das Agieren der Mächtigen ist nichts anderes als ein Austarieren der Möglichkeiten, wie weit sie gehen können mit der lokalen Herabsetzung des Lebensniveaus bei gleichzeitiger Abdeckung des Finanzkrieges und der Ausweitung eines eigenen militärisch-industriellen Komplexes. Alles steht gegen das Narrativ der alten Bundesrepublik und hat mit dem Land der nach Frieden trachtenden sozialen Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. Um eine Bevölkerung, die zum größten Teil in diesem Geiste erzogen worden war, auf den dramatischen Kurswechsel vorzubereiten, war es erforderlich, das Bildungssystem zu schwächen, was durch unterlassene Reformen und Investitionen geschah. Sein Einfluss wurde ersetzt durch die neuen Medien, die in der Meinungsbildung beherrscht werden von großen Konzernen, die immer wieder als ideologische Treiber von Kriegen ausgemacht werden können. 

Die Erosion eines kritischen öffentlichen Bewusstseins macht es mittlerweile möglich, das eigene Handeln mit nachweislichen Lügen zu begründen und die Motive anderer durch ebensolches Vorgehen zu diskreditieren. Trotz vieler Beschwörungen: Die Medien, inklusive der öffentlich-rechtlichen, sind, was die Standards eines kritischen, reflektierenden und investigativen Journalismus anbetrifft, völlig auf den Hund gekommen. 

Wenn dieser Zustand zu den Früchten der Digitalisierung wie der Monopolbildung im Medienbereich gehört, dann ist es durchaus möglich, dass der viel gepriesene Zugang zu allen Quellen dieser Erde zum genauen Gegenteil führt, nämlich inquisitorischer Zustände gegenüber allen, die den Populismus der quantitativen Wahrheitsfindung angreifen. Es wäre nach der Entmündigung in den meisten Arbeitsprozessen die zweite große Bresche, die die Digitalisierung gegen die Emanzipation der arbeitenden Menschen schlüge. Genauer gesagt, nicht die Digitalisierung an sich, aber die irrwitzigen Besitzmonopole, die dort herrschen. Wenn Verhältnisse aufgrund einer absurden Disproportion reif für die Vergesellschaftung waren, dann die der Digitalisierung. 

Um noch einmal zu Lenins Zitat zurückzukommen. Es könnte sein, dass ganz plötzlich ganz offen zutage träte, dass diejenigen, die die Macht haben, mit einer Bevölkerung spekuliert hätten, die es so gar nicht gibt. Denn diese ist schlauer, als „da oben“ angenommen. Dann käme auf einmal alles aus dem legendär heiteren Himmel. Dann ist gar kein Aufstand mehr nötig. Dann sind die einen in einem Augenblick Vergangenheit und die anderen plötzlich da.