Archiv für den Monat Juli 2010

R&B aus Philadelphia

Solomon Burke. Nothing´s Impossible

Seit Jahrzehnten ist er eine Ikone des R&B. Er tingelte den berühmten Chitlin´ Circuit, die harte Straße der Gigs durch den Süden der USA so oft, dass er jeden Diner auf tausenden von Meilen ausgiebig testen konnte. Schon vor Jahrzehnten konnte er es sich leisten, einen jungen Gitaristen wie Jimi Hendrix aus der Band zu werfen, weil der ihn mit seinen Riffepisoden nervte. Solomon Burke, der schwergewichtige Platzhirsch des R&B aus Philadelphia, der vor kurzem seinen 70. Geburtstag feierte, hat mit seinem neuen Album Nothing´s Impossible, vier Jahre nach seinem überaus erfolgreichen Nashville wiederum bewiesen, dass es in seinem Genre eine Zeit der Reife gibt, die sich in Rhythmus und tonaler Qualität äußert und die Weltmeisterschaft der Virtuosität den Jungen überlässt. Ähnlich wie B.B. Kings There Is Always One More Time, das letzterer ungefähr im gleichen Lebensalter aufgenommen hat, dokumentiert Solomon Burke in beeindruckender Weise, dass das Leben mit siebzig längst nicht vorbei ist, und der musikalische Ausdruck noch große Chancen birgt. Nothing´s Impossible hat das Zeug, das R&B-Album des Jahres zu werden.

Natürlich fängt der Reigen mit Oh What A Feeling an, denn die Voraussetzung für seine Musik ist ein tiefes, von Melancholie und sensueller Lebensfreude geprägtes emotionales Befinden, dass die dem Blues entlehnten Weisen mit einer in den Soul tauchenden Befindlichkeit ausmacht. Die allen Stücken innewohnende Romantik wird getragen von einem Bläserensemble, das die Dimensionen des wandernden Daseins ausschmückt: Fett, etwas ölig, doch nicht so sehr, dass es in die Trivialität abgleitet. Wie im Titelsong Nothing´s Impossible, der getragen wird von der weite des Landes wie der Lebenserfahrung, die dem entspringt, der sich auf es einlässt, entsteht alles, nur keine Aufregung. Egal, welche Geschichten Burke mit seiner kräftigen, gefälligen, mitten im Leben stehenden Stimme zum Besten gibt, sie sind geprägt von tiefer Erfahrung, Sehnsucht und Hoffnung. You´re Not Alone oder When You´re Not Here, New Company oder The Error Of My Ways, egal, welchen Song man sich anhört, es ist ein Thema, um das sich alles rangt. Es ist die Geschichte des Lebens, des Unterwegsseins, des Sichtreffens wie des Abschiednehmens. Ohne dass Solomon Burke sich Erklärungen behelfen muss, ihm gelingt es, diese Urmetapher der menschlichen Existenz in immer wieder variierenden Versionen zu thematisieren, ohne zu langweilen. Eine exzellente Band, mal gestützt von einem Chor oder von Bläsern, intoniert die Idee, dass es das Hinnehmen der Vergänglichkeit ist, die das Leben zu einem gelungenen Projekt macht. Da wundert es kaum, dass der Abschluss mit dem Titel I´m Leaving gefunden wird. Da sitzt niemand, der sagt, so, jetzt ist Schluss, nein, es geht immer so weiter, so ist es, und so wird es bleiben.

Solomon Burke ist es gelungen, ein Album zu komponieren, das die Tiefe seines Genres spüren lässt, das musikalisch überzeugt und eigentlich zeitlos ist. Das können sich die anhören, die schon lange dabei sind und auch die, die immer noch dabei sind, wenn der gute Solomon mit seinem Lincoln Continental längst vorm Himmelstor vorgefahren ist.

Etymologie und politische Sozialisation eines Wortes

Der Fall ereignet sich immer wieder. Wörter haben ihre Geschichte, wie man so schön sagt. Zum einen haben sie einen unbestechlichen, aus ihrer Genese entsprungenen Gehalt, was die Sprachwissenschaft die ursprüngliche Bedeutung nennt, die aus ihrer Herkunft, d.h. Etymologie resultiert. Zum anderen geraten sie in eine politische Diskussion, werden stylt oder entstellt und stehen plötzlich in einem Kontext, der mit der eigentlichen Bedeutung nicht mehr viel zu tun hat. Die Folge ist ein großes Kommunikationsproblem, weil in der Regel zwei Lager den Begriff unterschiedlich gebrauchen, das eine im engen sprachlichen Areal, das andere im politischen Kontext. Nicht selten kommt es dabei zu Verwerfungen, die allerdings zu nichts führen. Das Mannheimer Institut für Deutsche Sprache zollte diesem Phänomen vor einigen Jahren Tribut, indem es ein Buch mit dem Titel „Brisante Wörter“ herausbrachte, dessen Lektüre hier unbedingt empfohlen wird.

Einer jener Begriffe mit einer dualen Dimension ist der Stolz. Ob Substantiv oder Adjektiv, die Etymologie verweist auf eine negative Konnotation. Im Deutschen wie im Niederländischen geht seine Bedeutung zurück auf überheblich, hochfahrend, töricht, übermütig, prächtig, staatlich und ritterlich. Von der Sprachwurzel geht Stolz sogar auf die Stelze zurück, d.h. wer stolz ist, erhöht sich künstlich durch ein Hilfsmittel. Auch die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts weist dem Stolz seinen Platz zu, seien es Kontexte wie Stolz und Vorurteil oder Sentenzen wie in Hermann Hesses Gedicht „Ich bin ein Stern“, in dem die folgenschweren Zeilen vorkommen: „Vom Stolz erzogen, vom Stolz betrogen, ich bin ein König ohne Land.“

Besonders mit Aufkommen des Nationalsozialismus erfuhr der Begriff eine neue Bewertung, die Überhöhung, die dem Begriff innewohnt, passte in das Herrenbewusstsein und so wurde „stolz“ eine positive Eigenschaft. Dieser, von einer bestimmten Politik geprägte Kontext, führte zu einer Rückordnung in die semantischen Negativkategorien nach dem Sieg über den Faschismus. Aber auch die Geschichte von Wörtern ist nicht Ironie. Der Gebrauch des neonazistischem Slogans „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“, der zunächst von einer großen Mehrheit entrüstet zurück gewiesen wurde, führte zu einer emotionalen, aber etymologisch verfälschenden Zweitrezeption. Allmählich setzte sich gesellschaftlich die Auffassung durch, man lasse sich positive Begriffe nicht durch die Nazis madig machen und prompt tauchte der Begriff in demokratisch tadellosen Milieus in einem positiven Zusammenhang auf. Die ursprüngliche, arrogante, sich selbst überhöhende und respektlose Attitüde gegenüber anderen war nicht mehr zu identifizieren. Und zuweilen ging es sogar soweit, dass die Skeptiker der politisch motivierten Begriffswandlung auch im demokratischen Lager ausgegrenzt zu werden drohten.

Die Geschichte eines Wortes ist nicht determinierbar. Der Kontext, in dem es gebraucht wird, wechselt, und der semantische Wandel ist das Wesen einer lebenden Sprache. Es empfiehlt sich jedoch, bei einer Emotionalisierung die kalten Umschläge der Etymologie aufzulegen. Das beruhigt, und nimmt die Hitze aus der Diskussion.

Gefährliches Muster

Es gibt die großen Metropolen. Sie heißen New York, Paris, London, Shanghai oder Rio de Janeiro. Es sind die größten, impulsivsten und vor allen Dingen die härtesten Städte der Welt. Diejenigen, die sich in Metropolen wie diesen behaupten, gehören zu einer globalen Überlebenselite. Sie sind die urbanen Energieträger dieser Welt, es ist keine tote Infrastruktur oder traumhafte Lage, sondern die Menschen, die unmögliche Leistungen erbringen und in diesen Kaderschmieden der Moderne eine Vitalität erzeugen, von der man in anderen Regionen dieser Welt nur träumt. Das eine, die über hohen Anforderungen an das Überleben, sind von der Attraktivität und der Exklusivität nicht zu trennen, sie bedingen einander.

Und dann gibt es unzählige andere Großstädte, die von ihrer Geschichte wie den tatsächlichen Potenzialen im Mittelmaß liegen. Auch sie haben Interessantes vorzuweisen, die eine oder andere kulturelle Einzigartigkeit, eine imposante industriegeschichtliche Periode oder einen legendären Sportverein. Die Bürgerschaft dieser Städte ist oft arbeitsam und liebenswert, die Lebensbedingungen sind oft wesentlich erträglicher als in den Weltmetropolen, und gerade deshalb sind sie als Lebensziel nicht selten auch begehrt.

Eine Gefahr jedoch, in denen sich die manchmal so genannten second cities befinden, ist die von den treibenden Kräften der Gesellschaft empfundene Sehnsucht nach Einzigartigkeit und Ruhm. Deshalb lechzt sie geradezu danach, in einem Atemzug mit Rom, Madrid oder Paris genannt zu werden. Man will mitspielen mit den Überlebenseliten, obwohl man seine eigenen Energien aus den Refugien des gesetzten Mittelstandes speist. Gelingen wird das nie, weil es eine enge, vitale Verbindung gibt zwischen dem mittelständischen Tabu und dem existenziellen Gesetz der Stärke. Sprich, in den Metropolen ist die Wahrheit meistens nackt, während sie sich in den anderen Städten schamerfüllt hinter dem Paravent zu verstecken sucht.

Dennoch setzen die second cities immer wieder zum Sprung an und wollen teilnehmen am Wettbewerb der Großen. Kaum eine der second cities ist von diesen Versuchen verschont. Meistens enden diese Versuche mit einem finanziellen Desaster und einem relativ dürftigen Ergebnis. Tausende von kulturellen Veranstaltungen, von Museumsbauten, von Sportevents oder anderen Großveranstaltungen füllen die Journale und belegen das ungleiche, aussichtslose Spiel. Zudem hat sich eine regelrechte Industrie von Agenturen herausgebildet, die sich trefflich ernährt aus dem Wunsch der meisten Großstädte, zu einer tatsächlichen Metropole zu werden.

Während die lokalen Promotoren des inszenierten Größenwahns in der Regel für die Unerfüllbarkeit des Wunsches geköpft werden, ziehen die Agenturen, klug wie sie sind, wie ein Wanderzirkus weiter. Was bleibt, ist ein großer Katzenjammer, und was sich abspielt, ist dann Provinztheater: Keiner will es gewesen sein, und die vordem enthusiasmierte Masse weist alle Beteiligung von sich.