Archiv für den Monat Oktober 2013

Die Sprache, die Ehre und der Geiz

Egal in welchem Zusammenhang, es existiert ein Begriff im Deutschen, der als Erklärung für ein bestimmtes Verhalten außerhalb des Zweifels und der Anrüchigkeit steht. Sobald das so schöne, weil ambivalente Wort Ehrgeiz im Spiel ist, sind die Gemüter derer beruhigt, die verstehen wollen, warum ein Mensch in einer bestimmten Situation so handelt und nicht anders. Einer näheren Betrachtung erliegt der Begriff nicht mehr. Er unterliegt einer einzigen, seinem Wesen so gar nicht mehr gerecht werdenden Interpretation. Wer ehrgeizig ist, so die Übereinkunft, der will es zu etwas bringen. Und das ist gut und legitim so. Gegen Letzteres ist ja auch nicht viel zu sagen, aber es wird dem Begriff in seiner etymologischen Zweideutigkeit so gar nicht mehr gerecht.

Stecken doch in dem Wort zwei Begriffe, die sich mehr wie ein Widerspruch als ein eindeutiges Motiv anfühlen. Denn, listet man beide Begriffe eigenständig auf, wird deutlich, worum es geht. Denn was haben Ehre und Geiz miteinander zu tun? Ehre als solches ist schlichtweg eindeutig positiv besetzt und Geiz negativ. In seiner Kombination der beiden widersprüchlichen Begriffe wird der neue zumeist positiv benutzt, auch wenn er manchmal zur Erklärung von etwas Störendem benutzt wird. Die Etymologie jedoch, die Lehre von der Herkunft der Wörter, gehört zu den wohl enthüllendsten aller Wissenschaften. Denn sie legt offen, woher die Wörter sprachlich kommen und in welchen sozialen, ja politischen Kontexten sie gebraucht wurden, bis sie das wurden, was sie heute sind. Und besonders der letzte Schritt, der von der Geschichte bis zum aktuellen Heute, ist noch einmal ein Erkenntnisgewinn, den man auskosten sollte.

Die Kombination von Ehre und Geiz weist auf etwas hin, das sozial prekärer gar nicht sein könnte. Es geht bei der vermeintlichen Fusion um Handlungen und Taten, die zu großer Anerkennung geführt haben und einem Verhalten, dass etwas mit Individualisierung und Missgunst zu tun haben, um einen Widerspruch in sich, was der englische Begriff ambition mit seinem Präfix ambi, der Erklärung für den Widerspruch schlechthin, zum Ausdruck gebracht wird.

Bleibt nur noch die Frage, was geschehen ist, um etwas gesellschaftlich Anerkanntes und Positives mit einem Synonym für den Egoismus und vielleicht sogar die Niedertracht vereinigen und das Produkt als etwas völlig unverfängliches benutzen zu können. Denn, so die Schlussfolgerung, wer aus dem Geizmotiv das zu erstreben sucht, was ihm aufgrund verdienstvoller Taten eine positive Aura verschafft, der kann eigentlich nur eine völlig zerrissene Persönlichkeit sein. Schlimmer noch, bei der aus dem Geiz erwirtschafteten Anerkennung kann es sich nur um eine Mystifikation, eine Täuschung handeln. Denn, so muss man mit der schönen Formulierung Adornos schlussfolgern, es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Wenn wir also davon unterrichtet werden, dass wir es bei Handlungen, mit denen wir konfrontiert werden, um Motive des Ehrgeizes zu tun haben, dann sollten wir uns mit dem Schild der Vorsicht wappnen. Sollten die Motive jedoch einen anderen, nämlich einen Wohlstandszuwachs oder einen Vorteil vieler mit einschließen, dann müssen wir um einen anderen Begriff als den des Ehrgeizes ringen. Und wir sollten uns dafür entscheiden, genauer hinzuschauen, wenn wir mit der Sprache umgehen. Sprache dokumentiert das Denken. Und das Wort geht der Tat voraus.

Hollands Schwarzer Peter

Ach ja, eine Kommission der UNO hat festgestellt. dass der niederländische Nikolaus, Sinterklaas, und seine Begleitung, der Zwarte Piet, rassistische Züge tragen. Wer weiß, dass Sinterklaas mit dem Schiff daherkommt, so die holländische Besonderheit, und jede Menge Geschenke an Bord hat, der kann sich denken, woher die kommen. Denn zu den großen Zeiten der Niederländer fuhren die Schiffe nirgendwohin, ohne mit gefüllten Bäuchen zurückzukommen. Man nannte diese Zeit den Kolonialismus und die Niederlande haben mit ihrer Ostindischen Kompanie, einem halbstaatlichen Handelshaus, Südostasien ausgeplündert nach allen Regeln der Kunst. Das ging bis kurz nach dem II. Weltkrieg, da verjagten tapfere javanische Rebellen unter dem juvenilen General Sudirman die Niederländer von ihrer Insel und es war bald vorbei mit all dem Tee, dem Tabak, den Edelhölzern, den Gewürzen, dem Gummi und dem Gold.

Jedes Land hat seine eigene Geschichte und es schleppt mit ihr die Gewohnheiten und Betrachtungsweisen hinter sich her, die aus dem Prozess der Erfolge und Misserfolge, der Irrungen und Wirrungen entstanden. Der Kolonialismus war eine nach den Maßstäben der Aufklärung schlimme Zeit. Umso mehr verwundert, dass es zum Teil gerade des Kolonialismus bedurfte, um der Aufklärung das Licht anzuzünden. Geschichte ist zwiespältig. Es gibt keine Guten und keine Schlechten. Das Gute geht zumeist in Kompanie mit dem Schlechten auf seinen Siegeszug und das Schlechte hat zumeist gewaltige Teile an Wahrheit als Alliierte. Das mag einem schmecken oder nicht, aber jedes Geschichtsbuch belegt diese These.

Die Sitten und Gebräuche, die Gesellschaften aus ihrer Geschichte entwickeln, können nun mal nicht anders, als die Irrungen und Wirrungen auf dem argen Weg der Erkenntnis zu manifestieren. Irgendwann, wenn die Erkenntnis zum Allgemeingut geworden ist, dass sie nicht mehr zum Selbstgefühl der Gesellschaft passen, dann legt die Gesellschaft diese Bräuche ab. Betrachtet man die jüngere Geschichte vor allem Zentraleuropas, dann haben sich gewaltige Veränderungen ergeben, was die Rituale aus der eigenen Geschichte anbetrifft. Europa, und vor allem auch die offenen und liberalen Niederlande, haben in der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit immens schmerzhafte Entscheidungen getroffen. Und sie haben eines nicht gemacht: sie haben nicht verleugnet oder verdrängt.

Dass nun eine UNO-Kommission mit der völlig überraschenden Erkenntnis, so ganz passend zur Vorweihnachtszeit, auf den Markt kommt, der niederländische Nikolaus und sein Gefolge habe rassistische Züge, ist ein Tribut an die jüngere Entwicklung der Niederlande. Eine zu sehr auf Political Correctness und moralischen Rigorismus setzende Politik hat dazu geführt, dass sich immer größere Teile der Bevölkerung von der liberalen, offenen Politik ab- und sich den politischen Kräften zuwenden, die die dunklen Seiten des Kolonialismus glorifizieren. Der Prozess, der gegenwärtig in den Niederlanden zu beobachten ist, hat in den USA bereits stattgefunden, als Clinton durch Bush abgelöst wurde und er wird Nachfolger finden, so ist zu befürchten, auch in Deutschland. Nichtsdestotrotz ist es ein Diskurs, der mit den Mitteln der Demokratie begann und auch fortgesetzt werden wird.

Und es ist kein Zufall, dass der Moralismus, der die aufgeklärten Gesellschaften vergiftet, nun auch in die internationalen Organisationen hochgespült wird. Nicht, dass die Auseinandersetzung mit Kolonialismus, Imperialismus und Krieg nicht auf der Tagesordnung stünde. Was aber auch auf der Tagesordnung stehen muss, ist das Versagen derer, die in der postkolonialen Ära die Verantwortung in den ehemaligen Kolonien übernommen haben. Diese Geschichte ist leider schwärzer als die des zwarte Piet, sie stellt sich dar als ein monumentales Kompendium, in dem Aberglaube, Mord, Folter, Menschenhandel, Korruption, Krieg und Vertreibung die größten Kapitel darstellen. Wenn wir uns die Köpfe heiß reden wegen des niederländischen Nikolaus, sollten wir uns fragen, ob uns die wahren Missstände gar nicht besorgen.

Zur Psychopathologie Geheimer Dienste

Es wurde schon viel darüber geschrieben und sinniert. Und trotzdem ist es unerschöpflich. Jenseits der Frage, welche Vorteile geheimdienstliche Tätigkeit den Staaten bringt und welche Spiele die Geheimen Dienste miteinander spielen, das Gezurre und Bluffen mit Information und gezielter Desinformation, die Lancierung von Nachrichten und die Transponierung von waschechten Gerüchten in den Echtmodus, um die Verwirrung zu komplettieren. Das alles ist so lange amüsant, wie man selbst nicht darunter zu leiden hat, denn dieses Spiel ist böse und nicht selten existenziell, weil es sich jenseits der Rechtsbarkeit abspielt.

Eine zweite Dimension des diskreten Service ist die psychische Konstitution der dort Agierenden. Wir in Deutschland haben in unserer jüngeren Geschichte ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Anschauungsmaterial geschaffen. Von der Geheimdiplomatie des Kaiserreichs, die auch nicht so ohne war und am Ausbruch des I. Weltkrieges ein gerüttelt Maß an Verantwortung trug über die Nazi-Bespitzelungssysteme gegen das Volk einerseits und andere Staaten andererseits, die der Chiffre GESTAPO zu weltweiter, trauriger Resonanz verhalf, über die Staatssicherheit der DDR, deren Unwesen die heute zugänglichen Archive zu einer wahren Geisterbahnfahrt machen bis hin zu aktuellen Affären, die die Verwicklungen bundesdeutscher Nachrichtendienste beim kriminellen Treiben faschistischer Killerkommandos zu Zeiten der deutschen Vereinigungsdemokratie ans Tageslicht bringen.

Was sind das für Menschen, so die immer wieder zu Recht auftauchende Frage, die sich damit befassen, andere bei ihrem Leben im Strom ihrer profanen Realität zu observieren? Jenseits der zu erwartenden Staatsgeheimnisse, die den geringsten Teil des Aufwandes ausmachen und die die Übung vielleicht aus einem bestimmten Kalkül heraus wert sind, ist es die psychische Disposition, die interessiert. Was sind das für Menschen, die hinsichtlich der Beobachtung des Intimen, zu dem das Private eines Menschen gehört, keine natürliche Hemmung mehr haben? Was passiert in einem Menschen, der anderen dabei zusieht, wie sie sich abends zuhause ein Glas Wein einschenken, wie sie sich mit ihren Partnern streiten oder zärtlich zueinander sind, wie sie die Katze streicheln oder sich das Essen zubereiten?

Der Voyeurismus in seiner harmlosen Form ist der Lustgewinn an der Beobachtung, wobei das Heimliche den Reiz ausmacht. Die Heimlichkeit baut jene Spannung auf, die mangels eines natürlichen Zugangs und einer Zuneigung, die durch Vertrauen entsteht, nicht zustande kommt. Daher ist es wohl kein Lapsus der Volkssprache, sondern ein hervorragendes Indiz für die Beobachtungsgabe gemeiner Bürgerinnen und Bürger, dass ihnen in der Beschreibung des Voyeurs der deutsche Begriff des Spanners in den Sinn gekommen ist. Tatsächlich baut die geheime Beobachtung des Intimen Anderer die Spannung auf, die durch eine natürliche Interaktion nicht mehr zustande kommt. Dass die Grenze zwischen einer eventuell tolerierbaren Stimulanz und der psychopathologischen Deformation fließend ist, dokumentieren die Archive der Geheimen Dienste.

Wir haben es, wenn man den Gedanken bereit ist weiter zu spinnen, bei der personellen Aufstellung der Geheimen Dienste in starkem Maße mit Persönlichkeiten zu tun, die durchaus Züge zu psychopathologischen Verhaltensweisen aufbringen. Das ist alarmierend. Denn psychopathologisches Verhalten bewegt sich zumeist jenseits der rationalen Kontrolle, auch im eigenen Ego. Ein politisches System, das auf eine Semantik der Aufklärung verweist und dem Begriffe wie Ratio, Transparenz und Öffentlichkeit wichtige Werte sind, dürfte zu seiner eigenen Sicherung den pathologischen Trieb nicht ins Anforderungsprofil derer schreiben, die das Gemeinwesen schützen sollen.