Unzählige philosophische Diskurse drehen sich um die Frage, in welchem Verhältnis Sprache und Denken stehen. Prädestiniert das Denken die Sprache? Ist die Sprache die Form des Denkens? Oder bestimmt das Wort das Denken und hat die Form einen gestaltenden Charakter auf letzteres? Bei all der doch intellektuell inspirierenden Betrachtung könnte das zeitgenössisch nicht unübliche Urteil nahe liegen, dass es sich um einen praxisfernen, vielleicht auch akademischen Diskurs handelte. Doch weit gefehlt! Die Behauptung sei verziehen, aber die Lösung der oben gestellten Fragen hat etwas mit der Fähigkeit zu tun, politische Zusammenhänge zu erkennen und sich ein Urteil über den Zustand der Zeit zu bilden.
Auch wenn es bei der philosophischen Frage erst einmal gar nicht bleiben muss, dieser Ontologie von Wort und Geist, eines ist in unserer Zeit eine Binsenweisheit, wofür im letzten Jahrhundert beträchtlich gekämpft werden musste: Die Nutzung von Sprache ist auch immer ein Indiz für die Psychologie! Die Psychologie der oder des Sprechenden und die Psychologie der allgemeinen Befindlichkeit.
Besonders die Politik ist für diese These ein besonders willkommenes und erkenntnisreiches Feld. Da Politik in der Öffentlichkeit kommuniziert werden muss, ist sie gut beraten, die Form von Sprache zu wählen, von der sie glaubt, dass sie geeignet ist, die Zielgruppen zu erreichen. Dazu ist es erforderlich, dass die Empfänger sie a) verstehen und b) emotional akzeptieren. Letzteres ist für Politik besonders wichtig, denn eine emotionale Zurückweisung vielleicht auch als richtig erkannter Botschaften ist dennoch ein Verlust. Also bemüht sich die Politik, die Mehrheiten für sich generieren will, der sprachlichen Bilder, von denen sie glaubt, dass sie emotional akzeptiert werden.
Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt, der ebenfalls einem Axiom psychoanalytischer Erkenntnis entspringt: Der Wunsch nach einem nicht existierenden Zustand determiniert sprachliches Verhalten dahin gehend, dass genau das, was schmerzlich vermisst wird, durch sprachliche Überbetonung in besonderer Form entlarvt wird. Berühmt und immer wieder skurril aus dem Metier der inneren Politik: Wenn ein Politiker oder eine Politikerin ins Schlingern gerät, kommt die Beteuerung des Vorgesetzten, die in die Kritik geratene Person genieße „vollstes“ Vertrauen. Wenn es soweit ist, kann bekanntlich die Kondolenzliste ausgelegt werden.
So ist es folgerichtig, um einen Einblick in die größten gefühlten Defizite unsres gegenwärtigen Status gewinnen zu können, die Worte und Formulierungen zu dechiffrieren, die nahezu in allen politischen Kontexten vorkommen. Dabei fallen drei Termini auf, die als Adjektive wie Substantive Hochkonjunktur haben: nachhaltig, intensiv und strategisch, Nachhaltigkeit, Intensität und Strategie. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Es handelt sich um inflationären Sprachgebrauch in Zeiten gefühlter Defizite.
„Wir haben es uns nicht leicht gemacht, sondern wir haben sehr intensiv die verschiedenen Aspekte betrachtet. Besonders die strategisch wichtigen Fragen haben dabei eine große Rolle gespielt. Am Ende sind wir uns sicher, eine gute und vor allem nachhaltige Lösung gefunden zu haben.“
So in, 4444 Variationen, wird täglich übermittelt, wonach sich Volkes Seele sehnt und was am meisten vermisst wird. Die von der Konvention des Truges gereinigte Zustandsbeschreibung müsste folgendermaßen lauten: Es wird viel geredet im Land, aber meistens um den heißen Brei herum, eine Vision oder Vorstellung von der Zukunft hat niemand und alles, was an politischer Programmatik produziert wird, verfügt über eine Halbwertzeit wie Butter in der Sonne. Sage niemand, es wäre nicht klar, worum es ginge!
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