Archiv für den Monat August 2016

Nachhaltigkeit

Weil der Begriff aus der Forstwirtschaft stammt, hat er vielleicht in Deutschland eine derartig mystische Wirkung entfaltet. Es ist bekannt, dass die Deutschen eine tiefenpsychologische Bindung zu Ihrem Wald haben. Das zeigt sich nicht nur in der Lyrik früherer Tag, das hat sich auch in den 1980iger Jahren gezeigt, als das prognostizierte Waldsterben eine politische Bewegung etablierte, die bis heute als politischer Faktor Bestand hat. Das Waldsterben fand zwar nicht statt, aber die Ankündigung reichte, um genug Furcht und Zorn zu generieren, der die Bewegung in die Parlamente spülte. Und im neuen Jahrtausend kam aus dem gleichen Milieu das politische Paradigma der Nachhaltigkeit. Der Begriff wird wie eine Monstranz durch alle politischen Diskussionen getragen und kaum jemand kann es sich noch leisten, mit diesem Begriff kritisch umzugehen.

Im 19. Jahrhundert sprachen deutsche Forstwirte bereits von dem Prinzip der Nachhaltigkeit und meinten damit, den Wald nicht wahllos abzuholzen und zu verwerten, sondern durch gezielte und systematische Nachpflanzungen in seinem Gesamtzustand zu erhalten. Das Prinzip hat sich als vernünftig erwiesen und ist aufgrund dessen auch als eine Metapher für politisches Handeln eine durchaus ernst zu nehmende Angelegenheit. Das mit dem Begriff mitschwingende Sakrale ist eine andere Sache.

Ökonomen und Politologen haben seit Jahrzehnten eine Diskussion um den Begriff der Nachhaltigkeit geführt, aus der ein Modell entstanden ist, das immer wieder kritisiert und modifiziert wird, an dessen Grundidee allerdings sehr vernünftig gearbeitet werden kann. Es handelt sich dabei um das Modell der drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Soziales und Wirtschaft. Dadurch, dass der ein ökologische Aspekt, der lange Zeit das Denken überwog, durch die Gravitationskräfte der Wirtschaft und der sozialen Entwicklung belastet werden, bekommt die Nachhaltigkeit als Orientierungsziel für politisches Handeln einen Realitätsschub. Die Überlegung, ob politisches Handeln, das ökologisch vernünftig ist, auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen mit sich bringt und für große Teile der Gesellschaft einen sozialen Vorteil bewirkt, sollte nach diesem Drei-Säulen-Modell essenziell werden.

Ökologie, Ökonomie und Soziales sind demnach Maßstäbe, mit denen bisheriges politisches Handeln sehr gut taxiert werden kann. Die Energiepolitik der Vergangenheit bekommt so sehr überzeugend ein schlechtes Zeugnis, denn die Schädigung von Natur und Mensch bei wirtschaftlichen Vorteilen für nur Wenige ist kein Konzept, dass den Begriff der Nachhaltigkeit verdiente. Aber auch manche energiepolitischen Schritte, die als Sieg der Nachhaltigkeit gefeiert werden, wie zum Beispiel die Liquidierung der Kohleförderung im eigenen Land, werden relativiert, wenn man sich die Dimension der Kohleimporte ansieht, die in anderen Teilen der Welt gefördert wurde, für deren Förderung lokal schlechte Löhne bezahlt wurden und für dessen Transport eine Menge Energie verwendet werden musste.

Die drei Säulen der Nachhaltigkeit sind nirgendwo als politisches Leitmotiv festgeschrieben. Jenseits der mystischen Wirkung auf so manche Reformhausseele besitzt dieses Motiv jedoch eine Attraktion, die in der Betrachtung politischer Notwendigkeiten mit berücksichtigt werden sollte. Genau genommen sind es sehr strenge Kriterien, die bei strikter Anwendung sogar vieles demontieren, das unter der Chiffre der Nachhaltigkeit daherkommt.

Die inflationäre Verwendung des Begriffes der Nachhaltigkeit deutet darauf hin, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit immer mehr an tatsächlicher Bedeutung im politischen Vollzug verliert. Begriffsinflationen deuten auf Bedeutungsverlust. Die ständige Wiederholung soll vertuschen, dass es an Substanz fehlt. Das kann man durchdeklinieren. Da ergeht es der Nachhaltigkeit genauso wie der Strategie.

No Action, Talk Only

Es wirkt, als wäre alles ein Spiel. In der Berichterstattung über weltpolitische wirkende Kriege und Verwerfungen wird von den Medien berichtet, als sei immer das legitim, was das eigene Bündnis und die damit assoziierten Bündnisse tun und sei alles, was andere Parteien machen, das Bodenlose, das Schlechte, das häßlich Motivierte schlechthin. Es wird nicht einmal mehr versucht, die Motive für besondere Handlungen ins Blickfeld zu bringen. Das würde manches erklären, auch die Politik des eigenen Lagers. Aber, so kann vermutet werden, wer will überhaupt, dass die Motive an den Tag kommen. Stellte sich dann heraus, dass die eigene Agenda doch nicht so lupenrein demokratisch und moralisch ist, wie immer behauptet? Und stellte sich da nich womöglich auch noch heraus, dass das Bündnis, das eigentlich Garant für Sicherheit in militärischen Konflikten sein soll, zum sicheren Risikofaktor geworden ist?

Momentan werden die öffentlich-rechtlichen Berichterstatter nicht müde, auf die grausame Lage der Zivilbevölkerung in Aleppo hinzuweisen. Abgesehen von der dürftigen informatorischen Qualität vieler Beiträge ist die Situation tatsächlich furchtbar. Aber das ist sie seit Jahren, als in eben diesen Medien sich noch niemand darum kümmerte. Der Kampf zwischen dem syrischen Staatspräsidenten Assad und sunnitischen, von Saudi Arabien finanzierten Rebellen, tobt seit Jahren. Partei gegen Assad haben die Berichterstatter ergriffen, Partei für die sunnitischen Kampfverbände zu nehmen hat man sich aber nie getraut, wohl wissend, dass deren Sieg den massenhaften Tod von Aleviten, Schiiten, Christen und Juden zur Folge haben dürfte. Das Mitleiden mit der Bevölkerung von Aleppo setzte erst ein, als Russland Assad mit Kampfjets zu Hilfe kam. Diese sind jetzt die Wurzel des Übels, ohne dass es ein eigenes Szenario für eine Lösung gäbe.

Das, was dagegen das eigene Bündnis in Syrien fabriziert, ist nicht dazu angeraten, durch Tatkraft zu überzeugen. Die Bundesregierung, vor allem die Verteidigungsministerin, deren Lob für die kurdischen Peschmerga zur Begründung von deren Unterstützung durch die Bundeswehr noch in den Ohren klingen, sieht mit an, wie türkische Verbände ohne Kriegserklärung die syrische Grenze unter dem Vorwand der IS-Bekämpfung überschreiten und gegen eben diese Peschmerga vorgehen. Auch die USA, die ihrerseits ebenso die kurdischen Truppen in diesem Krieg unterstützt haben, sehen schweren Herzens mit an, wie das State Department formuliert mit an, wie sie nun bekämpft werden. Die Türkei, ihrerseits NATO-Mitglied, kann sich anscheinend leisten, das Völkerrecht zu brechen und Verbündete der NATO zu bekämpfen ohne damit rechnen zu müssen, zur Ordnung gerufen zu werden. Die Erlaubnis, die Grenze zu überschreiten hat sich Erdogan nicht bei der NATO, sondern jüngst in Moskau erteilen lassen. Wie in einer Ironie des Schicksals wird gerade in diesem Konflikt jener Hohn über die NATO zur Wahrheit, der aus einer ganz anderen Zeit stammt: No Action, Talk Only.

Verständlich angesichts dieser Verwirrungen ist es, dass es immer schwieriger wird, das zu formulieren, was als eine konsistente Außenpolitik bezeichnet werden könnte. Zu groß sind die logischen Risse, die entstanden sind, um noch eine eigene Zugkraft der Argumente beobachten zu können. Was bringt es, das Völkerrecht in dem einen Fall hochzuhalten und dessen Bruch zu skandalisieren, wenn die eigene Formation es wiederholt und wissentlich beschädigt? Was bringt es, von hehren Prinzipien zu reden, wenn eigene, sehr nahe liegende Interessen wie im Flüchtlingsabkommen mit der Türkei alles hinnehmbar machen, was diese Prinzipien verletzt? Wann spricht sich endlich herum, dass die Glaubwürdigkeit dramatisch gelitten hat?

Weiteres Treiben, wechselnde Koalitionen

Was immer auch die Kanzlerin im Schilde führt, es ist nichts Gutes, dass sie treibt. So könnte zusammengefasst werden, was mittlerweile viele europäische Staatsoberhäupter denken, wenn sich Merkel zu einem diskreten Besuch angemeldet hat. Jetzt, inmitten einer nahezu hektischen Reisediplomatie, direkt vor dem nächsten EU-Gipfel, ist die Frage nach Merkels Motiven umso virulenter. Nachdem Großbritannien das Weite gesucht hat, sollte, makabrerweise am Grab des italienischen Antifaschisten Spinelli, eine neue europäische Führung stillschweigend etabliert werden, nämlich die von Deutschland, Frankreich und Italien, und zwar in dieser Reihenfolge. Und nach dieser Visite im gebeutelten Italien eilte Merkel nach Prag und nach Warschau. Und alles deutet angesichts der Besuchergruppen daraufhin, dass nach Interessengruppen gegliedert und gespalten werden soll.

Die Signale, die sie bis jetzt erhielt, sind nicht sehr ermutigend, aber sie werden Merkel nicht davon abhalten, ihren Plan der deutschen Dominanz und der weiteren, beschleunigten Militarisierung Europas fortzusetzen. Denn die Phase des Austarierens ist längst abgeschlossen. Nach der Züchtigung der südeuropäischen Staaten in Bezug auf die wohl überlegte und konsequent durchgeführte Schuldabhängigkeit, geht es nun darum, die Südostflanke trotz des unsicheren Kantonisten der Türkei in Bezug auf die Kriegsfolgen im Nahen Osten zu sichern. Die dortige Destabilisierungspolitik der USA, die aggressiven Interventionen Saudi Arabiens und die russische Unterstützung Assads haben zu den massenhaften Fluchtbewegungen geführt, mit denen Merkel nicht so jonglieren konnte, wie sie das gedacht hatte. Isoliert betrachtet, wurde die Fluchtbewegung zu einem dramatischen Politikum in Deutschland wie der EU.

Sollte es gelingen, die Südost-Flanke wieder zu sichern, dann wäre der Weg frei für einen neuen Anlauf der beschleunigten Militarisierung nach Osten. Die jetzt schon in der Startlöchern der Nachfolge sitzende von der Leyen ist in dieser Hinsicht voll auf Kurs und es geht um die Generalmobilmachung gegen Russland. Mit der bundesdeutschen Operettenarmee ist dieses allerdings nicht zu macheN. Was den Plänen in die Karten spielen würde, und da sollte sich niemand täuschen lassen, ist die Bereitschaft Polens und der Baltikumstaaten, massiv gegen Russland aufzurüsten. Die Politik Merkels moderiert diesen Prozess und das sozialdemokratische Außenministerium schlingert durch die Tagespolitik wie ein trunkener Wanderer.

Es hat keinen Zweck, so könnte man den sozialdemokratischen Ministerinnen und Ministern im Kabinett bereits zurufen, eure Mission ist erfüllt! Längst hat Merkel die Teile ausgelutscht, mit denen sozial orientierte Mittelschichtswähler noch gelockt werden können. Die einzige Option, die die Sozialdemokratie in dieser Situation noch zu besitzen scheint, wäre ein Koalitionsaustritt mit großem Knall, der die Militarisierungspläne anprangerte. Das jetzt aus welcher Räson auch immer mitgetragene oder nicht kommentierte Konzept wird dazu beitragen, dass es diese Partei in die absolute Bedeutungslosigkeit katapultiert.

Merkel hingegen ist auf der Suche nach dem nächsten Koalitionspartner und mit dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg anscheinend bereits fündig geworden. Er soll die Grünen dazu bringen, im nächsten Jahr für Scharz-Grün auf Bundesebene zu werben. Das ist, was innenpolitische Vorstellungen anbetrifft, schon lange kein Problem mehr. Und außenpolitisch ist mit der Fischer-Kampagne für einen Krieg gegen Serbien aus moralischen Gründen ebenfalls kein Gewaltakt. Längst hat sich die Partei nicht nur zu einer der Kriegsbefürwortung, sondern sogar zu einer kriegstreibenden Partei entwickelt. Man erinnere sich nur an die Grünen Reden im Europaparlament zum Thema Ukraine, das war in der Diktion der Wehmacht.

2017 wird vieles klären, zum Guten wie zum Schlechten, und die alten politischen Bündnisse werden der Vergangenheit angehören.