Archiv für den Monat Februar 2012

Das Entmündigende des Positivismus

Vorbei ist die Zeit der langen Sätze. Kurz, knapp, prägnant! Beginnen sollst du immer mit dem Verb. Aushalten tut das keiner mehr. Das lange Warten auf das Prädikat. Erforderlich ist eine neue Syntax. Überlebt das alte Schema, Subjekt, Prädikat, Objekt. Stattdessen: Prädikat, Subjekt. Muss es unbedingt sein, dann auch noch ein Objekt. Angepasst wird die Sprache an die Funktionsweise der Suchmaschinen. Es sind die Assoziationen, denen das Augenmerk gilt. Technik ist Audi, Gold ist Becks, Pflege ist Nivea und Das Auto ist VW. Schlichte Syntax und immer die gleiche Assoziation. Das ist Neusprach! Oder, wie es George Orwell in seinem längst durch die Realität überholten Roman 1984 genannt hat, Incsoc.

Was für Werbetexter gilt, hat längst Einzug gefunden in die Politik und deren Beratung. Die Zunft der Spindoctors glaubt, man müsse der deformation digitale eine Brücke zum Verständnis bauen. Die Reduzierung der Sprache auf einfache Kernbotschaften mit eindeutigen Bildassoziationen geht aus von der eingeschränkten und ausschließlich noch unterbewussten Kenntnisnahme von Informationen durch die Individuen. Bewusste, kognitiv gesteuerte Wahrnehmung und Reflexion findet nach den Konzepten der neusprachlichen Kommunikation nicht mehr statt. Sie unterstellt nicht nur die qualitative kognitive und intellektuelle Deformation der Zielgruppen, sondern sie setzt auf deren Manipulierbarkeit und weitere Entmündigung.

Das, was daher kommt als eine nonchalante Adaption aus der Werbebranche, ist der Versuch der Herrschaftsausweitung über die erschlafften Gehirne. Und machen wir uns nichts vor! Vieles von dem, was da in den Konzepten steht, ist keine böse Vision für die Zukunft, sondern längst Realität. Die tägliche Anwendung der Kommunikationselektronik verändert unsere Denkapparate und das Denken selbst. Der partikulare, in logischen Beziehungen stehende Aufbau des Denkens und seine sprachliche Entsprechung weichen mehr und mehr dem phänomenologischen Cloud-Thinking, holistischer Begriffsnebel, die andere Assoziationen zulassen, als wir sie bis heute kannten, aber auch Wege verbauen in eine Kausalität, die immer noch als Wiege der Vernunft verstanden werden muss.

Der Positivismus, Oberbegriff für die qualitative Begründung bloßer Quantität und des Siegeszuges zahlenmäßigen Nutzens, hat die Entwertung gesellschaftlichen Handelns zum Prinzip gemacht. Alles, was sich durchsetzt, ist erfolgreich und alles, was erfolgreich ist, besitzt die Legitimation, es zu tun. Schauen wir uns um, so stellen wir fest, dass diese Prinzipien und Denkweisen unser Leben beherrschen. Das Urprinzip des Kapitalismus, die höchst mögliche Verwertung, ist zum moralischen Prinzip politischen Handelns geworden. Politik, die positivistisch vorgeht, kann nie kritisch sein, sie vollstreckt nur den Verwertungswillen und perfektioniert die Entfremdung.

So charmant vieles klingt, was aus der Werbebranche in unsere Lebenswelten dringt, es ist der Einzug und die Herrschaft der Kapitalverwertung. Wer der neuen Syntax folgt, hat sich als bewusst handelndes Subjekt bereits aufgegeben. Neusprach.2! Logo.2! 2012, Brave New World!

Das Subversive der Fabel

Hans Joachim Schädlich. Gib ihm Sprache. Leben und Tod des Dichters Äsop

Durch die Literatur wird vieles veredelt. Äsop, der antike Held der Literatur, machte sich einen Namen durch Fabeln, die nicht nur die Welt erklärten, sondern auch doppelte Botschaften in die Hirne derer entsandten, die von ihnen hörten. Äsop verstand es nämlich, neben der direkten Aussage noch eine verborgene, meist sogar mächtigere zu transportieren, ohne dass die schlichteren Gemüter etwas bemerkt hätten. Das, was in den Schulen bis in die Moderne als tradierbar eingestuft und in die Curricula mit übernommen wurde, ist die äsopische Sprache. Damit gemeint ist das Verschlüsseln subversiver Botschaften innerhalb einer profanen Erzählung.

Hans Joachim Schädlich hat in seinem Buch, das er beschwichtigend eine Nacherzählung nennt, das Leben des Dichters Äsop zusammengefasst. Strukturalistisch reduziert ist es die Summe der großen Anekdoten eines beeindruckend gewöhnlichen Lebens seiner Zeit. Entmystifiziert wird die Figur des bis heute berühmten Literaten, der als schielend, zahnlos, dickbäuchig und nuschelnd in seinem Status als Sklave beschrieben wird. Schädlich vollbringt es, die äußere Form dieses Underdogs in ein Spannungsfeld zu seiner unwiderstehlichen Weisheit zu setzen. Letztere bestach umso mehr, da sie nicht in ihrer abgeklärten, sondern extrem schlagfertigen Form daherkam.

Auf insgesamt 90 Seiten werden die über Äsop vorliegenden Episoden und Schriftstücke aneinandergereiht, ohne ausschweifende Übergänge, wie ein hitziges kurzes Leben, das mit der Hauptfigur auf der letzten Seite auch endet. Die Leserschaft erlebt ein Extrakt aus plebejischer Weltsicht, gewürzt mit dem Instinkt des Untertanen und dem Witz des revoltierenden Subjekts. Äsop stellt sich nach Schädlichs Darstellung heraus als der Urahn der ganzen subversiven Gesellschaft der Weltliteratur, vom Simplizissimus bis Lafontaine, von Eulenspiegel bis Schwejk. Allen Geschichten haftet der grandiose Humor der Besitzlosen an, die nicht mehr erpressbar sind, weil sie nichts mehr verlieren können. Die Unabhängigkeit von Besitz und schnödem Mammon versetzt sie in die Lage, die kleinkarierte, erbärmliche und so furchtbar zeit- und ortsgebundene Abhängigkeit von Wohlstand zu durchschauen und die Welt zu begreifen als eine Transitstation, deren Regel die Begrenztheit ist.

Äsop und seine Sprache sind Marksteine einer semantischen Befreiung. Die äsopischen Fabeln sind wohltuend vieldeutig und sinngewaltig. In vielerlei Hinsicht sind sie durch ihre Mehrdimensionalität als eine Frühgeburt der systemischen Weltbetrachtung zu sehen, Äsop, der Kleine, der Dicke und der Stinkende, ist ein Virtuose des Perspektiven- und Rollenwechsels, immer chargierend mit den Positionen der Betrachtung und nicht selten verblüfft er seine Zuhörerschaft, indem er das Spiel, und als solches sieht er alles, vom Ende her denkt.

Hans Joachim Schädlich ist nicht nur ein Buch gelungen, das dem Mythos eines Antiken ein Ende bereitet, sondern er hat es vollbracht, die historische Figur des Äsop so ernst zu nehmen, dass er auch in der Form aus ihm eine Fabel machen konnte, wie das historische Vorbild es zu tun beliebte. Besser geht es nicht, denn nur wer imstande ist, subversiv zu denken, dem gelingt es, das Subversive zu entschlüsseln.

Wieviel Philosophie verträgt die Macht, und wieviel Macht und Politik die Philosophie?

Hans Joachim Schädlich. Sir, ich eile….Voltaire bei Friedrich II.

Auch zum 300. Geburtstag Friedrich II. wurde vieles publiziert, das alte Klischees bediente. Da wurde, wie eh und je, vom aufgeklärten Monarchen und dem Salomon des Nordens ebenso gesprochen wie nicht minder bekannt vom skrupellosen Machtmenschen, der sich eines philosophischen Ornats bediente, um seine kalte Machtpolitik zu kaschieren. Zwei Aspekte kamen auch bei diesem erneuten Anlass, sich mit Friedrich II. zu befassen, zu kurz oder fanden gar keine Erwähnung. Zum einen der Perspektivenwandel in der Rezeption, der aus dem jeweiligen politischen Zeitgeist hervorgeht und zum anderen die Rolle Voltaires. Beides war wieder einmal sakrosankt, weil es das Spiel der ideologischen Instrumentalisierung Friedrichs II. gründlich verdorben hätte.

Das Buch Hans Joachim Schädlichs, Sire, ich eile. Voltaire bei Friedrich II.. Eine Novelle, macht da eine gründliche Ausnahme. Dazu bedurfte es großen Mutes des Autors, sich einer Technik zu bedienen, die besonders bei Intellektuellen in Deutschland stets als suspekt galt: Schädlich schmilzt die historischen Umstände, unter denen sich die Beziehung zwischen Preußenkönig und Philosophenikone entwickelte, ab auf die kalten Strukturen. Die Handlung wiederum wird sowohl sprachlich als auch in Bezug auf ihre Aussage reduziert auf das Genre des Polizeiberichts. Und schon ist es so gar nicht mehr möglich, ins Schwärmen und Phantasieren zu geraten, sondern es tritt eine Ernüchterung ein, die ihresgleichen sucht.

Beide Protagonisten werden zu ganz normalen Akteuren ohne illustre Aura und es wird deutlich, dass Voltaire ein Philosoph war, der durchaus materiell und politisch dachte und seinerseits bereit war, im Auftrage Frankreichs den Preußenkönig etwas auszuspionieren. Genauso wie Friedrich II. die Hitze besaß, um dem französischen Literaten die Bitte zu unterbreiten, seine Poesie zu redigieren als auch die Kälte, dem geistigen Wegbereiter der französischen Revolution seine mächtige Faust zu zeigen, als ihm die Beziehung politisch zu gefährlich wurde. Das ist insgesamt eine Entmystifizierung, die der Diskussion um das Verhältnis von Friedrich II. und Voltaire zueinander sehr gut tut und es schwerer macht, die Diskussion zu führen, um heutige, zeitgenössische politische Sträuße auszufechten.

Bei aller Reduktion, die im Wesen strukturalistisch, in der Ausführung lakonisch genannt werden kann, gelingt es Schädlich darüber hinaus, eine Fragestellung aufzuwerfen, die tatsächlich dazu beiträgt, aus einer strikt historischen eine universale Debatte werden zu lassen. Aus dem kalten Bericht Schädlichs, bei Bewertung der reinen Faktenlage, drängt sich nämlich die Frage auf, wieviel Philosophie verträgt eigentlich ein Mächtiger, ohne sich in seiner Rolle zu gefährden und wieviel Macht und Politik kann ein Philosoph in seinem Leben verarbeiten, ohne sein höchstes Gut, die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit, zu verlieren. Diese, quasi unter der beschriebenen Handlung liegende Fragestellung ist es, die das Buch zu einem respektablen Gewinn werden lässt.

Und bei der Betrachtung der beiden historischen Figuren kommt man zu dem Schluss, dass die immer wieder unterstellte Bipolarität von Philosophie und Macht eine Illusion ist, dass die Mächtigen durchaus philosophisch sind und die Philosophen ebenso politisch. Da geht es dann nicht mehr um Gut und Böse, sondern um Rollen in einem Spiel nach archaischen Regeln, was außerordentlich wohltuend ist, bei dem zuhauf existierenden ideologischen Kitsch.