Archiv für den Monat Juli 2014

We admire you, Argentina!

Die Betrachtung verschiedener Perspektiven ist sehr aufschlussreich. Oft ist die Auffassung des Begutachtenden aussagekräftiger als die Position des Begutachteten. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Berichterstattung im SPIEGEL und in anderen Organen der Presse zum Thema der Staatspleite in Argentinien. Die Legende, die dort der bundesrepublikanischen Leserschaft gewebt wird, ist schlicht und einfach: Argentinien droht nach 2001 nun der zweite Staatsbankrott. Dieser ist selbstverschuldet und zurückzuführen auf die störrische Haltung der nationalen Elite, die nicht verhandlungsbereit war und mit linken Phrasen populäre Zustimmung gesucht hat.

Die Geschichte, um die es geht, ist tatsächlich eine sehr einfach zu durchschauende: Angesichts der Zahlungsunfähigkeit des Landes im Jahr 2001 kauften diverse US-Hedgefonds argentinische Staatsanleihen zum Nominalwert in Landeswährung, was zu dem damaligen Zeitpunkt in Dollarkonversion Spottpreise waren. Nach der schrittweisen Erholung der argentinischen Wirtschaft, die durch einen de facto Schuldenerlass vieler Investoren von statten ging, klagten besagte Hedgefonds auf den vollen Preis der von ihnen erworbenen Staatsanleihen. Allgemein wird von einer durchschnittlich zu erwartenden Gewinnmarge von 1.600 Prozent gesprochen, was auf Kosten des argentinischen Staates und der Gesellschaft gehen würde.

Die argentinische Regierung ließ sich auf diese Art des Geschäftsmodells nicht ein und prangerte Moral wie Mentalität der Wall-Street-Börsianer als verkommen an. Das ist eine Position, die für eine halbwegs patriotisch gesonnene Regierung eines Landes normal sein sollte. Nicht für den Maitre de Plaisier des Spiegel, der harsche Kritik an der argentinischen Regierung übt und ihr vorwirft, sie sei störrisch gewesen. Zwar gebe es sympathischere Formen, sein Geld zu verdienen als die der Hedgefonds, aber letztendlich sei es dabei nur um ein paar Milliarden Dollar gegangen, die ein Land wie Argentinien relativ leicht hätte abdrücken können. Sicher, könnte man da antworten, aber es existieren noch Regierungen, die sich weder einer in den USA angesiedelten Börsenrechtsprechung noch den Geschäftsgebaren von Zockern unterwerfen und so etwas besitzen wie eine Haltung. Argentiniens drohender Staatsbankrot dokumentiert den Versuch, Nationalstaaten am Spieltisch der Börsen jetzt auch noch mit internationalem Recht im Rücken verzocken zu können. Angesichts von Argentiniens Bedeutung auf dem amerikanischen Kontinent handelt es sich dabei um eine gänzlich neue Dimension der globalen Finanzspekulation. Wenn es gelänge, ganze Nationalstaaten in die Verwertungslogik von Hedgefonds zu pressen, dann brauchen wir in Zukunft auch keine gewählten Regierungen mehr, die zumindest auf dem Papier die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger vertreten. Dann reicht es auch, jede Finanzierungsschwierigkeit des Gemeinwesens zum Anlass zu nehmen, um sich billig einzukaufen und danach das ganze Volk zu enteignen. Das wäre eine neue Qualität. Es wäre der Putsch der Hedgefonds gegen eine immer noch nationalstaatlich organisierte Weltgesellschaft.

In diesem Lichte wird deutlich, wie weit sich die schreibende Zunft hierzulande von einer nur in Rudimenten existierenden sozialen Gattung entfernt hat. Was ist hier falsch gelaufen, dass ein derartiger asozialer Unsinn die Schlagzeilen der renommierten Presse erobert? Sicher, die argentinische Regierung hat Fehler gemacht! Sicher, Argentiniens nationale Elite ist längst nicht so patriotisch wie sie es zur Stunde vorgibt! Aber Argentiniens Regierung hat den Stolz, sich gegen das Ansinnen von irgendwelchen wohlstandsverwahrlosten Subjekten zu stemmen und sich nicht im Hinterhof eines bröckelnden Imperiums missbrauchen zu lassen. Das verdient Anerkennung. We admire you, Argentina!

Versöhnung am Ussuri

Karl Marx starb am Ussuri. So hieß es, als aus dem politischen Bündnis zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China ein Zerwürfnis wurde. Die unterschiedlichen Programme der beiden kommunistischen Parteien kulminierten in militärischen Konflikten entlang des Grenzflusses Ussuri. Das ist lange her und seitdem hat sich die Welt dramatisch verändert. Tatsächlich führte der Disput zwischen UdSSR und China zu einer Neukomposition der politischen Weltlage, die während des Kalten Krieges bipolar, später dann, vor allem durch die Politik Jugoslawiens und vor allem Chinas in der Bewegung der Blockfreien quasi tripolar wurde. Erst nach der Implosion der Sowjetunion kam wieder richtig Bewegung in das Spiel der Kräfte. Der vermeintlich obsiegende Gigant USA schwächelt seit dem Niedergang der Sowjetunion, verhält sich aber wie ein strahlender Sieger. Ökonomisch ist ein Riese in der Pazifikregion erwacht, der sich anschickt, der Welt eine neue Ordnung zu bringen.

Der Konflikt zwischen den USA und der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen um die zukünftige Rolle der Ukraine spielt bei der Neuordnung der Welt eine zentrale Rolle. Nur so ist die offen propagandistische und aggressive Berichterstattung der hiesigen Staatssender zu erklären. Handelte es sich um einen normalen Konflikt, würde nicht so gelogen und betrogen, um emotional zu eskalieren. Doch was aus Sicht Washingtons und Brüssels wie eine weitere Erweiterung des Einflussgebietes Richtung Russland aussieht, was übrigens weder mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker noch mit einer wie auch immer gearteten Friedensdoktrin einhergeht, ist der Versuch, ein westliches Machtzentrum zu definieren, das Russland isoliert und sich selber konkurrenzfähig macht gegenüber China und der Pazifikregion. Die Strategie beinhaltet territoriale Expansion auf dem europäischen Kontinent nach Osten, so weit wie möglich, um die Märkte zu vergrößern und die Rohstoffreservoirs zu erweitern. In diesem Konnex steht die geplante Freihandelszone zwischen Europa und den USA, die ein wirtschaftliches Gegengewicht gegen den heute schon gigantischen pazifischen Markt schaffen soll. Weder Europa noch die USA alleine hätten auf Dauer eine Chance, gegen die dort existierende und sich weiter konstituierende Wirtschaftskraft zu konkurrieren.

Der Plan funktioniert jedoch nur, wenn es gelingt, Russland politisch und wirtschaftlich aus dem Verkehr zu ziehen. Die schier unermesslichen Rohstoff- und Energiereservoirs Russlands wären einerseits die Feinunze, die im globalen Konkurrenzkampf das Pendel zugunsten des Herausforderers ausschlagen lassen könnte. Hätte der Westen einen kühlen Kopf behalten und die jüngere Politik auf dem europäischen Kontinent ohne Ressentiment und Hasard betrachtet, dann hätte der Schluss wohl nahegelegen, eher ein strategisches Bündnis mit Russland zu suchen als ihm an die Gurgel zu schnellen. Letztere Option ist längst beschlossene Sache und eine echt Kriegsgefahr. Nie, nicht im Irak und nicht in Afghanistan, war die Gefahr so groß, dass Europa in einen Krieg gezogen wird. Die Aussichten sind trübe, die Propagandamaschine läuft.

Eine Misskalkulation ist zu beobachten, derer sich die Strategen in Brüssel wie in Washington schuldig gemacht haben und deren Konsequenz heute schon kaum noch gutzumachen ist. Sie hat dazu geführt, dass zwar nicht Karl Marx, aber eine alte Allianz gerade dabei ist, am Ussuri zu neuem Leben zu kommen. Die Annäherung zwischen Russland und China ist schon heute eine Tatsache. Sie wird, global gesehen, den Westen weiter isolieren. Was so wohl keiner wollte. Aber Dummheit schützt vor Schaden nicht. Und auch nicht vor einer Erhöhung der Kriegsgefahr.

Kosmische Worte und zynische Formulierungen

Die Philosophie der Aufklärung, unabhängig davon, um welche Variante es sich handelt, setzte einen starken Akzent auf den Zusammenhang von Sprache und Denken. Kant ging dezidiert und wie immer mit einer Präzision darauf ein, dass sich bei der Lektüre bis heute der Eindruck aufdrängt, die gewählten Worte stammten aus einem kosmischen Regiebuch. Gerade Kant wählte eine Sprache, die der Logik verpflichtet war, die aus jeder sie auch zu betrachtenden Perspektive vor allem eine Qualität zum Vorschein bringen musste, nämlich die der Objektivität und Allgemeingültigkeit. Dem unbestechlichen Gelehrten aus Königsberg kam es darauf an, deutlich zu machen, dass Sprache und Denken einer höheren Ordnung entsprängen, die zwar das Werk von Menschen seien, aber nicht mit der Fehlbarkeit der Menschen behaftet werden dürften. Heinrich Heine, der deutsche Jude, der wohl der sensualiststischste Schriftsteller seiner Epoche werden sollte, griff in seiner lebensbejahenden Art die Worte des frugalen Königsberger Protestanten auf und übersetzte sie in den Jargon der bürgerlichen Revolution. Das Wort geht der Tat voraus, so sein immer wieder wiederholtes Diktum. So dezidiert spricht heute niemand mehr über den Zusammenhang von Denken und Tun, sieht man einmal von seminaristischen Veranstaltungen über Semantik und Semiotik ab.

Die Gesellschaft der Gegenwart hat sich daran gewöhnt, dass Sprache gebeugt wird, um Interessen durchzusetzen. Längst ist sich nicht mehr nur die Form des Denkens, sondern ein Medium des Marketing. Die Professionellen des Gewerbes operieren mit ihr als eine nach den Erkenntnissen der Psychologie gestaltete Litanei von Stimulanzen, die emotionale, nicht reflektierte Reaktionen hervorrufen sollen. Alles, was die Aufklärung an Appellen an den eigenen Verstand und die eigene Verantwortung je formuliert hat, ist der Apotheose des Bauches gewichen. Die vor allem von Freud als eine Ursache von Persönlichkeitserkrankungen ausgemachte Teilung des Individuums in verschiedene Instanzen, der rational, der moralisch und der von Trieben gesteuerten, wurde nolens volens systematisch ausgebaut und hat zu einer Verunstaltung des Menschen in seiner gesellschaftlichen Umgebung geführt. Die Trennlinien zwischen Kopf, Bauch und über allem schwebende Moral sind mit Stacheldraht gesichert wie in den schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges.

Die Besonderheit der Persönlichkeitsstruktur unserer Tage besteht vor allem darin, dass sich einerseits der emotional-triebhafte Komplex nahezu auf das gesamte Agieren im Bereich des Konsums bezieht, der rationale auf die Arbeit und das Andocken an die digitale Technologie und der moralische Komplex sich exklusiv auf emotionale Appelle fokussiert und die Ratio bewusst marginalisiert! Letzteres wundert nicht, denn das Terrain der Aufklärung wurde vor langer Zeit verlassen. Dazu reicht es, die Sprache der political correctness näher zu betrachten. Ausgehend von dem Wunsch, mit ihr anti-diskriminatorische Wege zu beschreiten, wurde, ohne dass es dagegen jemals einen größeren, vom Verstand geleiteten Widerspruch gegeben hätte, ein Instrument der Mystifikation, das von Diskriminierung und Zynismus nur so strotzt.

Oft drängt sich der Eindruck auf, als säßen in irgendwelchen Studios menschenverachtende Zyniker, die sich die neuesten Varianten sprachlicher Entgleisung ausdenken und sich nach deren Verkündung darüber bis zur Ekstase darüber amüsierten, wie unreflektiert die verblödete Meute ihren Unfug übernimmt. Wie von Bildungsfernen mit Migrationshintergrund gefaselt wird, als handele es sich um einen Haufen Dreck, der nahezu unaussprechlich ist und nicht um Menschen aus anderen Ländern, wo es keine und nur unzureichende Schulsysteme gibt und die es hier nicht geschafft haben, eine Bildung zu erlangen, die ihnen Möglichkeiten des Erfolges eröffneten. Das Wort geht der Tat voraus. Die Sprache wird von manipulativen Doktrinen manipuliert wie nie. Der Widerstand beginnt im eigenen Kopf!