Weil der Begriff aus der Forstwirtschaft stammt, hat er vielleicht in Deutschland eine derartig mystische Wirkung entfaltet. Es ist bekannt, dass die Deutschen eine tiefenpsychologische Bindung zu Ihrem Wald haben. Das zeigt sich nicht nur in der Lyrik früherer Tag, das hat sich auch in den 1980iger Jahren gezeigt, als das prognostizierte Waldsterben eine politische Bewegung etablierte, die bis heute als politischer Faktor Bestand hat. Das Waldsterben fand zwar nicht statt, aber die Ankündigung reichte, um genug Furcht und Zorn zu generieren, der die Bewegung in die Parlamente spülte. Und im neuen Jahrtausend kam aus dem gleichen Milieu das politische Paradigma der Nachhaltigkeit. Der Begriff wird wie eine Monstranz durch alle politischen Diskussionen getragen und kaum jemand kann es sich noch leisten, mit diesem Begriff kritisch umzugehen.
Im 19. Jahrhundert sprachen deutsche Forstwirte bereits von dem Prinzip der Nachhaltigkeit und meinten damit, den Wald nicht wahllos abzuholzen und zu verwerten, sondern durch gezielte und systematische Nachpflanzungen in seinem Gesamtzustand zu erhalten. Das Prinzip hat sich als vernünftig erwiesen und ist aufgrund dessen auch als eine Metapher für politisches Handeln eine durchaus ernst zu nehmende Angelegenheit. Das mit dem Begriff mitschwingende Sakrale ist eine andere Sache.
Ökonomen und Politologen haben seit Jahrzehnten eine Diskussion um den Begriff der Nachhaltigkeit geführt, aus der ein Modell entstanden ist, das immer wieder kritisiert und modifiziert wird, an dessen Grundidee allerdings sehr vernünftig gearbeitet werden kann. Es handelt sich dabei um das Modell der drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Soziales und Wirtschaft. Dadurch, dass der ein ökologische Aspekt, der lange Zeit das Denken überwog, durch die Gravitationskräfte der Wirtschaft und der sozialen Entwicklung belastet werden, bekommt die Nachhaltigkeit als Orientierungsziel für politisches Handeln einen Realitätsschub. Die Überlegung, ob politisches Handeln, das ökologisch vernünftig ist, auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen mit sich bringt und für große Teile der Gesellschaft einen sozialen Vorteil bewirkt, sollte nach diesem Drei-Säulen-Modell essenziell werden.
Ökologie, Ökonomie und Soziales sind demnach Maßstäbe, mit denen bisheriges politisches Handeln sehr gut taxiert werden kann. Die Energiepolitik der Vergangenheit bekommt so sehr überzeugend ein schlechtes Zeugnis, denn die Schädigung von Natur und Mensch bei wirtschaftlichen Vorteilen für nur Wenige ist kein Konzept, dass den Begriff der Nachhaltigkeit verdiente. Aber auch manche energiepolitischen Schritte, die als Sieg der Nachhaltigkeit gefeiert werden, wie zum Beispiel die Liquidierung der Kohleförderung im eigenen Land, werden relativiert, wenn man sich die Dimension der Kohleimporte ansieht, die in anderen Teilen der Welt gefördert wurde, für deren Förderung lokal schlechte Löhne bezahlt wurden und für dessen Transport eine Menge Energie verwendet werden musste.
Die drei Säulen der Nachhaltigkeit sind nirgendwo als politisches Leitmotiv festgeschrieben. Jenseits der mystischen Wirkung auf so manche Reformhausseele besitzt dieses Motiv jedoch eine Attraktion, die in der Betrachtung politischer Notwendigkeiten mit berücksichtigt werden sollte. Genau genommen sind es sehr strenge Kriterien, die bei strikter Anwendung sogar vieles demontieren, das unter der Chiffre der Nachhaltigkeit daherkommt.
Die inflationäre Verwendung des Begriffes der Nachhaltigkeit deutet darauf hin, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit immer mehr an tatsächlicher Bedeutung im politischen Vollzug verliert. Begriffsinflationen deuten auf Bedeutungsverlust. Die ständige Wiederholung soll vertuschen, dass es an Substanz fehlt. Das kann man durchdeklinieren. Da ergeht es der Nachhaltigkeit genauso wie der Strategie.
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