Archiv für den Monat März 2010

Sheperd´s Bush. London. Aufstand!

The Who. The Greatest Hits & More

Das alles ist nun fast ein halbes Jahrhundert her. Im Londoner Stadtteil Sheperd´s Bush stürmten an einem Samstagabend vier junge Männer die Bühne und brachten das proletarische Publikum zum Kochen. Der Name war Programm: The Who, die Unbekannten, die aus der grauen Masse, meldeten sich lautstark zu Wort und hatten etwas zu sagen. Sie rockten was das Zeug hielt, überlaut, rebellisch und aggressiv. Zum Schluss droschen sie ihre Gitarren in die Verstärker und setzten die Bühne in Brand. Das war ein Ausrufezeichen und die britische Hauptstadt hatte endlich die Underdogs, die ihr Rebellentum manifest machten.

Über Nacht wurden The Who berühmt, die Zeit für einen Geheimtipp war nicht da. Mit Songs, die nicht nur rockten, sondern auch den Aufstand verbalisierten, stürmten sie in die Herzen einer bis dato am Rande stehenden proletarischen Jugend und mischten die ganze Szene auf. I Can´t Explain, The Kids Are Alright, Substitute und Happy Jack waren die Aufschläge, mit denen sie die Jugendclubs heimsuchten und mit My Generation gaben sie einer ganzen Generation ihre Hymne. People Try To Put Us Down, schrie ein wild mit den Armen rudernder Roger Daltrey ins Publikum, während Pete Townsend auf die Gitarren einschlug wie ein Derwisch und am Schlagzeug ein Keith Moon loswirbelte, als sei es sein letzter Auftritt. Plötzlich waren sie überall angesagt, sie eroberten England und waren kurz darauf wie selbstverständlich in Woodstock. Und es passte zu ihnen, dass sie die einzigen waren, die den Mythos Woodstock nie pflegten. Das beschissenste Festival aller Zeiten nannte Keith Moon das Flower Power Festival, es habe nur geregnet, nichts zu Essen gegeben und überall nach Scheiße gestunken.

Erst später, nach dem sie längst etabliert waren, kamen auch leisere Töne, auch das erfolgreich gecoverte Behind Blue Eyes, welches im Original unübertroffen ist und als die authentischste Version des Blues des Weißen Mannes gelten kann. Dann versuchten sie das dem Zeitgeist entsprechend Bombastische mit ihrer Rockoper Tommy zu toppen, vom Sujet her blieb es proletarisch, vom Aufwand neureich. Danach wurde es ruhig, bevor sie noch einmal aufdrehten, sich ihrer Wurzeln erinnerten und in Bezug auf ihre Irrtümer auch Zeugnis ablegten. We Won´t Get Fooled Again hieß das dann und schlug wieder ein wie ein Stein in das Schaufenster eines Etablierten. Keith Moon erlag früh seinen Exzessen, der Bassist John Entwistle starb vor einigen Jahren und Pete Townsend ist seit Jahrzehnten taub. Ihre Musik war Aufstand, und sie selbst gingen aus dieser Rebellion wie Kriegsversehrte.

Das in diesem Jahr erschienene Album dokumentiert alle Phasen in einer ordentlichen Qualität. Die Musik reißt noch mit wie damals, zumindest bei allen, die das Gen der Rebellion in sich tragen. Die Zeit der Who und ihrer Musik ist lange vorbei, doch wer dieses Brausen aus dem Londoner Sheperd´s Bush noch einmal fühlen will, der sollte sich dieses Album anhören. Laut! Kompromisslos! Echt!

Päderasmus in der Reformpädagogik

Wie eine mächtige Welle erfassen die immer häufiger werdenden enthüllten Missbrauchsfälle die Republik. Angefangenen hatte es in katholischen Internaten, es folgten Knabenchöre und nun hat sie die Zentren der Reformpädagogik erfasst. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in den letzten Jahrzehnten keine Ausnahmen waren, sondern die Regel. Pädagogen, die aufgrund ihrer Rolle die höchste Verantwortung tragen, die es in einem sozialen Gefüge geben kann, nämlich die fürsorgliche Anempfehlung von schutzbefohlenen, weil noch nicht entwickelten und gereiften Menschen, Pädagogen haben diese Rolle in krimineller und unverzeihlicher Manier missbraucht. Während in katholischen Organisationen die Fehlung trotz verschiedener Verschleierungsversuche letztendlich als unverzeihliches Vergehen eingestanden wird, was den Opfern auch nichts nützt, so haben in den letzten Tagen namhaften Reformpädagogen dieses Verhalten unterschritten. Es entblößt sich eine Fratze, wie sie grauenhafter nicht sein kann.

Hartmut von Hentig, die Ikone der Reformpädagogik schlechthin, deren salbungsvolle Texte bis heute bei jeder Schulfeier wie Psalmen rezitiert werden, hatte sich höchst persönlich zu den Vorfällen in der Odenwaldschule geäußert. Zufällig war dort einer der schlimmsten Akteure der dortige Schulleiter, der Gefährte Hentigs, den dieser ostentativ immer noch als seinen Freund bezeichnet. Und nicht nur das: Der Chefideologe des humanistischen Menschenbildes brachte es fertig, die Vorkommnisse den Verführungskünsten der anbefohlenen Knäblein zuzuschreiben. Da fehlen einfach nur noch die Worte, aber es muss mehr folgen.

Das Menschenbild der Reformpädagogik spart die Sexualität nicht aus, was als ein Fortschritt gegenüber den Positionen von deren Leugnung zu sehen ist. Doch im Gegensatz zur Aufklärung, die die Menschwerdung des Menschen als einen autonomen, geschützten Prozess betrachtet, haben die so genannten Reformer die Aufgabe des Schutzes missdeutet und aus dieser eine populistische Version der sexuellen Befreiung gemacht, die ihrerseits aber nur auf Seiten der Pädagogen, nicht aber auf der der Kinder lag. Bis zur dokumentierbaren Perversion des glorifizierten Hellenismus bei Nietzsche wurde alles bemüht, um die eigene ungezügelte Gier nach sexuellen Exzessen mit der Abhängigkeit ideologisch zu zelebrieren. Daher auch die Zurückweisung von irgendwelcher Schuld. Das wahnsinnige Theoriegebäude, in dem sich diese verderbten Pädagogen bewegen, erweist ihnen den Dienst der Rechtmäßigkeit, im Zweifelsfalle fühlen sie sich noch als die verkannten Verfechter eines Freiheitsgedankens, der mit der Gesellschaft allerdings nichts mehr gemeint hat.

Und trotz der Behäbigkeit und der Gravitationskraft des öffentlichen Schulwesens sei die Frage erlaubt und mit Vehemenz vorgetragen, ob die Zeit nicht überfällig ist, diesem menschenverachtenden Schabernack ein abruptes Ende zu bereiten und den privaten Anstalten schulischer Bildung mit einem vermeintlich ethischen Bildungsziel ein apodiktisches Ende zu bereiten! Recht und Gesetzmäßigkeit sind ein besserer Schutz als ideologisierte Pädagogik. Und ein Hartmut von Hentig, dessen salomonisches Alter ihn nicht schützt, hat mit seinem Gedankengut in Schulen nichts mehr verloren.

Auswirkungen der Macht auf die Physiognomie

Dass der Besitz von Macht den Menschen verändert, oder anders ausgedrückt, dass es einen Unterschied gibt zwischen denen, die die Macht ausüben und denen, die sie in der einen oder anderen Form erleiden, ist nichts Neues. Das Gefühl und das reale Vermögen, die unmittelbare Umgebung und – je nach Fülle – entlegene Lebenswelten selbst gestalten oder zerstören zu können, verändert das Individuum. Bei den einen entsteht eine Distanziertheit, sie rücken weg vom Lebensgefühl und entwickeln sich zu kalten Technikern. Andere durchleben einen Grad gereifter Zivilisation, ihnen wird bewusst, welches Privileg sie genießen und sie sehen sich einer Verantwortung gegenüber, der sie nur durch überdimensionierte Disziplin, Unbestechlichkeit, Hochleistung und Askese gerecht zu werden glauben. Und letztendlich begegnen wir einer dritten Gruppe, die sich in einen psychogenen Rauschzustand versetzt fühlen, ihnen steigt die Dominanz der eigenen Potenz in den Kopf und verwandelt alle Motive in eine Suchtstruktur. Sie entfremden sich von der Zweckbindung der Macht, ihr Besitz und ihre Vergrößerung degeneriert zum Selbstzweck, sie wird zu einem schlichten Beschaffungsmuster.

Und tatsächlich kennen wir die Ausübung der Macht ja auch in diesen drei prototypischen Varianten. Da kommt die Macht daher wie ein Laborversuch. Kalten Auges betrachten die Mächtigen ihr Gestaltungsexperiment, sie werten die Ergebnisse statistisch aus und sprechen bei menschlichen Tragödien von Kollateralschäden. Manchmal, leider seltener, werden wir auch Zeugen jener Sternstunden, wo die Macht sich nach uns erkundigt, uns nach unserem Bedürfnis fragt, aber uns auch fordert und kommuniziert, dass das Bedürfnis des Ganzen über dem unseren steht. Und dieser Form der Macht können wir sogar vertrauen, weil deren Akteure auch uns jenes Maß vorleben, das man von uns fordert. Wieder häufiger begegnen wir der pathologischen Variante, den Bösewichtern in der Volksmeinung, die in psychischer und physischer Abhängigkeit von der Macht leben und mit ihr ihr Unwesen treiben. Wie die Junkies hetzen sie von einer Machtquelle zur nächsten, geben sich den nächsten Schuss und haben nicht mehr vor Augen, was sie eigentlich treiben.

Interessant ist, dass der Besitz und die Ausübung der Macht sich unweigerlich auswirken auf die Physiognomie der Akteure. Man kann ihnen ansehen, was sie mit ihnen macht, aber auch, was sie mit ihr machen. Das anstrengende Geschäft verändert und hinterlässt Spuren, die nicht kaschiert werden können. Die Technokraten behalten ihren kalten Blick, diejenigen, die den Gestaltungswillen als ein großes Privileg mit einer ebensolchen Selbstverpflichtung begreifen, verbreiten auch mit ihrer Physiognomie so etwas wie Würde und Vertrauen. Die Abhängigen jedoch weisen nichts mehr auf als die Zerstörung, ihr Blick ist fahrig und uninteressiert, gehetzt und verengt. Was in der Physiognomie evident wird, setzt sich fort in der Dialogform, die Kommunikation ist bei letzteren eine Einabahnstraße, eine Psychostruktur gemeinsamer Intentionalität ist nicht mehr vorhanden. Es empfiehlt sich, genau hinzuschauen und den eigenen Blick für diese Phänomene immer wieder zu schärfen.