Archiv für den Monat August 2021

Aus Fehlern lernen?

Der Prozess des Lernens ist existenziell für die menschliche Entwicklung. Es gehört zu den einfachen, schwer zu erkennenden Wahrheiten, dass das Scheitern von Handlungen die Grundvoraussetzung für die meisten Lernprozesse ist. Wenn etwas nicht gelingt, was man sich vorgenommen hat, muss die kritische Reflexion folgen. Woran hat es gelegen? Waren es die Rahmenbedingungen, die eigenen Unzulänglichkeiten, waren es falsche Hypothesen, oder hat man andere Akteure unterschätzt? 

Das größte Debakel fehlgeleiteten menschlichen Handelns sind Kriege. Sie zerstören, sie vernichten und sie schaffen in den seltensten Fällen Bedingungen, die besser sind als vor der Anwendung von Gewalt. Die große Ausnahme sind Befreiungskriege. Sie beinhalten zumindest die Chance, nach einer Fremdherrschaft die Bedingungen für selbstbestimmtes Handeln zu schaffen. Aber auch diese Ausgangslage führt nicht immer zum Erfolg. Summa summarum ist die Anwendung von Gewalt eine schlechtes Mittel, um kollektive Lernprozesse in Gang zu setzen. Und wenn, dann nur im Kontext der Schlussfolgerung, dass Destruktion die denkbar schlechteste Form ist, um die Zivilisation weiterzubringen.

Das Debakel von Afghanistan wäre eine Gelegenheit, sich zurückzulehnen und zu reflektieren, was da schief gelaufen ist. Das Fazit ist relativ einfach zu ziehen: Die Rahmenbedingungen waren denkbar schlecht, denn ein Land wie dessen Bewohner, die über einen extrem langen Zeitraum mit kriegerischen Interventionen konfrontiert waren, haben sich erfolgreich in der Kunst der asymmetrischen Gegenwehr qualifiziert. Die eigene Unzulänglichkeit bestand aus dem Irrglauben, die eigene Vorstellungswelt mittels Gewalt auf ein Gebiet übertragen zu wollen, das historisch, kulturell wie sozial in einer komplett anderen Welt lebt als die Invasoren. Somit war auch die Hypothese falsch, dass ein Regime-Change-Krieg das probate Mittel ist, um die Verhältnisse zu ändern. Und dass die Akteure, mit denen es man zu tun hatte, nichts anderes seien als hysterische Freischärler war eine von der technologischen Überlegenheit erzeugte Hybris.

Das alles sind keine Mysterien, sondern sehr nachvollziehbare Zusammenhänge. Das Debakel, das dem militärischen nun folgt, ist, man mag es kaum glauben, weitaus verheerender als das offensichtliche. Es ist die Weigerung, aus den Geschehnissen zu lernen und sich mit anderen Optionen auseinanderzusetzen. Die Verlautbarungen aller, die an dieser zwanzigjährigen Intervention beteiligt waren, lässt den Schluss zu, dass Lernfähigkeit wie Lernwille nicht vorhanden sind. Die Erklärungen, die vom amerikanischen Präsidenten, den Vertretern der NATO wie der beteiligten deutschen Bundesregierung zu hören sind, verweisen auf die Unfähigkeit der afghanischen Bevölkerung, auf kleinere taktische Unzulänglichkeiten, auf Verrat in den eigenen Reihen und böse Mächte, die sich nun die Hände reiben. Das war nicht anders zu erwarten, schlägt sich aber umso mehr in der negativen Bilanz nieder.

Was geschieht in der Regel, wenn sich Individuen wie Kollektive weigern, aus dem eigenen Scheitern die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Prognose ist einfach: es wird nicht lange dauern und sie werden sich daran machen, die gleichen Fehler in einem anderen Zusammenhang zu wiederholen. Es wird wieder versucht werden, an einem nächsten Ort, mittels Krieg eine neue Doublette der eigenen Verhältnisse herstellen zu wollen. Wie das ausgehen wird, zeigt ein Rückblick auf die Bilanz der letzten Jahrzehnte. Zerstörung, Chaos und endlose kriegerische Auseinandersetzungen werden die Folge sein.

Es ist ratsam, sich bei der Entscheidung, wem man politische Verantwortung für die Zukunft übertragen will, genau hinzusehen, ob die Kandidatinnen und Kandidaten fähig und gewillt sind, aus Fehlern zu lernen. Sind sie es nicht, dann gibt es kein Argument, dass dafür spräche, sie zu beauftragen.