Archiv für den Monat März 2017

Brexit: Last Exit to Reform

In einer Pro-Europa-Schrift, die im letzten Jahr erschien, verwies Frank-Walter Steinmeier explizit auf einen Vortrag, den Winston Churchill 1948 an einer Schweizer Universität gehalten hatte. Dort beschrieb der whiskeygurgelnde britische Premier, dass das nach dem II. Weltkrieg am Boden liegende Europa die große Chance habe, durch eine vernünftige Vernetzung und Kooperation sich eine gemeinsame Zukunft erbauen zu können. Zu der zentralen Aussage, die Steinmeier quasi als Einlassung für seine Kandidatur zum Bundespräsidenten genommen hat, ist zu sagen, dass Churchill in seiner Rede deutlich gemacht hat, dass Großbritannien sich nicht zum Kontinent und damit auch nicht zu diesem europäischen Projekt zugerechnet hat, wiewohl er es mit Sympathie zu betrachten gewillt war. Und zum Zweiten ist zu bemerken, dass alle Bekundungen für Europa aktuell nur dann angenommen werden, wenn sie vorbehaltslos abgegeben werden. Jede Kritik an der europäisch-unionistischen Performance oder Befindlichkeit gilt als Blasphemie. Und damit ist das Debakel beschrieben.

Mit der Überreichung der gestrigen Kündigungsschrift an den armen Herrn Tusk, der sichtlich ergriffen war, ist ein Kapitel der jüngsten europäischen Geschichte zum Abschluss gekommen. Die Zeiten des Aufbaus und der rasanten Expansion sind vorbei und mit dem Austritt einer wie immer definierten europäischen Großmacht aus dem Bündnis ist mehr als deutlich geworden, dass nur noch eine radikale Reform in der Lage wäre, die Union zu retten. Denn die britischen Vorbehalte sind zwar zum Teil aus der besonderen britischen Perspektive zu versstehen, aber in vielem durchaus kongruent mit der Sichtweise, die überall in Europa diskutiert wird.

Die sich durch ganz Europa ziehenden Kritiklinien drehen sich um die Frage der Autonomie der einzelnen Mitglieder, sie drehen sich um die Befugnisse der zentralistischen Bürokratie, sie drehen sich um die Modalitäten des Geldeinsammelns und der Geldvergabe, sie drehen sich um die Notwendigkeit eines Finanzausgleichs und sie drehen sich um das im Falle der Ukraine gezogene Junktim von EU- und NATO-Mitgliedschaft.

Das sind Themenfelder, aus denen die gegenwärtige politische Agenda der EU respektive der EU-Granden abgeleitet wurde, die aber aus keiner politischen Konsensbildung resultiert. Und exakt an dieser Stelle setzt die radikale Kritik an dem Konstrukt der EU an. Die formale Abkoppelung von demokratischen Entscheidungsprozessen und die sukzessive Einschränkung der nationalen Souveränität sind Erscheinungen, die nahezu unausgesprochen zustande kommen und die für das größte Misstrauen sorgen. Die rigorose Ablehnung einer Diskussion über die klandestin entstandenen Strukturen legt die Vermutung nahe, dass eine Agenda existiert, die aber nicht zur Disposition steht.

Nein, es ist sicherlich kein Zeichen für eine Verschwörungstheorie oder für den intellektuellen Kollaps eines ganzen Volkes, wenn Identitätsabweichungen und negative Symptome dazu geführt haben, dass eine wie immer zustande gekommene Mehrheit in Großbritannien sich für den Austritt aus der EU entschlossen hat. Vieles in diesem Prozess war ärgerlich, manches auch widerlich. Nur sollte deutlich geworden sein, dass in den Strukturen der unterschiedlichen anderen nationalen Bewusstseinsformen überall auch dunkle Energiefelder liegen, die ebenfalls aktiviert werden können, wenn alles so bleibt, wie es ist. Die große Chance, die Krisen bieten, ist die Möglichkeit, alles auf den Tisch zu legen, was der Revision oder der Reform bedarf. Dann ist die Zeit für neue Perspektiven. Wer jetzt lediglich fürs Durchhalten plädiert und es dabei belässt, bunte Ballons zu verteilen, verpasst die Chance der notwendigen Reform.

Komplexität, Information und Fokussierung

Was macht ein Hochleistungssportler an dem Tag des entscheidenden Wettkampfes? Diese Frage, direkt gestellt, ist seltsamerweise relativ einfach zu beantworten. Er oder sie wird aufstehen wie immer, sich an die vorgeschriebene Diät halten, sich lockern, die Ruhepausen einhalten und vor allem die entscheidende Phase der Leistung vor dem geistigen Auge abspielen lassen. Immer und immer wieder. Es werden dabei Details eine Rolle spielen. Sind die Schuhe die richtigen? Sitzt die Kleidung? Sind die Regeln präsent und die Regie, nach der alles ablaufen soll? Immer und immer wieder geht es um die wesentliche Sequenz, immer und immer wieder geht es um Details. Man könnte auch sagen, das ganze Unterfangen unterliege der Professionalität. Und genauer betrachtet stimmt es. Das Interessante daran ist, dass in diesem Prozess der Professionalität auf sehr vieles verzichtet und sich auf weniges konzentriert wird.

Der Hochleistungssportler wird sich nämlich nicht beim Frühstück über die Zeitung beugen und sich langen Gedankengängen über die neue Steuerreform hingeben. Er wird sich nicht die Frage stellen, ob der Plan, so wie er ihn sich zurecht gelegt hat, tatsächlich den neuesten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht und er wird auch keinen Bericht darüber lesen, ob sich optimierte Verbrennungsmotoren oder E-Autos in den nächsten Jahren durchsetzen werden, auch wenn ihn die Frage brennend interessiert. Und er wird vor seinem geistigen Auge nicht die Frage erörtern, ob das Regelwerk, dem er sich später zu unterwerfen hat, nicht einer grundlegenden Reform bedürfte.

Und warum stellt sich der Hochleistungssportler diese Fragen, die allesamt interessant sind,  nicht? Wir wissen nicht, ob er sie sich nicht doch stellt, aber wir wissen mit Sicherheit, dass er sie sich nicht heute, am Tag des Wettkampfes, stellt. Und warum stellt er sie sich nicht? Er stellt sich diese Fragen nicht, weil er sich konzentrieren will. Weil er fokussiert ist auf das Entscheidende und weil es heute gilt!

Indem dieses einfache Beispiel betrachtet wurde, konnte damit ein wichtiges Problem illustriert werden, welches  in unserer aktuellen Welt einen prominenten Platz einnimmt. Es geht um die Notwendigkeit von Informationen, es geht um Kommunikation und es geht um das, was allgemein als Transparenz bezeichnet wird. Und, durch das gewählte Beispiel wird deutlich, dass es neben der Art und Weise wie neben dem Quantum an Informationen auch um das das Bewusstsein des Subjektes um seine eigene Situation geht.

Solange die Akteure wissen, welche Rolle sie spielen und welche Ziele sie verfolgen, desto genauer können sie bestimmen, welche Informationen für sie wichtig, welche sekundär und welche gar obsolet sind. Es stellt sich heraus, dass dem Mantra von der allumfassenden Information und Kommunikation auch etwas von einem Nebel anhaftet, der vom Wesentlichen ablenkt bzw. seine Sicht darauf behindert. Zusammengefasst sind die konkret formulierten Ziele und das Verständnis von der eigenen Rolle auch ein Synonym für das Interesse. Wer also definierte Interessen hat, der weiß auch, welche Informationen er benötigt und welche Art der Information ohne jegliche Relevanz ist.

Unter diesem Aspekt betrachtet, ist das Verlangen nach der extensivsten und intensivsten Information ein Ausdruck für den Wunsch, den lieben Gott zu spielen oder bereits mit der Identifikation der eigenen Rolle und des damit verbundenen Interesses hoffnungslos überfordert zu sein. Oder anders herum: Wer in der Lage ist, sich zu fokussieren, befindet sich auf dem richtigen Weg.

Die ständige Wiederkehr der Asylkritik

Es ist Wahljahr und viele Leute schielen auf die Meinungsforschungsinstitute – wer gewinnt wie viel Prozent? Welche Koalitionen sind rechnerisch möglich? Neben dem obligatorischen Wahlkampfgekeife, das langsam zwischen der SPD und der Union beginnt, wird es spannend zu sehen, wie viel Prozent die AfD einfahren wird. Dass die Rechtspopulisten in den Bundestag einziehen und vielleicht […]

über Asylkritik ist kein Grund zur Panik — Alice in Wonderland