Archiv für den Monat Juli 2011

Bilder einer unbändigen Seele

William Claxton. Joachim E. Berendt, JAZZ LIFE. A Journey For Jazz Across America In 1960

Das Jahr 1960 war ein gutes, um dem amerikanischen Jazz auf die Spur zu kommen. Der Bebop hatte die Schallmauer längst durchbrochen, das Genre strotzte vor Zuversicht und dennoch existierten noch zahlreiche Formen des heute als traditionell geltenden Jazz. Die USA hatten sich nach Weltkrieg und dem Korea-Abenteuer als Weltmacht etabliert, ökonomisch ging es aufwärts und eine mächtige Bürgerrechtsbewegung suchte nun das nachzuholen, was in einem Land, das seine Werte exportieren wollte, längst überfällig war. Umso denkwürdiger ist es, dass ausgerechnet der aus Baden-Baden stammende deutsche Jazz-Historiograph Joachim E. Berendt es war, der auf die Idee kam, kreuz und quer durch die USA zu reisen und den zeitgenössischen Jazz zu dokumentieren. Berendt war es, der den amerikanischen Fotografen William Claxton kontaktierte und ihn bat, an seiner Seite an einem Projekt mitzuarbeiten, das den treffenden Titel JAZZ LIFE. A Journey For Jazz Across America in 1960 trug und in einem Bildband endete, der nun mit atemberaubenden Bildern und zeitlosen Texten in einem Band vorliegt, der zudem bezahlbar ist.

Die Reise begann, wie sollte es auch anders sein, in New Orleans und folgte dann dem Mississippi stromaufwärts über Memphis, St. Louis, Kansas City bis nach Chicago, jener Route, die die ersten Berufsmusiker des Jazz gegangen waren, um aus der reinen Bar- und Bordellunterhaltung herauszukommen. Von dort ging es über Hollywood, Los Angeles und San Francisco die Westküste entlang, um über das industrielle Detroit nach New York zu kommen, das sich gerade als die Jazz-Metropole schlechthin etabliert hatte.

Zu jeder dieser Stationen schrieb Berendt eine prägnante Einleitung, die die jeweilige Bedeutung anschaulich machte und den historischen Stellenwert als Markstein des Jazz erklärte. Was William Claxton bei diesen Stopps einfing, ist nicht nur im Hinblick auf den Jazz und seine Akteuere, sondern auch photographiegeschichtlich phänomenal. Claxton gelang es, die soziale, biographische und künstlerische Seite des Jazz einzufangen, wie es seitdem nur wenigen gelungen ist.

Zu sehen ist das soziale Elend, die gesellschaftlichen Rituale, die Angst, die Hoffnung, die Begeisterung, der Stolz, die Verlorenheit und die Lebensfreude, die von dieser Musikrichtung ausgehen. Natürlich haben die Armstrongs, die Coltranes, die Parkers, die Brubecks, die Franklins, die Holidays, die Ellingtons, die Adams, die Gillespies, die Davis und die Montgomerys ihren Platz, doch sie sind eher Randerscheinungen, die Fotographien machen deutlich, dass diese großen Figuren dazugehören, ihre Seele allerdings aus den Alltagssituationen entstand und die Vitalität des Ganzen ausmachte und ausmacht. Da sind die unbekannten Musiker, die mit ihren Inspirationen, ihrer Virtuosität und ihrem Gefühl die Menschen begeisterten, die sie begleiteten auf den Beerdigungen in New Orleans, an den Tankstellen von Memphis, in den Tanzsälen von St. Louis, in den Schulen von Kansas City, in den Clubs von Chicago, an den Stränden der Westküste, in den Arbeiterbars von Detroit und den Kaschemmen von New Yorks Harlem. Es wird deutlich, das für viele Underdogs und Outcasts der Jazz Halt geboten hat und ihnen eine Perspektive zu bieten in der Lage war.

Berendts Texte sind der rationale Rahmen, der vieles verstehen lässt, Claxtons Bilder treffen die Seele in all ihren Schattierungen.

Gabriels Sonnenfinsternis

Der Versuch, den Massenmord in Norwegen für die eigene politische Programmatik hierzulande nutzen zu wollen, ist an sich schon eine Obszönität. Dennoch sind zumindest die Vertreter der so genannten traditionellen Volksparteien schnell dabei gewesen, um ihre eigenen Positionen durch das norwegische Verbrechen legitimiert zu sehen. Dennoch handelte es sich um schlicht traditionelle Argumentationslinien. Wollten die einen die umstrittene Vorratsdatenspeicherung damit legitimieren, hatten die anderen wieder das Waffengesetz und die Schützenvereine oder zu Gewalt stimulierende Computerspiele im Visier. Sicherlich kann man über alles diskutieren, aber die Ursachen für absurde Zerstörungs- und Vernichtungsphantasien sitzen wohl tiefer als es die genannte Dimension beschreibt.

Das hatte wohl auch der Parteivorsitzende der Sozialdemokraten im Sinn, als er erneut auf das Buch des ehemaligen SPD-Funktionärs Sarrazin hinwies und auf eine Kausalität zwischen den dort formulierten Gedanken und dem Massentod auf Utøla verwies. Wer ausgrenze und stigmatisiere, so Gabriel, der dürfe sich nicht wundern, wenn irgendwo Verrückte derartiges Gedankengut für bare Münze nähmen und es in die Tat umsetzten.

Mit diesen Äußerungen hat der SPD-Vorsitzende eine neue Ära der so genannten politischen Korrektheit eingeleitet. Es ist eine militante, nahezu das Kriegsrecht verhängende Ankündigung an alle, die sich mit kritischem, nicht dem Mainstream entsprechenden Gedankengut herumtreiben. Die Botschaft bedeutet im Klartext, dass die Formulierung von Erklärungsmustern für die Entwicklung der Gesellschaft unserer Tage, die sich nicht des von der Richterkommission der political correctness zertifizierten Vokabulars und Vorstellungsvermögens bedient, als eine intellektuelle Anleitung zum Kapitalverbrechen verstanden werden muss. Das ist nicht nur starker Tobak, sondern ein Grundprinzip der Diktatur.

Das Einzige, was an dieser so furchtbaren Verlautbarung des SPD-Parteivorsitzenden nicht verstört, ist die Tatsache, dass es sich um eine folgerichtige Entwicklung handelt. Immer, wenn aus der Moral abgeleitete Dogmen zum Konstitutionsprinzip von Politik werden, wird schnell aus der Moral Moralismus und daraus eine ziemlich degoutante Diktatur. Das sind Prinzipien, die bereits Arthur Koestler in seinem berühmten Roman Sonnenfinsternis beschrieben hat. Zwar ging es da um die Ära des Stalinismus und den armen Bucharin, aber die Funktionslogik war die gleiche. Das vermeintlich moralische wird zum alles überstrahlenden Prinzip und zerstört die Formen des zivilisierten Umgangs wie der Menschlichkeit. Und wer der Partei nicht blind folgte, der war ein Agent des Faschismus, und wer der Ideologie der Integrationsindustrie nicht folgt, der steht auch auf einer Insel und liquidiert den politischen Nachwuchs eines ganzen Landes.

Mit den Äußerungen des SPD-Vorsitzenden, der das Pech hatte, der Erste zu sein, der der zwingenden Logik des diktatorischen Impulses der political correctness folgte, tritt die Bundesrepublik in eine neue Phase eines anti-demokratischen Entwicklungsmodells, das mit hoher Wahrscheinlichkeit die Prognose zulässt, dass die Ausgrenzung oppositioneller Gedanken aggressiver und zerstörerischer werden und die Diffamierung und Diskrimiminierung Andersdenkender zunehmen wird. Die Folge wird einerseits ein Rechtsruck der Bevölkerung wie in den USA nach Clinton und in den benachbarten Niederlanden momentan sein und andere Wahlergebnisse hervorbringen und andererseits die eine oder andere arme Seele zu Taten verleiten, die keiner haben möchte.

Die Aufkündigung der Toleranz, die Absage an den zivilisiert geführten Diskurs, die Ausgrenzung des Andersdenkenden, dieses ist ein neuer Tiefpunkt des Zustandes unserer Demokratie und der handelnden Akteure.

Verborgene Verhandlungen

Die Mandela Verschwörung – Target Freedom. Regie: Pete Travis

Die Fortentwicklung der Weltpolitik ist etwas, das vermeintlich immer von den Medien begleitet wird. Fast schon gehört es zu den fundamentalen Irrtümern, dass die mediale Öffentlichkeit das Forum ist, in dem Geschichte gemacht wird. Bei dem Film Mandela-Verschwörung (Endgame) erhalten wir einen Eindruck davon, dass tatsächlich Wichtiges im Verborgenen stattfinden kann, und, das wird immer deutlicher, sogar muss. Die Notwendigkeit geheimer Diplomatie auch innerhalb nationaler gesellschaftlicher Konflikte ist nirgendwo so deutlich geworden wie bei dem Übergang des südafrikanischen Apartheidssystems zur Souveränität des Landes in Bezug auf freie Wahlen.

In einem Film, der auf die großen Effekte verzichtet und keine spektakuläre Dramaturgie benötigt, wird mit feiner Hand die Linie gezogen zwischen politischer Notwendigkeit, diskreter Vorgehensweise, vertrauensbildenden Maßnahmen und von Werten geleiteter Standhaftigkeit. Alles Erscheinungen, die in dem glitzernden Rummel der elektronischen und elektrisierten Öffentlichkeit als langweilige Attitüden gelten.

Die politische Ausgangssituation, ein seit dem Jahr 1960 in die Illegalität getriebener African National Congress (ANC), dessen Vorsitzender Nelson Mandela seit Jahrzehnten im Gefängnis sitzt, dessen Mitglieder- und Anhängerschaft zunehmend ungeduldig und radikalisiert wird und eine offizielle Apartheidpolitik, vertreten durch den Präsidenten Peter Botha, der keine Kompromisse kennt, hätte nicht aussichtsloser sein können. Wäre da nicht auch eine Weltöffentlichkeit gewesen, die die strategische Prognose für diese rassistische Staatsideologie verdüstert hätte. Auf Initiative von britischen Investoren wurde Tuchfühlung sowohl mit dem ANC als auch mit weiter blickenden Geheimdienstlern aufgenommen, um an den Verhandlungstisch zu kommen. Im fernen England trafen sich dann weiße Intellektuelle des alten Regimes und seitens des ANC Thabo Mbeki, seinerseits Unterhändler des ANC-Präsidenten im Exil, Oliver Thambo, um die Bedingungen für einen Übergang zu verhandeln.

Gleichzeitig verfolgte der Apartheidsgeheimdienst die Taktik, den immer noch inhaftierten Nelson Mandela durch Aufwertung und Privilegierung zu korrumpieren. Neben den feinen Linien des diplomatischen Schachspieles bekommen wir einen Eindruck von der Festigkeit der afrikanischen Revolutionäre und ihrer einzigartigen Integrität. Aber auch das weiße Südafrika wies Charaktere auf, die von einem tiefen Humanismus geprägt waren und aus wohl verstandenem Patriotismus das Land vor einem eskalierenden ruinösen Bürgerkrieg bewahrten.

Der Film wechselt unspektakulär immer wieder die Perspektive und inszeniert so die unterschiedlichen Ebenen der Verhandlung auch in ihrer Binnenwirkung auf die jeweiligen Lager. Wir erfahren sowohl einiges über die Widersprüche innerhalb des ANC als auch über die bröckelnde Allianz auf der Apartheidsseite. Die Verhandlungen zogen sich über Jahre hin und brachten eine Annäherung, die zu der Freilassung Mandelas im Jahre 1990 führte. Die Kompetenz, die der ANC in diesen Verhandlungen gewonnen hat, machten ihn im übrigen zu einem Broker des friedlich orientierten Übergangs. Einige Jahre später wandte sich die IRA, ihrerseits an einer fundamentalen Politikänderung interessiert, an den ANC um Beratung und neuerdings soll es sogar die Hamas sein. Viel Historisches und weit Strahlendes also, geprägt von einer tiefen humanen Bewegung und Diskretion. Der Film fängt diese Dimensionen sehr überzeugend ein, was ihn zu einem großartigen Werk macht.