Archiv für den Monat September 2014

Oberbürgermeister, Strategien und Prinzipien

Städte sind das Ur-Gen demokratischer Theorie. Im Laufe ihrer Geschichte dokumentierten sie den Weg der urbanen Zivilisation mit allen Irrungen und Verwerfungen. Heutige Metropolen brillieren durch ihre Komplexität. Sie schillern in Richtung Zukunft und sie werfen düstere Schatten auf Perspektiven, die weit in die Vergangenheit zurückweisen. Angesichts ihres nie da gewesenen Zuwachses und der damit verbundenen multiplen Entwicklungsmöglichkeiten stehen die Städte von heute an einer Sollbruchstelle. So weitermachen wie bisher wird nicht ausreichen, um eine erstrebenswerte Perspektive für das Zusammenleben zu entwerfen. Dazu bedarf es mehr. Beispiele existieren.

Städte mit Entwicklungspotenzial haben in der Regel Traditionen, die von Bestand sind, weil sie den Zusammenhalt der Bürgerschaft herstellen können. Mannheim, eine in deutschem Maßstab mit gerade 400 Jahren junge Stadt, verdient seine Existenz einem Fürsten der Aufklärung: Er ließ die Stadt nach geometrischen Aspekten am Reißbrett errichten. Zur Realisierung dieses pionierhaften Projektes lud er Spezialisten aus allen Teilen Europas ein, die mit ihrer kulturellen und ethnischen Vielfalt quasi on the job das Prinzip der Toleranz konstituierten. Das Tor war geöffnet für Wellen politisch und religiös Verfolgter, es begann mit Schiller und den Hugenotten und ging über Südamerikaner aus den Bananendiktaturen bis hin zu den Syrern unserer Tage. Nicht, dass andere Städte eine derartige Tradition nicht auch in dem einen oder anderen Falle aufzuweisen hätten. Hier aber ist das Prinzip der Toleranz das wesentliche Konstitutionsprinzip.

Der heutige Oberbürgermeister war nicht nur der erste in Deutschland, der die Kommunalverwaltung dahin umgestaltete, dass sie in der Lage sein wird, die Ergebnisse ihres Handelns zu evaluieren und somit der Politik die entscheidende Rückmeldung zu geben, was mit ihren Investitionen bewirkt wurde. Das macht in Deutschland keine Kommune, kein Bundesland und auch nicht der Bund. International sind es Staaten wie Brasilien, Südafrika und Indien, die damit begonnen haben.

Des Weiteren sorgte dieser Oberbürgermeister dafür, dass die Stadt, basierend auf ihrer aufklärerischen Tradition, eine Strategie entwickelt hat, die sehr klar umreißt, wohin die Reise gehen soll. Dieser rote Faden ermöglicht es, die verschiedenen Interessengruppen zu moderieren. Projekte der Teilhabe schießen überall aus dem Boden, weil die Bürgerschaft dazu aufgefordert ist, sich einzumischen. Doch keine Rosen ohne Dornen: neben vielen kreativen und intelligenten Ansätzen existieren auch hier die Versuche, primitives Partikularinteresse zu camouflieren. Die Herausforderung an den leitenden und moderierenden Oberbürgermeister wie an die Bürgerschaft ist ein Lernprozess, der als ein konsens- und identitätsbildendes Erlebnis begriffen wird, um das Gemeinwesen nach vorne zu treiben. Die Ziele, Toleranz, Urbanität, Kreativität, Bildung und kulturelle Interaktion, sie sind die Richtschnur für die jeweiligen Programme, die Weise wird bestimmt von dem Ziel und dem Prinzip der Toleranz. Das geht alles nicht ohne Konflikte, aber es schafft eine Mentalität, die durchaus in die Zukunft weisen kann.

Demokratie in einer Bürgerkommune geht neue Wege, ohne die Legitimität der alten zu leugnen, sie registriert den Irrtum als Notwendigkeit, um die Chance der Innovation nicht zu verstellen. Und sie sieht in allen Teilen der Bevölkerung ein Potenzial, das im Sinne seiner Kernkompetenz genutzt werden kann, zum Wohle aller. Oder, wie heißt es Urkunde zu den Stadtprivilegien Mannheims aus dem Jahre 1652….“und alle ehrliche Leut von allen Nationen zu berufen und einzuladen“…das Wohl und Gedeih der Stadt zu erschaffen. Manchmal muss man nur die klugen Sätze der Vergangenheit in die Zukunft transponieren.

Wie definieren sich Städte?

Jedes Gemeinwesen steht vor der Frage, welchem Umstand es seine Existenz verdankt und wohin es in Zukunft will. Es ist eine nahe liegende, weil existenzielle Frage. Deshalb verwundert es so sehr, dass sie oft weder gestellt wird noch im Bewusstsein der Protagonisten verhaftet ist. Doch die Bürgerschaft ist für diese Frage bei allem sonstigen Desinteresse in hohem Maße zugänglich. Bei aller möglichen Abstinenz bei Kommunalwahlen, diskutiert man diese Frage mit Bürgerinnen und Bürgern, dann wird deutlich, dass so etwas vorherrscht wie ein strategisches Interesse an der eigenen Stadt.

Die wachsende Komplexität moderner Städte macht es zuweilen nicht leicht, die wesentliche Frage nach der Existenzgrundlage zu stellen. Die bestimmenden Faktoren sind jedoch sehr einfach und deutlich zu benennen. Entweder eine Stadt verdankt Existenz und Bedeutung aus der einfachen Tatsache, dass sie das Zentrum der politischen und wirtschaftlichen Macht ist. Dann versteht sich vieles von selbst. Das Geld fließt in die Stadt, in der Stadt werden Entscheidungen getroffen, die weit über die Stadtgrenzen viele betreffen. Meistens korrespondiert dieser Umstand mit einer sehr konzentrierten Ansammlung kultureller Einrichtungen, da sich die Mächtigen so etwas leisten können oder sich durch die Macht schlichtweg von anderen leisten lassen.

Die wesentlich weiter verbreiteten Grundlagen kommunaler Existenz sind allerdings entweder eigene Wertschöpfungsprozesse wie Güterproduktion und Güterverarbeitung oder der Handel mit Gütern und das Anbieten von Dienstleistungen. Die Aktivitäten, die von der Bürgerschaft ausgehen und zu den Mitteln führen, die in einer Kommune zur eigenen Gestaltung verausgabt werden können, führen nicht selten zur Definition der Stadt durch die Bürger. So existieren Stahl- und Automobilstädte, Städte bestimmter Handelsorganisationen, Porzellan- wie Börsen und Marktzentren. Analog funktioniert es mit der Macht, da sind es Herrschersitze oder politische Metropolen. Interessant bei dieser Definition sind die Strategien, die daraus resultieren. Sie fokussieren auf den Erhalt des Status Quo. Eine Orientierung an einer Qualität, was urbanes Selbstverständnis anbetrifft, sind eher selten. Aber es gibt sie.

Ein Phänomen jedoch steht der positiven kommunalen Entwicklung im Wege. So sehr bürgerschaftliches Engagement den Lebensnerv eines Gemeinwesens illustriert, so sehr kann es auch seine Verwahrlosung dokumentieren. Und zwar dann, wenn unter dem Mantel des bürgerschaftlichen Engagements ein eindimensionaler Lobbyismus betrieben und die Weiterentwicklung der Kommune in einem angenommenen Gesamtinteresse blockiert wird. Nicht selten verbergen sich hinter diesen Bewegungen die sozialen Eliten einer Kommune, die Besitzstände sichern wollen und mit der Art und Weise ihres Vorgehens dokumentieren, dass sie kein Interesse an einem Ausgleich mit anderen Bevölkerungsgruppen haben. Wie im vermeintlich Großen, so ist es auch im tatsächlich Elementaren: Dem Sozialverhalten der Eliten ist zu entnehmen, welche Zukunftsprognose das Gemeinwesen ohne gravierende Verwerfungen noch zu erwarten hat.

Die Situation, vor der viele metropolitane Städte stehen, hat etwas Absurdes: Die Eliten kämpfen um ihre partikularen Interessen und verweisen dabei auf die sozialen Ränder einer Stadt, in denen die Arbeitslosen und neuesten Migranten versammelt sind und bezichtigen sie der Ursachen für die wirtschaftlichen wie sozialen Probleme. Ihre Funktion hinsichtlich innovativer Impulse wird ausgeblendet und das Ganze entpuppt sich als Ablenkungsmanöver von den eigenen Sicherungsaktivität. Und verdutzt reiben sich die Teile der Bürgerschaft die Augen, die durch ihr tägliches Dasein direkt den Reichtum und Wohlstand schaffen, auf dem eine Stadt gegründet ist. Da stellt sich die Frage, welches politische Konzept und welche Akteure in der Lage sind, eine an die gute alte Dekadenz erinnernde Situation politisch aufzulösen. Fortsetzung folgt!

Konkurrierende Demokratiekonzepte in der Kommune

Obwohl alles, was in einer Kommune geschieht, die Bürgerinnen und Bürger direkt betrifft, existiert in der Wahrnehmung der Bürgerschaft nicht selten ein Trugschluss. Im Bewusstsein wird die „große“ Politik in der Hauptstadt des Landes gemacht, während das, was in den Parlamenten der Kommune beschlossen wird, keine sonderliche Relevanz habe. Zwei Einschränkungen sind zu notieren: Es gibt Städte, die sind Hauptstadt des Landes und haben dennoch ein Stadtparlament. Dort ist die Wirkung nicht anders. Und bestimmte lokale Projekte rücken immer wieder in den nationalen Fokus, wenn sie zu Protest und Verwerfung führen. Besonders letzteres geschieht immer öfters und hat mit dem Willen oder Unwillen der Bürgerschaft zu tun, Entschlüsse hinzunehmen, die sie nicht bewusst registriert haben.

Gerade bei Großbauprojekten ist dieses oft der Fall. Vom Beschluss im Stadtparlament bis zum Auftauchen der ersten Bagger vergeht nicht selten ein Jahrzehnt. Der Konnex zwischen demokratisch zustande gekommener Entscheidung und dem, was sich dort nun vor dem Auge ausbreitet, wird oft nicht mehr hergestellt und führt zu großem Erstaunen. Das politische System dafür verantwortlich zu machen ist Unsinn, eher sind es die verrechtlichten Verfahren, die den Zusammenhang von Ursache und Wirkung verblassen lassen.

In den Kommunen führt das wachsende Engagement bestimmter Teile der Stadtgesellschaft zu einem Phänomen, das erst einmal gelöst werden will. Im Namen von Demokratie und Beteiligung setzen Teile, zumeist zahlenmäßig sehr kleine Teile der Stadtbevölkerung die in demokratischen Wahlen bestellten Politiker unter Druck, um ihre Interessen durchzusetzen. In einem ganz anderen, aber durchaus vergleichbaren Maße muss hier von dem Versuch einer Doppelherrschaft gesprochen werden. Sowohl über die demokratische Wahl wie auch über von der Politik angebotene Beteiligungsverfahren wird versucht, Einfluss auszuüben und die Entscheidungen zu beeinflussen. Notfalls, so zumindest aus Sicht der engagierten Bürgerinnen und Bürger, gegen die Mehrheitsvoten aus dem Stadtparlament.

Für die verantwortlichen Bürgermeister offenbart sich aufgrund solcher Entwicklung eine besondere Option: Sie sind an die Beschlüsse aus den Stadtparlamenten gebunden und gleichzeitig dazu angehalten, den engagierten Willen der Bürgerschaft zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Doch was geschieht, wenn eine Asynchronität zwischen Parlamentsbeschluss und Bürgerversammlung entsteht. Die öffentliche Meinung ist soweit, dass sie Bürgermeister, die sich strikt an Parlamentsbeschlüsse halten, den Hunden des Opportunismus zum Fraß vorwirft. Angesichts derartiger Entwicklungen, die zumindest in vielen Städten und Metropolen des Westens, aber zunehmend auch in anderen Teilen der Welt bis hin nach Hongkong stattfinden, ist es von elementarer Bedeutung, sich anzusehen, mit welcher Strategie Bürgermeister mit dieser Herausforderung umgehen und welche Teile der Bürgerschaf sich zu welchem Zwecke engagieren.

Die große Politik findet in der Hauptstadt statt, die elementare in deiner Stadt. Nach diesem Grundsatz sollte die Bürgerschaft vielleicht ihr kommunales Schicksal definieren. Gemeindeverfassungen sind nicht selten das Ergebnis ferner Aushandlungen, auf Landes- oder gar Bundesebene. Sie schreiben das demokratische und legitime Prozedere der Entscheidungsfindung vor. Doch existiert gerade auch das in Städten, was Rousseau als den Contrat Social beschrieb, eine Übereinkunft der Bürgerschaft, wie sie sich definiert, was sie anstrebt und wer welche Rolle dabei wahrnimmt? Wer hat welche Rechte und Pflichten? Ist das heute, im 21. Jahrhundert, in den Köpfen der Stadtbewohner vorhanden? Oder existiert zumindest ein Volonté Générale, ein gemeinsames Verständnis über die Stadt und einen gemeinsamen Willen, der verdeutlicht, wohin die Bürgerschaft sie entwickeln will? Oder sind wir mit einem Phänomen konfrontiert, das wir populistisch verkleideten Lobbyismus nennen müssten? Fortsetzung folgt!