John le Carré. Der Spion, der aus der Kälte kam
Wenn so etwas wie ein Ur-Buch des Spionageromans existiert, dann ist es John le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam.“ Es war zwar nicht Carrés erster Versuch in diesem Genre, aber der Roman verhalf ihm quasi über Nacht zu dem Ruf, ein Meister dieses Faches zu sein und sich exzellent in dem Milieu auszukennen. Dass ein Spionageroman, der 1963 erschien, die Rivalitäten zum Gegenstand hatte, an denen sich der Kalte Krieg entfachte, war keine Überraschung. Ganz im Gegenteil, es bestätigte das vorhandene Weltbild. Was an dem Roman eher sperrig herüberkam, war die Botschaft, dass es zumindest in der Spionage keine Guten und keine Bösen gab. Die Protagonisten auf beiden Seiten erscheinen wie die sprichwörtlichen siamesischen Zwillinge ihrer eigentlich verfeindeten Counterparts.
Und in dieser Botschaft besteht die eigentliche Brisanz des Romans. Denn wenn die Spionage die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln bedeutet, bevor es zum Krieg kommt, um Clausewitz zu bemühen, dann lässt sich keine Differenzierung zwischen Gut und Böse vornehmen? Das war für viele im Jahr 1963 neu, heute allerdings ist das keine heiße Botschaft mehr. Und die Geschichte, die in dem Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ erzählt wird, ist ein frivoles Wechselspiel des britischen und des ostdeutschen Geheimdienstes. Mit heutigem Maß gemessen überrascht vieles nicht mehr.
Das damals Neue und heute auch noch mit Gewinn zu beobachtende sind die Psychogramme der handelnden Personen. Oder reicht ein Kollektivsingular? Das Psychogramm des Spions, das nicht nur geformt ist durch eine ganz normale Sozialisation in einem ganz normalen gesellschaftlichen Umfeld. Und irgendwann, aufgrund unterschiedlicher Anlässe, lassen sich Individuen auf ein lebensgefährliches Spiel ein, dass immer mit Folter und Tod enden kann und das bestenfalls eine aktive Rolle in umgekehrtem Falle bedeutet. Das ist nicht nur frivol, es ist pervers. Und dass sich Staaten, unabhängig welcher politischen Prägung und mit welchem Wertesystem, sich dieser Individuen bedienen, um die Vorstufe zu Krieg so stabil wie möglich zu halten. Da stellt sich automatisch die Frage, wie das möglich sein soll.
John Le Carré ist in diesem Roman besonders gelungen, die Konkurrenz der Charaktere herauszuarbeiten und die Mittel des wechselseitigen Betruges besonders transparent zu machen. Und, was für seine besondere Expertise spricht, er macht an der Hauptfigur Alec Leamas deutlich, dass das Spiel, das da gespielt wird, absolut ist. Es duldet weder Ausnahme noch Ausstieg. Wer darauf setzt, dem wird das Licht schnell ausgeblasen. Da sind sich beide Seiten einig. Gerade in der brachialen Art und Weise, wie Spionage funktioniert, besteht der Konsens. Wer will, kann sich der abgehobenen Frage hingeben, ob Demokratien oder auf Humanismus setzende Staaten sich eines solchen Mittels bedienen dürfen.
Die Frage ist deshalb abgehoben zu nennen, weil die Praxis den Fall nicht vorsieht. Um Kriege zu verhindern oder sich für bevorstehende Kriege Vorteile verschaffen zu können, sind alle Seiten bereit, sich mit dem Teufel zu verbünden. Und der erscheint in Form der irren Charaktere, die John Le Carré in diesem Roman so präzise schildert.
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