Archiv für den Monat April 2016

Ran an die russische Grenze!

Das ging schnell. US Präsident Obama bekam, weil er so nett gefragt hat, schon bei seinem Besuch in Hannover grünes Licht von der Kanzlerin. Und es wird darüber berichtet, als handele es sich um eine kaum erwähnbare Prolongierung der Nutzung von Glühbirnen. Und entsprechend wird es auch in den Nachrichten verarbeitet. Diese Art, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen ist es, die die Radikalisierung zur Folge hat. Wer dabei meint, noch schlau zu sein, dem möge das gerne attestiert werden. Nur ist schlau leider nicht weise.

Worum geht es? Es geht um ein Gefühl! Ja, richtig gehört, und es geht nicht um das Gefühl, mit dem die Stadt Köln einst eine Marketingkampagne startete, welches den unerklärbaren Charme der Stadt beschreiben sollte, sondern es geht um das Gefühl einer Bedrohung. Namentlich aus Polen und aus den baltischen Staaten wird immer wieder formuliert, sich von Russland bedroht zu fühlen. Historisch ist das verständlich, allerdings gehen diese Erfahrungen zurück in das zaristische Russland und die Sowjetunion. Weder Polen noch die baltischen Staaten haben seit Gründung der russischen Föderation solche Erfahrungen gemacht. Sie begründen die Bedrohungsangst mit den jüngsten Ereignissen in der Ukraine. Und dann kommt wieder die Besetzung der Krim durch Russland. Ja, der Traum von NATO-Raketen auf der Krim, quasi im russischen Hausflur, der war sehr groß. Und wenn es so ist, wenn aus Träumen nichts wird, dann herrscht ein knurriger Kater.

Die Bundesregierung jedenfalls hat dem amerikanischen Ansinnen nachgegeben und sich bereit erklärt, aufgrund des subjektiven Bedrohungsgefühls erstmal 1000 Soldaten mit an die litauisch-russische Grenze zu schicken. Das ist, abgesehen davon, ob die Begründung dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entspricht, was bezweifelt werden kann, eine völlig neue Qualität. Mit dieser Perspektive hätte es nie eine Wiedervereinigung gegeben und so verhalten sich unzuverlässige Akteure, mit denen Verhandlungen unsinnig sind. Im Grundgesetz wurde recht eindeutig formuliert, dass die Streitkräfte nur einen Zweck haben dürfen, und zwar den der Landesverteidigung. Ob sich dritte, territorial woanders befindliche Bündnispartner bedroht fühlen, hat damit nichts zu tun.

Und natürlich fällt die Fassade einer nonchalanten Aktion sehr schnell in sich zusammen, wenn bekannt wird, dass es mit dieser erweiterten Maßnahme, die der direkten Verlegung einer weiteren kompletten amerikanischen Panzerdivision direkt an die russische Grenze folgt, vornehmlich der Abschreckung diene. Es gilt also viel zu lernen in Bezug auf Deutschlands neue Rolle, die zum Teil von preisgekrönten Historikern als das beschreiten des normativen Wegs in den Westen beschrieben wird. Das ist ideologische Akrobatik in einem hoch aggressiven Kontext und stellt alles in den Schatten, was ansonsten als Richtungsstreit in der Politik bezeichnet werden kann.

Es war zu lernen, dass die deutsche Demokratie am Hindukusch mit verteidigt werden müsse. Dabei ging und geht es um den Zugriff auf strategische Rohstoffe, was als kleine Hauswahrheit selbst zum Scheitern eines Bundespräsidenten beitrug. Und es ist zu lernen, dass die EU sich direkt an die NATO gebunden hat, um Märkte im Osten zu erschließen und den militärischen Griff direkt an die russische Grenze zu legen. Wer da noch meint, es ginge um Philanthropie gegenüber den angstschlotternden ehemaligen Opfern zaristischer oder sowjetischer Expansionspolitik, der darf für sich ein sonniges Gemüt reklamieren, sollte sich aber aus politischen Analysen mit Brisanz konsequenterweise heraushalten.

Ein Abort der Weltgeschichte

Heinz Strunk. Der goldene Handschuh

Die siebziger Jahre der alten Bundesrepublik markierten eine Zäsur. In ihnen gelangte der Industrialismus des Wirtschaftswunders ernsthaft an Grenzen, in ihnen erodierte ein gesellschaftlicher Konsens, in dem die Politik radikalisiert wurde, und vieles, an das geglaubt werden konnte, verlor drastisch an Glanz. Da gab es immer noch atemberaubende Erfolgsgeschichten, da gab es immer noch ein uneingeschränktes Ja zum unbeschwerten Leben. Aber die Subkulturen wurden zahlreicher und größer. Nicht nur die des Wohlstandes und der Esoterik, sondern auch die der drastischen Armut und beklemmenden Gegenwelt.

Die hier von Heinz Strunk noch einmal erzählte Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka, der seine Opfer regelrecht filetierte, spielte genau in den Milieus, die damals noch aufeinandertrafen, was heute nicht mehr vorstellbar ist. In den Kaschemmen des Hamburger Kiezes war es wirklich noch möglich, waschechte Penner und tatsächlich feine Herren gleichzeitig anzutreffen. Die einen brauchten ihren Schmierstoff in Form billigen Fusels, die anderen die Droge der Illusion, alles erleben zu können, wenn man nur wollte.

Heinz Strunk gelingt es, die Leichtigkeit der Überlappung dieser Lebenswelten einzufangen. Was allerdings noch wesentlich kunstvoller ist, sind seine nahezu gestochenen Sätze, die dennoch ganz lapidar daherkommen, wenn er den Abgrund beschreibt, aus dem der Täter Fritz Honka kam und der aus ihm auch ein Opfer gemacht hatte, bevor er zur Bestie mutierte. Die Ambivalenz und die Nähe von bürgerlich heiler Welt und jenem Abort der Weltgeschichte, der sich Zum Goldenen Handschuh nannte, werden exzellent erfassbar gemacht. Dass der Leserschaft irgendwann deutlich wird, dass diese Gesellschaft mit ihren zwei Gesichtern vielleicht doch nur ein menschenverachtendes, abscheuliches Antlitz hat, kann dem Willen des Autors sicherlich zugerechnet werden.

Im Goldenen Handschuh wird diese vergangene, aber immer noch wirksame Welt wieder präsent. Mit allen Kulturbrüchen, die zwischen den siebziger Jahren und dem Heute liegen. Das Frauenbild, das damals durchgängig zu herrschen schien, gegen das der heutigen Zivilisation abzusetzen, ist eine derart schockierende Erfahrung, dass sie allein das Buch bereits zur Pflichtlektüre machen sollte. Die Ignoranz gegenüber dem selbstzerstörerischen Rauschverhalten ist eine zweite Markierung, die noch einmal dafür sorgt, den Atem anzuhalten.

Die große und tatsächliche Verstörung kommt jedoch durch die akribische Schilderung des Psychogramms jenes Fritz Honkas zustande, der gar nicht so daher kommt wie eine Bestie. Der eigentlich Ordnung und Halt sucht, der aber derart lädiert ist, dass ihn die geringste Form des geordneten Lebens bereits überfordert. Selbst Objekt von Sexual- und Gewaltmissbrauch, greift er in den tiefen Krisen, die aus dem Alkoholismus resultieren, auf genau die Erfahrungswelten zurück, die er bereits als Objekt erfahren hat. Auch Honka vergewaltigt und verprügelt, und auch Honka geht noch weiter. Nachdem die Opfer ermordet sind, zerlegt er sie wie Wildbret und verscharrt sie auf dem Dachboden.

Das Schlimme, das sich hinter dieser erzählten Geschichte verbirgt, ist die tatsächliche Realität. Es ist eine Welt, die historisch dokumentierbar ist und aus der Not geboren wurde. Der psychopathologisch beschriebene Fritz Honka ist auch eine Diagnose für eine Gesellschaft, die alles verarbeitet hatte, was der Wertschöpfung dienen konnte, nur nicht sich selbst. Eine Gesellschaft, in der moralisch noch der Krieg steckte, eine Gesellschaft, die an Macht und Wachstum glaubte und eine Gesellschaft, in der Schwäche eine Tabu war. Dort konnten Kulturen gedeihen, die keine waren. Fritz Honka war ein Beispiel dafür. Heinz Strunk hat das meisterhaft geschildert.

Die Automobilindustrie, die Innovation und die Subvention

Innovation, so heißt es nicht zu Unrecht, ist das Ergebnis einer Krise. Bei technischen Innovationen handelt es sich zumeist um eine eintretende Knappheit von Ressourcen. Wenn diese zum Betrieb einer Technik ausgehen, dann explodiert der Drang, etwas so zu konstruieren, dass mit der neuen Technik der Mangel an Ressourcen kompensiert werden kann. Die Motoren, mit denen deutsche Automobile angetrieben werden, waren durch die großen Kriege im 20. Jahrhundert deshalb das Ergebnis eines zunehmend schlechten Zugangs zu Benzin. Die Ingenieure, die auch durch diese Leistungen nahezu Kultstatus erlangten, waren in der Lage, verbrauchsarme Motoren mit großer Leistung zu konstruieren.

Der Markt, so heißt es immer wieder, der Markt reguliere alles. Wenn, so könnte gesagt werden, wenn da kein Staat ist, der die Entwicklung des Marktes in der einen oder anderen Weise zu kompensieren in der Lage ist. Die Entwicklung des Weltklimas ist ein Phänomen, das mittlerweile sehr gut erklärt werden kann. Die allmähliche Erderwärmung hat dazu beigetragen, dass sich immer mehr Nutzer von Automobilen die Frage stellen, wie sie durch den Kauf von umweltfreundlicheren Fahrzeugen einen kleinen Beitrag leisten können, um, wenn nicht die globale ökologische Krise zu verhindern, sie zumindest zu verzögern. Insofern hat dieses Bewusstsein zu einem zunehmend kritischeren Marktverhalten beigetragen. Ein großes Versprechen in dieser Hinsicht gibt momentan das Elektroautomobil. Inwiefern die Ökologiebilanz dieses Fortbewegungsmittels in aller Konsequenz durchdacht ist, bleibt dahingestellt. Zumindest ist es eine Alternative, die viele locken würde, wäre das Angebot erschwinglich.

Wer sich in den letzten Jahren gegen jegliche strukturelle Innovation als resistent erwiesen hat, war das Management der deutschen Automobilindustrie. Einmal abgesehen von den jüngsten Manipulationsskandalen hinsichtlich von Emissionsmessungen muss es sich vorwerfen lassen, die Entwicklung des Elektroautomobils schlichtweg verhindert zu haben. Mit Parolen, die aus dem Gewerbe seit Jahrzehnten allzu bekannt sind, würde mit schlecht kaschierter Arroganz dem neuen Typus jegliche Relevanz abgesprochen. Stattdessen setzte sie auf den konventionellen Typ, nur größer, schneller und mit frisierten Verbrauchszahlen.

Nun, da die Entwicklung in eine neue, innovative Richtung immer deutlicher wird, rufen die Apologeten des freien Marktes nach dem Staat. Ganz in der alten Tradition der Nötigung wird nun mit den 800.000 Arbeitsplätzen gedroht, die gefährdet seien, wenn sich die Bundesregierung nicht bereit erklärt, die im Verhältnis zu den vorhandenen Verbrennungsmotoren sehr teuren Elektroautomobile zu subventionieren und sich bei dem Ausbau einer Infrastruktur zu beteiligen. So schnell kann es gehen, wenn man, wie es so schön in Hamburg heißt, mit dem Arsch in der Butter sitzt und meint, man könne so weitermachen wie bisher und eines Tages aufwacht und sieht, dass die Welt eine andere geworden ist.

Die Bundesregierung, vor kurzem noch zurückhaltend und auf die Aufgabe der Automobilindustrie verweisend, hat sich nun dieser Nötigung gebeugt. Gestern redete man noch von 600 Millionen, die zur Subvention bereit gestellt werden sollen, so waren es heute, nach dem Gespräch mit den Granden des Traditionsgewerbes im Kanzleramt, bereits eine Milliarde. 4.000 Euro soll jeder Käufer erhalten, wenn er sich zum Erwerb eines Elektroautomobils entscheidet. Was im Unklaren bleibt ist die Frage, inwiefern die dann immer noch große Differenz zum Kaufpreis eines konventionellen Automobils damit kompensiert werden und um welche deutschen Modelle es sich dabei eigentlich handeln soll. Bis dato existieren sie bis auf wenige, unattraktive Modelle nämlich gar nicht. Oder sind sie irgendwo versteckt? Es ist ein Possenspiel.