Archiv für den Monat November 2010

Pariser Waschweiber und deutsche Medien

In den Zeiten des vor- wie nachrevolutionären Frankreichs existierte jenseits des Pressewesens und der offiziellen Verlautbarungen der Administration eine Nachrichtenbörse, auf der man mehr erfuhr. Man ging zur Seine und unterhielt sich mit den Wäscherinnen. Sie arbeiteten nicht nur in ihren eigenen Quartieren, sondern auch für die so genannte feinere Gesellschaft. Die Pariser Wäscherinnen kamen in alle Haushalte, unterhielten sich dort mit den Bediensteten und erfuhren so, wer mit wem verkehrte, wer wen betrog und wer mit wem welche Ränke schmiedete. Aus einer Liaison von Unten entstanden Nachrichten, mit denen die Oberen eigentlich nicht gerechnet hatten. Wer die Wäscherinnen konsultierte, war gut beraten und erfuhr Wichtiges über die politische Textur der französischen Hauptstadt.

Angesichts der Veröffentlichungen von WikiLeaks hinsichtlich der diplomatischen Noten der USA kann man sich viele Fragen stellen. Eine sicherlich über die grenzenlose Naivität der Botschaftsmitarbeiter, die über elektronische Netze Informationen senden, die brisant sind. Eine andere betrifft diejenigen, die aus Imponiergehabe oder kommerziellem Interesse Informationen veröffentlichen, aufgrund derer Menschen ihr Leben verlieren können. Und eine weitere Frage wäre dann die, inwiefern es von Interesse ist, widerrechtlich veröffentlichte Binsenweisheiten auf den Markt zu tragen, um die Quoten nach oben zu treiben, ohne dass irgendein weiterer Nutzen daraus entstünde.

Während die beiden ersten Fragen relativ schnell zu beantworten sind, da Naivität wie Verantwortungslosigkeit im Umgang mit elektronischen Netzwerken nicht geduldet werden darf und empfindliche Folgen nach sich ziehen müssen, ist die Frage nach der Trivialität eine andere. Wer wusste bis vor wenigen Tagen denn nicht, dass die Kanzlerin zwar sehr erfahren und virtuos mit der Machtbalance, aber wenig kreativ und entscheidungsscheu ist? Oder dass der bayrische Ministerpräsident Seehofer nach dem Konsum demoskopischer Daten unzurechnungsfähig wie eine Roulettescheibe wird? Und dass der Bundesaußenminister ein Rabauke ist, der zur verbalen Tätlichkeit neigt? Charakterisierungen dieser Art sprechen doch eher dafür, dass das diplomatische Chor der USA in seiner personalpolitischen Analyse sehr gut beraten ist. Wie gesagt, dass sie das alles durch den Äther twittern, manifestiert ihre grenzenlose und unverantwortliche Naivität.

Der nachrichtliche Zentrismus der deutschen Medien allerdings ist eine Dimension, die an die guten alten Zeiten einer Bananenrepublik erinnert. Da werden tatsächlich exklusiv die Charakterisierungen deutscher Spitzenpolitiker dem staunenden Publikum als das entscheidende Ereignis unterbreitet, ohne auf die tatsächliche Brisanz des Datenklaus hinzuweisen. Denn die existenzielle Frage, was passiert, wenn z.B. Informationen aus einem militärischen Krisengebiet in die falschen Hände geraten, scheint hier niemanden so richtig zu interessieren. Die politische Textur dessen, was aus WikiLeaks entsteht, bleibt im Verborgenen. Insofern wurde man bei den Pariser Waschweibern wesentlich besser bedient.

Von Football Clubs und unbezwingbaren Seelen

Invictus. Regie Clint Eastwood

Clint Eastwood ist schon seit Jahrzehnten ein exzellenter Regisseur. Spätestens mit Bird, einem Film über den Bebop-Saxophonisten Charlie Parker, hat er deutlich gemacht, dass unterschiedliche hermeneutische Ebenen in einen Erzählstrang eingebunden werden können, ohne zu irritieren. Dazu gehört ein immenses Wissen um das Medium Film ebenso wie große Empathie für die Rezeptionsfähigkeit unterschiedlicher Erfahrungswelten. Zuletzt zeigte Clint Eastwood mit Gran Torino, einem Film, in dem er wohl zum letzten Mal selbst eine Rolle übernahm, wie sehr er dieses anspruchsvolle Genre beherrscht. Mit dem Film Invictus, einer Erzählung über das weiße südafrikanische Rugbyteam nach der Machtübernahme des ANC, ist Clint Eastwood wiederum ein großartiger Film gelungen.

Vordergründig geht es dabei um das bis auf eine Ausnahme ausschließlich weiße Rugbyteam Südafrikas, das nach der Wahl Nelson Mandelas die Weltmeisterschaft aus einem fürchterlichen Formtief heraus im eigenen Land bestreiten soll. Selbstverständlich sind die Schwarzen, deren Liebe dem Fußball gilt und die Rugby als ein Synonym für die Apartheid begreifen, alles andere als begeistert, als ihr neuer Präsident sich ausdrücklich hinter das Rugbyteam stellt und die Verantwortung mit übernimmt für den zu erwartenden Erfolg oder Misserfolg. Mandela folgte dabei der Logik, dass das Land einen Neuanfang ohne Ressentiment machen musste und es ein unverzeihlicher Verlust gewesen wäre, die weiße Sportgemeinschaft einem rassistischen Ressentiment zu opfern.

In dem Film gelingt es Mandela, dessen Persönlichkeitsprofil nur ein Morgan Freeman nahekommen konnte, zum einen das Misstrauen des weißen Mannschaftskapitäns, dargestellt durch Matt Damon, zu überwinden und zum anderen die schwarze Community von seinem Weg der Versöhnung zu überzeugen, was bekanntlich mit dem völlig unerwarteten Weltmeistertitel endete.

Neben der primären Handlung findet sich aber die Auseinandersetzung innerhalb des ANC, in dem bekanntlich die Football Clubs um die Präsidentengattin Winnie Mandela eine zunehmend fanatische Rolle spielten und die zum Teil mit ihren Aktionen ins kriminelle Milieu abglitten, was letztendlich auch zu der Trennung des Präsidenten von seiner Frau geführt hatte. Dahinter verbirgt sich das Paradigma einer erfolgreichen Revolution und ihres Umganges mit den Bezwungenen. Mandela wählte den Weg des zivilisierten Umgangs und Respekts, was nicht immer verstanden wurde.

An dem Zitat, dass Fußball ein Spiel für Gentlemen sei, das von Hooligans gespielt würde und es sich bei Rugby um ein Spiel für Hooligans handele, in welchem Gentlemen wirkten, versteckt sich die Dialektik des Themas. Der Filmtitel Invictus hingegen ist einer Gedichtsammlung des viktorianischen Poeten William Ernest Henley entlehnt, in der Mandela in seiner jahrzehntelangen Haft gelesen hat und der Autor Gott in aufrührender Weise für seine unbezwingbare Seele dankt. Einfach großes Kino!

Der Fluch systemischer Etikettierung

Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass es besser wäre, sich genau zu überlegen, was man sagt, als gleich vor angeschalteten Mikrophonen und laufenden Kameras Formulierungen in die gezückten Notizblöcke und summenden Laptops zu diktieren, die sich hinterher als gravierendes politisches Problem herausstellen können. Ein solcher Fall ist sicherlich die Etikettierung der Hypo Real Estate Bank als einer systemischen. Das hörte sich auf den ersten Blick ganz vernünftig an und sollte begründen, warum ein Kreditinstitut mit gewaltigen Summen aus dem Steuerfundus subventioniert werden sollte. Die Begründung war einfach wie verblüffend: Wenn man der HRE die Hilfe versage, seien in Bezug auf Volks- wie Staatswirtschaft die Schleusen offen, wenn die HRE absaufe, gehe das ganze System unter.

Obwohl ebenso schnell die Argumentation kritisiert wurde wie sie hervorgebracht worden war, galt das Attribut des Systemischen fortan als offizielle Begründung für eine Subvention von nahezu 10 Milliarden Euro. Kluge Köpfe haben bereits hochgerechnet, was man alles hätte finanzieren können, zum Beispiel im Bereich der Bildung, wenn man dieses systemische Haus nicht hätte stützen müssen. Zu Recht! Aber bevor alles untergeht, so könnte der brave Bürger dennoch sagen, müsse man in den sauren Boskop nun einmal beißen.

Nun, nach HRE, die ihrerseits jede Menge faule Papiere aus Griechenland in ihren Schränken hatte, platzt die nächste Spekulationsblase in Irland, und, neben dem finanziellen Desaster, eine Katastrophe par excellence für diese Nation, die wie in den letzten zweihundert Jahren wieder Generationen von jungen Menschen durch Emigration verlieren wird. Da zeigt sich doppelt, wie verloren und verkommen die Spekulationswirtschaft wirkt und welches schäbige, verantwortungslose Gesicht sich dahinter verbirgt. Und wie selbstverständlich taucht in der Berichterstattung über diese abermalige Misere wiederum der Name Hypo real Estate auf, eine staatlich subventionierte wie staatliche kontrollierte Bank der Bundesrepublik Deutschland, die allein auf der Grünen Insel wiederum mit 4 Milliarden Euro in die Black Box gefasst hat und ihrerseits nun darum bittet, erneut subventioniert zu werden.

Wird die Argumentation der systemischen Bank nun beibehalten, ist es zwingend, sich über den Begriff des Systemischen noch einmal genauer auseinanderzusetzen. Sollte nämlich die Art und Weise des unverantwortlichen, unwirtschaftlichen, ruinösen und nur noch mit dem Hasard beschreibbaren finanziellen Handeln eine Etikettierung des Systems Bundesrepublik sein, so kann das nur bedeuten, dass dieses System schleunigst beseitigt werden muss.

Aus dem Selbstverständnis dieser Republik kann es nicht das Normale sein, hoch spekulativ und riskant die Investitionsmöglichkeiten für Bildung, Infrastruktur und soziale Netze aufs Spiel zu setzen. Insofern steht die Bundesregierung bei dem erneuten Fall Hypo Real Estate vor einem Problem: Entweder sie distanziert sich von den Protagonisten des Hauses, die allerdings durch sie selbst eingesetzt wurden, und lässt sie öffentlich köpfen, oder sie setzt sich selbst der Kritik aus, das zu sein, was man den Sonnenbankern im Volksmund bereits nachsagt.