Archiv für den Monat November 2008

Der Islamismus in Asien

Die gezielten, zeitgleichen und mutiplen Anschläge auf Stätten mit westlichen Besuchern im Zentrum Mumbais wurden mit der bereits typisch gewordenen Begrifflichkeit nachrichtendienstlich übermittelt. Spätestens seit der Bekanntgabe der Forderungen der Terroristen war schnell kein Geheimnis mehr, dass es sich bei der ganzen Großaktion um einen Coup von Islamisten handelte. Und obwohl diese in vielerlei Hinsicht aus ihrer eigenen Betrachtung heraus erfolgreich waren, spricht aus den Ereignissen auch eine gehörige Portion Selbstzweifel des terroristischen Islam.

Im Gegensatz zu allen bisherigen Anschlägen des islamistischen Terrors in der Welt gehört die muslimische Öffentlichkeit Süd- und Südostasiens zu der mit Abstand kritischsten innerhalb der islamischen Welt insgesamt in Bezug auf die politische Zweckentfremdung des Jihad. Während nach den Anschlägen vom 11. September 2001 über die arabische Welt der Wüstenwind den Geruch von Angst und Schrecken verbreitete, diskutierten die Muslime Asiens in aller Öffentlichkeit den Wahnsinn des Terrors. Akribisch wurde in den Zeitungen aufgelistet, dass bei den Anschlägen der letzten Jahrzehnte fast immer mehr Glaubensbrüder umgekommen seien als Ungläubige, dass die Regisseure des Terrors gelangweilte Wohlstandsverwahrloste seien, die gar kein Interesse an der sozialen Befreiung ihrer muslimischen Brüder hätten und dass die selbsternannten Kämpfer des Islam es gewaltig an Demut gegenüber dem Leben missen ließen.

Der Islam griff erst nach der europäischen Reconquista vom 11. bis 13. Jahrhundert und der Vertreibung der Mauren aus Südspanien nach Asien. Eben jene Mauren waren es, die in starkem Maße zur Verbreitung des Islam in Süd- und Südostasien beitrugen. Vor allem im Zuge merkantiler Prosperität und der Blütezeit der islamischen Aufklärung gelang es, große Teile dieser Region meist vom Hinduismus zum Islam zu bekehren. Und obwohl der Islam einen Siegeszug abhielt, vermochte er es bis heute nicht, die archetypisch vorhandene Denk- und Gefühlswelt des Hinduismus völlig zu eliminieren. Den Vertretern des dogmatischen Wüstenislam gilt die Toleranz und der Liberalismus des Tropenislam bis heute als suspekt.

Die islamistischen Aktivitäten in Süd- und Südostasien nach dem 11. September 2001 sind meist mit saudischem Geld finanziert und deshalb intensiviert worden, weil im Zuge der Debatten in der asiatischen muslimischen Gemeinde dem Dogmatismus schnell klar wurde, dass der Kampf ums Überleben im eigenen Lager entschieden werden würde. Daher schlug man kurz darauf auf den Philippinen und auf Bali zu und bildete Netzwerke bis Malaysia. Die Reaktion war aber wiederum nach innen verheerend, was sich an dem jüngsten Todesurteil für die Bali-Attentäter in Indonesien zeigt, einem harschen Affront gegen die eigene javanische Sanftmut.

Die Aktion von Mumbai ist in demselben Licht zu sehen. Die Überlebensfähigkeit des islamistischen Terrorismus entscheidet sich anscheinend im eigenen Lager, quasi in den letzten Rekrutierungszonen des eigenen Hinterlandes, um weiterhin gegen den Westen operieren zu können. Die Heftigkeit und der Wahnsinn, mit dem in Mumbai vorgegangen wurde, deutet auf eine gewisse Nervosität, weil die Zielerreichung einer flächendeckenden Gefangenenbefreiung in Indien nicht einmal nach dem zügellosesten Genuss des wilden Mohns im Bereich der Spekulation liegt.

Es gibt eine begründete Hoffnung, dass die Zukunft des Islamismus nicht im Westen, sondern in der muslimischen Welt selbst entschieden wird. Alhamdulillah!

Die Bolschewisierung der SPD

Leider ist der gegenwärtige Verlauf der Ereignisse innerhalb der SPD nicht ohne historische Vorbilder. Schon in den zwanziger Jahren trug die damalige KPD ein untrügliches Symptom des Sektierertums in sich. Vielen von Krisen und einstürzenden Weltbildern verunsicherten Menschen bot die Linke keine Alternative, weil sie im Gegensatz zu ihrem emanzipatorischen Programm mit den eigenen Mitgliedern zuweilen umging wie die letzte Canaille. Da wurden Abweichler verfolgt und ausgeschlossen, diffamiert und entwürdigt. Oftmals mit einem Hass, den man sich gegen die ärgsten politischen Kontrahenten nicht zugestand. Die KPD nannte die wilde, zum Teil durch das stalinistische Moskau inszenierte Entwicklung noch stolz den Prozess der Bolschewisierung der KPD. Das Ergebnis war die Spaltung der Arbeiterbewegung in Deutschland und die Niederlage gegenüber dem Faschismus.

Was einmal historisch als böse Tragödie endete, um ganz bei Marx zu bleiben, folgte im Nachhinein nicht selten als seichte Farce. Das Menschenverachtende auf dem Weg des Sektierertums ist allerdings nie weniger harmlos. Dass wir derzeit, sechzig Jahre nach dem II. Weltkrieg und während einer schweren Krise des Kapitalismus selbst in den gemäßigten Zonen dieser Welt wiederum einen steilen Kurs auf das Sektierertum erleben, zumal noch von einer Partei, die stets von ihrem inneren linken Spiegel gemahnt worden war, zu sehr auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie zu stehen, befremdet doch ein wenig.

Während sich vor knapp einem Jahr eine absolute Parteikarrieristin auf den Weg machte, Ministerpräsidentin in Hessen zu werden, vor der Wahl Versprechen abgab, mit wem sie auf keinen Fall paktieren würde, um dies nach der Wahl zu revidieren und die mit den Schergen des Parteiapparates verfolgen ließ, die an ihr eigenes Wahlversprechen glaubten, warnte ein anderer alt verdienter Sozialdemokrat vor deren Energiepolitik und riet ab, sie zu wählen. Prompt trat auch diesem die partei-interne Inquisition auf die Füße und leitete ein Ausschlussverfahren ein. Während die vier abtrünnigen Landtagsabgeordneten wohl daran glauben werden müssen, verpasste man dem Ex-Ministerpräsidenten und Ex-Bundesminister nur eine Rüge.

Letzterer verkörpert die Sozialdemokratie der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer. Er kam aus der Arbeiterklasse, verdiente sich sein Studium als Wurstverkäufer im Bochumer Ruhrstadion, beschritt die Ochsentour durch die Partei und musste viele Gläser Pils auf der Leiter der Parteihierarchie trinken. Ein solcher Mann ist vielen, die auf keiner Klaviatur spielen können als auf der der Partei ein suspekter Mann, und daher hätte man ihn am liebsten ausgeschlossen, denn die Partei, in denen Mitglieder wie der Gerügte groß wurden, die existiert schon gar nicht mehr.

Die wenigsten hauptamtlichen Funktionäre haben noch einen bürgerlichen Beruf, und je mehr Menschen mit bürgerlichen Berufen ihre Parteibücher abgeben, desto mehr ist man unter sich. Das Korrektiv von außen fehlt, die Introspektion wird zur Gesellschaftsanalyse und die Verschärfung des Umgangstons ist die Gegenbewegung zur Zivilisation, die dem Inzestuösen innewohnt. Irgendwie muss der Gerügte das alles gemerkt haben. Denn er behielt den Verstand und trat keine vierundzwanzig Stunden nach Verkündung der Rüge aus der Partei aus.

Gary Ackerman und die protestantische Ethik

Während in der letzten Woche der Opel-Vorstand ins Kanzleramt fuhr und sich die Betriebsräte desselben Konzerns im Außenministerien trafen, um auf die missliche Lage der deutschen Dependance von General Motors aufmerksam zu machen und die Möglichkeiten staatlicher Unterstützungen auszutarieren, machten sich die Vorstände von Ford, General Motors und Chrysler mit dem selben Ansinnen auf nach Washington. Sie hatten ein selbst entworfenes Unterstützungspaket im Gepäck, dass die notwendige staatliche Unterstützung auf 25 Milliarden US-Dollar bezifferte.

Dort trafen sie auf einen Senatsausschuss, der sich mit der Lage der amerikanischen Autobauer vertraut machen wollte. Die CEOs der drei Konzerne traten zunächst sehr selbstbewusst auf und kamen schnell auf den Punkt: Wenn verhindert werden solle, dass hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Branche verloren gingen, dann müsse sofort ein Regierungspaket von 25 Milliarden auf den Tisch. Sie saßen da, als sei das alles eine reine Formsache und blickten recht blasiert auf die Mitglieder des Ausschusses.

Und just in diesem Moment schlug die Stunde des New Yorker Demokraten Gary Ackerman. Er fragte die drei Herren, wie sie denn nach Washington gekommen seien. Etwas irritiert gaben diese zurück, sie verstünden die Frage nicht. Ackerman blieb ruhig, wirkte jedoch sehr streng. Er wolle wissen, mit welchem Transportmittel sie da seien. Na, mit dem Flugzeug, gaben diese immer irritierter zurück. Ackerman: Sind Sie mit einem Linienflug hier, oder wie? Nein, kam die Antwort, mit unseren Privatjets. Darauf Ackerman: Sie kommen also nach Washington, verlangen einen Riesenbetrag aus Steuergeldern und kommen mit Privatjets? Können Sie bitte erklären, wie das zusammenpasst? Hätte es ein Linienflug nicht auch getan?

Die ansonsten selbstherrlichen Herren wurden kleinlaut und gaben vor, das jeweilige Unternehmen sähe diese Art von Transport für die Vorstände vor. Daraufhin ging Ackerman noch weiter: Wenn Sie mit staatlichen Geldern zurück nach Detroit fahren, sind Sie dann auch bereit, für einen Dollar pro Jahr zu arbeiten, bis die Krise vorüber ist? Keine Antwort. Ackerman: Ich höre nichts! Zwei schwiegen beharrlich, einer gab wie ein ertappter Schuljunge an, er habe genug, er könne damit auskommen. Geld gab es am Ende keines. Die drei CEOs jetteten mit leeren Taschen zurück nach Detroit.

Was war geschehen? Ein Ausschussmitglied hatte genug Bodenhaftung, um die Vertreter einer letztlich fehlgeschlagenen Geschäftspolitik das zu fragen, was in einem normalen Prozess wirtschaftlichen Handelns und Scheiterns auf der Hand liegt. Nämlich, ob die Verantwortlichen in der Lage und Willens sind, für die von ihnen mit zu verantwortende Fehlentwicklung auch persönlich die Verantwortung zu tragen. Und der mutige Gary Ackerman sorgte dafür, einen höchst aktuellen ethischen Aspekt in den Mittelpunkt der Verhandlung zu stellen. Es ging letztendlich um die Frage, ob die Honorierung von Leistung unabhängig von den erzielten Resultaten zu bemessen ist. Und Ackerman wie der Ausschuss beantworteten diese Frage, indem sie die Herstellung dieses Zusammenhangs zur Voraussetzung für eine Unterstützung der Branche machten.

Währenddessen werden in Deutschland Diskussionen über die Höhe von Managementgehältern per se geführt, unabhängig vom Erfolg der Unternehmen und ganz in der kuscheligen Nähe von Neid und Dogma. Es scheint nach vorne zu weisen, den Zusammenhang von Erfolg und Honorierung zu thematisieren. Zumindest in den Zeiten der Krise erhält die protestantische Leistungsethik eine zweite Chance. Bei General Motors zeigten die Signale des Gary Ackerman übrigens schnell Wirkung. Die ersten geleasten Jets gingen bereits zurück an den Eigentümer.