Es scheint so zu sein, dass im Reich der Apologeten und Propagandisten die Frühwarnsysteme nicht allzu gut funktionieren. Schon bei der Implosion des Ostblocks vor zwanzig Jahren mussten wir uns die Augen reiben, als die Hardlinerstaaten des Ostens in sich zusammensackten wie Mehlsäcke bei der letzten Oderüberschwemmung. Kein Geheimdienst, kein politischer Berater, kein Instinkt hatte die Mächtigen im Westen früh genug darauf aufmerksam gemacht, was da auf sie zukommt. Dass dann, als es soweit war, viele von den Ahnungslosen siegessicher vor die Kameras traten und von der Suprematie der Freiheit faselten, ging im Wodka- und Champagnerdunst unter.
Und auch nun, bei der Explosion des islamisch-arabischen und post-kolonialen Staatenbündels schien es nicht so zu sein, als habe man in Berlin, Rom oder Paris eine Ahnung von dem gehabt, was vor der Moscheetür stand. Selbst als die rebellischen Massen längst in die Machtzentralen vorgedrungen waren, pflegte man eine verheerende diplomatie a la routine und bescheinigte den autokratischen Potentaten Berechenbarkeit. Der Schaden, der dadurch angerichtet wurde, ist groß, aber angesichts der wirtschaftlichen Stärke Europas wird man einiges wieder einlenken können. Allerdings sollten wir uns selbst fragen, inwieweit wir noch mit einem System leben wollen, das das volkswirtschaftliche Restvermögen in einem dilettantischen Desastermanagement verschleudert und kein Gespür mehr für die Grundströmungen der Demokratie aufzuweisen scheint.
Spätestens seit dem 11. September 2001 hat sich in der islamischen Welt gewaltig etwas verändert. Während der Westen nur die Signale des Applauses grimmig zur Kenntnis nahm, blendete er die wohl heftigste Diskussion der letzten Jahrzehnte aus. Nicht nur intellektuelle und oppositionelle, sondern auch durchaus traditionalistische Kräfte in den Ländern autoritärer und halb-autoritärer Regime meldeten sich zu Wort und gingen mit dem Fundamentalismus hart ins Gericht. Nicht wenige von ihnen wanderten sogar ins Gefängnis, weil sie die Courage besaßen, auf die Allianz der autokratischen Kräfte in der islamischen Welt mit den Midwest-Fundamentalisten der Bush-Administration hinwiesen. Sie enthüllten eine Interessenverschwörung gegen die Demokratie im Westen und die Menschenrechte im Orient.
Während im Westen nach wie vor von einer Lähmung der oppositionellen, revitalisierenden Bewegungen gesprochen werden muss, hat sich im gesamten Orient eine Revolte etabliert, die die festen Koalitionspartner der westlichen Ölinteressen schachmatt setzt. Wer sich tatsächlich einer demokratischen Welt verschrieben hat, muss darin eine gewaltige Chance der Erneuerung sehen. Der Westen, stattdessen, manövriert sich durch eine Konzeption so genannter Schadensbegrenzung. Damit dokumentieren die gegenwärtigen Regierungen ihre Unfähigkeit, sich zeitnah zurecht zu finden. Ein Dialog mit den Völkern der arabischen Region, so scheint es, gelingt dem Alten Europa nur, wenn es sich demokratisch erneuert.
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