Noch lange bevor das Phänomen der Political Correctness um sich gegriffen hatte, existierte eine Redewendung, die heute befremdlich klingt, obwohl sie vieles beinhaltet, das nach wie vor bedenkenswert ist. Sie besagte, dass moralische Entrüstung nichts anderes sei als Eifersucht mit Heiligenschein. Die Redewendung bezog sich zumeist auf das Momentum einer kleinbürgerlichen Weltordnung, die es nicht mit ansehen konnte, wenn sich Menschen oder Gruppen das Recht herausnahmen, etwas zu unternehmen, das sich jenseits der Vorstellungen bewegte, was eben diese kleinbürgerliche Lebenshaltung ausmachte. Der Satz traf ins Herz, weil er entlarvte, was sich hinter der heilen Welt einer restriktiven Moralvorstellung verbarg.
Mit dem Aufkommen dessen, was heute in vielerlei Hinsicht als die gängige Moralvorstellung bezeichnet werden muss, ist dieser Satz verblichen. Einerseits durchaus zu Recht, denn wer wollte bestreiten, dass es Grundüberzeugungen gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Vor allem im Kontext von Bürgerrechten wäre es komplett unangebracht, bei ihrer Verletzung und der Empörung darüber so etwas wie Eifersucht zu vermuten. Andererseits ist zu bemerken, dass das Potenzial der Entrüstung aus dem Hause der Intoleranz stammt. Auch wenn die Vorstellung von Menschenrechten eine gute ist, die Reaktion auf ihre Verletzung exklusiv mit der Emotion der Entrüstung zu belegen, lässt Zweifel darüber aufkommen, ob neben dem Gefühl für das Richtige auch so etwas existiert wie eine solide Basis der Vernunft, die dazu befähigen könnte, eine Strategie zu entwickeln, die über eine emotionale Reaktion hinausgeht.
In diesem Kontext der Betrachtung taucht das Problem in voller Größe auf. Denn bis in die Sphären des politischen Handelns hat sich ein emotionales Bacchanal entfacht, das es nahezu unmöglich macht, sich mit den Mitteln der Vernunft für etwas anderes zu entscheiden. Zumeist, und das ist das Frustrierende, bleibt die moralische Entrüstung für sich allein im Raume stehen. Was nützt es, sich über die diktatorische Entwicklung in der Türkei zu echauffieren, sich über den Zaun in Ungarn zu mokieren, oder sich über die verbalen Eskapaden eines US-Präsidenten zu erzürnen, wenn daraus nicht nur keine Reaktion entsteht, sondern auch keine politische Agenda folgt? Was bleibt, ist ein dumpfes Gefühl. Das Gefühl, im Recht zu sein, das Gefühl, auf jeden Fall auf der richtigen Seite zu stehen und letztendlich das Gefühl, dass die Welt eine schlechte ist.
Und gerade letzteres bildet den Korridor für Irrationalismen, die letztendlich in keine gute Richtung weisen. Eine Politik, die sich damit begnügt, lediglich dafür eine Zustimmung zu bekommen, dass sie moralisch auf der richtigen Seite steht, aber aus dieser Haltung keine praktische Folgen resultieren, führt zu einer Reaktion, die so nicht beabsichtigt ist, die aber zur Konsequenz hat, dass immer mehr Menschen, die hautnah spüren, dass die Ursachen der Aufregung über die Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse dazu führt, sich denen zuzuwenden, die praktische Folgen versprechen. Diese Versprechungen mögen noch so unsinnig sein und sie mögen auch nicht das Zeug haben, die tatsächlichen Lebensverhältnisse zum Besseren zu verändern, aber sie bergen die Hoffnung, dass sich etwas ändert. Das tödliche Gift, das nach der moralischen Entrüstung zu wirken beginnt, ist die politische Passivität, die diesem emotionalen Akt folgt. Um es deutlich zu sagen: sich aufregen, aber nichts ändern, das führt zu nichts. Das bestätigt nur die Vermutung, fehl am Platz zu sein.
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