Archiv für den Monat Februar 2015

Über das Prinzip der Gegenseitigkeit

Manchmal, wenn die Tagesnachrichten mehrheitlich über das Scheitern von Bemühungen berichten, zwischen Parteien mit unterschiedlichen Interessen zu einem Kompromiss zu kommen, ist es sinnvoll, sich über das Konstrukt eines Konsenses, der zu einem praktischen Handeln führen soll, Gedanken zu machen. Der Zeitpunkt ist in vielerlei Hinsicht wieder einmal gekommen. Voraussetzung für alles, was weiter führt, ist eine gelungene Kommunikation. In einem Zeitalter, dass sich selbst unter anderem als das der Kommunikation und seiner Techniken definiert, ist es erheblich, die Grundlagen noch einmal zu beleuchten. 

Da ist die Allerweltsweisheit, dass Kommunikation nur dann funktioniert, wenn alle Beteiligten sich daran halten, im Prozess der Kommunikation selbst ein Verhalten an den Tag zu legen, dass ihnen selbst als eine wesentliche Voraussetzung gilt. In Variation des Kategorischen Imperativs heißt das, sich selbst nur so zu verhalten, wie man es selbst von den anderen Interakteuren erwartet. Das bedeutet, die anderen wahr zu nehmen, sie anzuhören und ihnen zu unterstellen, dass sie selbst mit dem Interesse eines Gelingens zu dem Unterfangen angetreten sind. Denn selbst möchte man nicht mit der Anschuldigung konfrontiert werden, etwas anderes im Schilde zu führen und in „Wahrheit“ mit einer zweiten Agenda unterwegs zu sein, die beinhaltet, die anderen Teilnehmer hinters Licht zu führen. Diese Voraussetzung kann jedoch nur dann erfüllt werden, wenn allen unterstellt werden kann, dass sie das Ziel der Kommunikation, nämlich eine Verständigung zu erreichen, als ihr eigenes anerkennen. In der modernen Kommunikationsforschung heißt das, es existiert eine gemeinsame Intentionalität. Ist diese nicht gegeben, dann ist das Scheitern programmiert.

Bei Betrachtung der großen Enttäuschungen, die gegenwärtig allgemein kommuniziert werden, ist genau diese gemeinsame Intentionalität nicht gegeben. Der Versuch der Kommunikation, die in einem praktischen Lösungsmodell für Interessenkonflikte eine Perspektive finden soll, entsteht jedoch nicht aus einem intrinsischen Interesse der Konfliktlösung, sondern aus einem vor der Öffentlichkeit bestehenden Legitimationszwang. Es existiert ein Druck, der den Akteueren signalisiert, dass mit Verwerfungen zu rechnen ist, wenn sie sich nicht mühen, zu einer durch Vernunft geprägten Lösung zu kommen. Das wiederum korrespondiert nicht mit der eigenen Agenda. Sie besteht in den auffälligsten und mächtigsten Fällen in dem Ziel, die andere Seite zu bezwingen.Das Scheitern ist so sicher wie die Nutzlosigkeit der Übung.

Dei beiden großen Konflikte, die in diesen Tagen die Öffentlichkeit bewegen, der Konflikt in der und um die Ukraine wie das Desaster um die griechische Ökonomie, sind von einem Mangel an gemeinsamer Intentionalität geprägt. In der Ukraine geht es um geostrategische Dominanz, in Griechenland um den Schutz einer mächtigen Gruppe der Krisenverursachung selbst. Die Akteure, die durch den Legitimationsdruck von außen mobilisiert sind, bekunden, an einer fairen Kommunikation interessiert zu sein, aber sie weichen nicht ab von ihrer Agenda. Die daraus resultierenden Handlungen enden folglich so, wie sie begonnen haben: Sie manifestieren die gegenseitigen Anschuldigungen, ganz andere Ziele zu haben als die vorgegebenen und sie offenbaren die ständige Verletzung der Regeln eines zielgerichteten Kommunikationsprozesses selbst.

Da schlösse sich die Frage an, welche politische Dimension es hätte, wenn das ganze ideologische Beiwerk von der eigenen Überlegenheit von Werten und Menschenrechten den harten Zielen, die damit verbunden sind, wiche. Wenn offen bekannt würde, dass es um Landgewinn, um Schürfungsrechte, um Märkte, um Bankenschutz und um nackte Dominanz ginge. Es stellte sich die Frage, welche Mehrheiten dann zustande kämen. Ob sie anders aussähen, steht dahin, aber es wäre den Versuch wert und es beendete das unwürdige Spiel einer trügerischen Bereitschaft, sich in den Sphären der Vernunft zu bewegen.

Voll auf Sekte

Als letzter Spot vor den Hauptnachrichten in der ARD kommt des öfteren die Werbung für eine Bank. Es geht, natürlich, um deren revolutionär gute Leistungskraft. Letzteres wird entlehnt der unglaublichen Zielstrebigkeit der Deutschen generell. „Sind wir Deutschen noch normal“, so beginnt eine Suggestivsequenz, in der auf den politischen Willen verwiesen wird, die Energiewende tatsächlich hinzubekommen. Wer sich so etwas vornimmt, so die Botschaft, der ist zu allem fähig. Wir Deutschen sind es, die sich mit solchen Zielen von der Welt abheben. Vielleicht ohne es zu wollen, packen die Werbefachleute die potenzielle Kundschaft genau da, wo diese am labilsten ist: An ihrem Überlegenheitsgefühl und ihrem Prestigedenken. Ja, wir sind schon tolle Hechte, wir Deutschen.

Das Sendungsbewusstsein gehört nun schon seit mindestens einem Vierteljahrhundert zum Gestus derer, die den großen Krieg nicht mehr erlebt haben und deren politische Arbeitsfelder mit dem Ende des Kalten Krieges brachlagen. Anti-Militarismus, Anti-Imperialismus und bloßer Pazifismus waren passé, alles war gerichtet für den sanften Aufstieg in eine neue Mittelklasse, die sich nur zu bereitwillig von ihrer eigenen Geschichte lossagte. Zyniker nannten die politischen Konvertiten gerne eine Renaissance der „Zurück, oh, Mensch, zur Mutter Erde“-Bewegung der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Und, von der Themenwahl, mit der sich diese neue Kraft auch politisch formierte, ähnelte sie dieser in sehr starkem Maße. Denn sie wirkte zunächst einmal unpolitisch, bis auffiel, dass sie Ernährungsgewohnheiten, Sexual- und Kaufverhalten über jedes Maß politisierten, während sie soziale Lebensbedingungen, Fragen der Gerechtigkeit und Friedenserhaltung bewusst bagatellisierten. 

Der Trugschluss derer, die entweder an der politischen Vorgeschichte dieser neuen Klasse beteiligt waren und auch zum Teil derer, die ihr ein politisches Mandat verliehen, war der, dass sie glaubten, es noch mit einer politischen Bewegung zu tun zu haben. Das ist, zumindest wenn die Dialektik zum Instrumentarium der Betrachtung gehört, einerseits richtig und trivial und andererseits nur der Schein von etwas anderem. Denn aus sich selbst heraus war der neue Stand nur noch egoistisch auf seine Interessen bedacht, er verstand es aber, die Illusion einer allgemeinen politischen Interessenvertretung auch bei denen zu suggerieren, die sie nur wählten, ihr aber nicht angehörten.

Und so erleben wir heute einen neuen bildungsbürgerlichen Mittelstand, der den Mächtigen in diesem Land in keiner Weise mehr weh tut, solange ihm  die Stimmen dazu reichen, sich selbst nach den eigenen Bedürfnissen zu bedienen. Alles, was das Gros der Bevölkerung heute an Bevormundung und Schikane ärgert, ist zumeist den Bedürfnissen der in dieser Klasse vereinigten Sonderlingen zu verdanken, die, im übertragenen Sinne, unablässig an allem kränkeln, was ihren Gewohnheiten fremd ist. Und ihr etabliertes Refugium zu erhalten, das ist ihr ganzes Ansinnen.

Alles, was diesem Partikularinteresse und der ihm zugrunde liegenden Werte entgegensteht, wird als feindliche Bedrohung gesehen und daher rigoros bekämpft. In dieser Auseinandersetzung werden selbst eigene Werte geopfert, solange das hilft, die eigene, gefühlte Bedrohung zu eliminieren. Der eigene Kanon von Interessen und den dazugehörigen Werten und Ritualen wird in dieser Auseinandersetzung überhoben. Was herauskommt, ist die wohl sektiererischste Erscheinung in der westlichen Zivilisation.  Diese pseudo-alternative und nicht von ungefähr archaisch daher kommende Lebensweise wird, so der Glaube, die restliche Welt beglücken. Der neue Mittelstand, dessen Stimme so stark ist, dass sie über die Grenzen in andere Länder ertönt, ist voll auf Sekte. An diesem Wesen, so glauben ihre Mitglieder, soll die Welt genesen. Eine Weise, die manchen noch geläufig ist.

Instabil wie kriegsgeneigt 

Zum Angriff wurde schon längst geblasen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, um nicht die dunklen Schimären des Ressentiments, der Verängstigung durch das Fremde und die Aggression als Schutz vor dieser Furcht zu mobilisieren. Morgens ist es der Grieche, der einem das Leben vergällt, mittags droht der Russe mit schwarzem Pulver und großem Knall und abends lauern die Muselmänner in jeder dunklen Ecke, um zu ihrem koranischen Halali zu blasen. Hinzu kommen die ganzen Syrer und Mohren, die unseren blonden Töchtern nachstellen. Als wäre das alles nicht genug, gesellen sich nun seit einiger Zeit auch noch stinkende Fleischfresser und pestende Raucher hinzu. Germanistan ist ein Jammertal, das immer nur bezahlen muss, damit der ganze Schmutz und die ganze Bedrohung, welche auf der Welt herrschen, von ihm fern gehalten werden. Deutschland, erwache! Das ist der Schrei, den die etablierte Presse verbreitet. Deutschland, lass dich nicht ausnutzen von bösen und faulen Griechen, lass dich nicht auslachen von marodierenden Russen und lass dich nicht verhöhnen von Muselmännern mit langen Bärten.

Nein, was in diesen ersten Zeilen steht, ist keine rhetorische Überzeichnung. Nahezu im Wortlaut steht das mittlerweile jeden Tag in unseren Zeitungen. Ja, wir sind wieder soweit. 70 Jahre nach dem großen, heillosen und verlorenen Krieg stehen wir wieder am Anfang. Die Dummheit regiert und die Zerstörung macht sich gerade zurecht, um zu folgen. Das Phänomen ist nicht einfach erklärt. Die Fragen, die bewegen, sind jedoch sehr präzise zu beschreiben.

Wie kann es sein, dass in einem Land, das sich auf die Fahnen geschrieben hatte, dass nie wieder Krieg von seinem Boden ausgehen dürfe, von diesem Weg abweicht? Wie kann es sein, dass das Bekenntnis zur Demokratie, das das Prinzip der Toleranz beinhaltet, formal so weiter leuchtet, in der Praxis jedoch zu einer Wucherung der Ignoranz und des selbst bezogenen Absolutismus verkommen ist? Wie kann es sein, dass die Lehre aus dem Desaster, die darin bestand, dass es viele, schöne, gleichberechtigte Kulturen auf diesem Planeten gibt, zur Vergötterung einer Monokultur mutierte, wie sie selbst das historische Vorbild nicht an Einfältigkeit hervorzubringen vermochte?

Viele, die heute die Regiebücher für die neue Mobilmachung schreiben, kamen aus der Bewegung gegen den Krieg. Das machte sie, aus deren eigener Perspektive, zu etwas Besserem, als allem, was vorher war. Im Gegensatz zu jenen, die den Krieg selbst erlebt hatten, wussten sie allerdings nicht um die Fehlbarkeit auch der als gut Verstandenen. Sie glaubten sich als die Guten und daher tappten sie in die Falle, die die Geschichte immer wieder dem Hochmut stellt. Sie glaubten sich moralisch erhöht im Verhältnis zu allen, die anderer Meinung waren. Damit leiteten sie das Ende dessen ein, was einst, als die Welt noch unter dem Primat von Realisten stand, als die Form von Koexistenz die Beziehungen von Unterschieden zueinander beschrieb.

Die Eiferer für den heißen Konflikt, über die man überall stolpert, sind weder intellektuell noch emotional der Koexistenz fähig. Das ist ein Novum und zeigt die Krankheit unserer Zeit. Ohne nach Schuldigen zu suchen, müssen wir feststellen, dass die digitale Revolution die Fähigkeit, zu differenzieren nahezu flächendeckend liquidiert hat. Und der Anti-Autoritatismus hat anscheinend nicht dazu erzogen, Machtverhältnisse, die nicht schmecken, auszuhalten, um sich selbst zu organisieren. Der Konflikt an sich wird als eine Ambiguität erlebt, unter der man nicht leben kann und die eigene, gefühlte Überlegenheit rät zu schnellen Handlungen. Da treiben Subjekte in den Krieg, die nicht wissen werden, wie ihnen geschieht.