Philip Roth. Ein amerikanisches Idyll
Er war der Sperrige, der sich nicht einflechten ließ in die vielen Paradigmenwechsel, die das späte 20. Jahrhundert bereithielt. Philip Roth hatte ein episches Grundmuster, das seinen vielen Romanen zugrunde lag und das in seiner Biographie begründet war. Immer ging es um den denkbar schwierigen Dialog jüdischer Väter mit ihren sich als Amerikaner fühlenden Söhnen im Bundesstaat New Jersey. Das Frappierende daran war, dass dieses Muster niemals ermüdete, denn in ihm lag und liegt der Schlüssel zu vielem, was bis heute als der amerikanische Traum wie das amerikanische Trauma war. Eine Garantie in der narrativen Struktur dieser Werke gab es jedoch nahezu durchgehend: sie war komplex und forderte auf, sich dieser Komplexität zu stellen. Also keine Lektüre für Inquisitoren!
American Pastoral, oder, wie in deutscher Übersetzung, ein amerikanisches Idyll, birgt alle Qualitäten, die von einem Schriftsteller der Klasse Philip Roths erwartet werden können. Da ist ein Erzähler, der innerhalb des Romans aufgrund einer geschickt inszenierten Rahmenhandlung die Geschichte des eigentlichen Protagonisten unterbreitet, dem famosen Baseballspieler in jungen Jahren, der trotz aller Perspektiven dem Rat des jüdischen Vaters folgt und in dessen Fußstapfen als Besitzer einer Handschuhfabrik tritt. Da ist die von ihm gewählte Frau, ihrerseits irischer Abstammung und ehemalige Schönheitskönigin aus New Jersey. Und da ist die Tochter, in Liebe aufgezogen und mit allem gesegnet, was ein Kind der Upper Middle Class haben kann, das schrecklich stottert, den Vietnamkrieg hasst und als Mörderin endet.
Es ist die unberechenbare Zerstörung des amerikanischen Traumes, welche in diesem Roman Roths stattfindet. Das Perfide an der Konstruktion ist, dass die Protagonisten alle Hindernisse überwinden, um in den sozialen Zustand des Ideals zu geraten, nach dem das ganze Land strebt. Und es ist die unerbittliche Dramaturgie des Lebens, die alles wieder zerstört. Das führt zu inneren Dialogen, die der strahlende ehemalige Baseballstar und erfolgreiche Unternehmer mit sich führt.
Diese Dialoge sind es, die die Würze der Erzählung ausmachen. Die Leserschaft erfährt vieles von dem, was das zeitgenössische Amerika beschäftigt. Da geht es bereits um die Globalisierung der Produktion am Beispiel der Handschuhindustrie, da geht es um den Widerstand gegen den Vietnamkrieg und da geht es um die Konkurrenzen und sozialen Beziehungen innerhalb der Mittelschicht. Und selbstverständlich, sonst wäre es kein Philip Roth, wird das alles gespiegelt sowohl im Kopf des Protagonisten Seymour Levov als auch in dem des jüdischen Vaters, dessen Konservatismus die zeitgenössische Umwelt bereits als Stadium der kulturellen Dekadenz begreift.
Die Lektüre des Romans verlangt Ausdauer und Konzentration. Die Rückblenden und Nebenschauplätze sind einzuordnen, die Ambiguitäten der Charaktere in dem jeweiligen Kontext zu bewerten. Letzteres ist jedoch der Schlüssel, den der Autor der Leserschaft anbietet, um dem Fluch des frühen Urteils zu entgehen. Alle Handelnden haben Motive, nichts entspricht dem guten oder bösen Willen. Das heißt, das Handeln der Menschen ist oft verhängnisvoll, aber die Menschen sind per se nicht schlecht. Das ist eine wichtige Botschaft. Und sie ist, angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Krisen und Umwälzungen, etwas, das nicht ernst genug genommen werden kann. Und das ist, wenn es so wirkt, das Signet großer Literatur!
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