Archiv für den Monat Dezember 2019

Seid frohen Mutes!

Die Resümees sind gezogen. Dort, wo die Rückschau auf das vergangene Jahr gemacht wurde, ging es sehr unterschiedlich zu. Die in den TV-Stationen durchgeführten Rückblicke litten alle unter der politischen Betrachtung, die so viel Überdruss produziert und als die Sicht im Sinne der Bundesregierung bezeichnet werden kann. Da auch einmal etwas kritisch zu erwähnen, was dem Diktum des herrschenden Zeitgeistes widerspricht, ist wohl auch zu viel verlangt. Die zweite Lage der Resümees stand im Schatten der zu erzielenden Quote. Und unter diesem Aspekt ist das Schamgefühl endgültig begraben worden. Schlimmeres Boulevard kann man sich nicht ausdenken. Dort, in den angesprochenen TV-Sendern, bleibt nur wenig, was zur kritischen Betrachtung des Zeitgeschehens anregt. Wenn, dann sind es Satiriker, bei denen man immer bangen muss, wann sie auf dem Index stehen und nicht mehr dürfen.

Doch es wäre fatal, die Kritik an den Rückblenden dabei zu belassen. Denn, auch wenn sich das in den alten und bekannten Medien wie TV oder Zeitung kaum ablesen lässt, wir leben in sehr bewegten Zeiten. Die Welt ist im Umbruch. Nicht nur, dass sich einzelne Länder von eher ruhigen Akteuren im Weltgefüge zu regelrechten Riesen entwickelt haben, wie China das ist und Indien immer mehr wird. Nein, auch der alte Platzhirsch USA ist angesichts der neuen Verhältnisse mächtig ins Schlingern geraten und macht nun Dinge, die strauchelnde Imperien nun einmal tun, sich machen Fehler über Fehler und sie können zwischen Freunden und Feinden nicht mehr unterscheiden. Davon hat wiederum Russland profitiert und sich taktisch gut positionieren können.

Und es brennt! Nicht nur im wörtlichen Sinne, wie am Amazonas oder in Australien, sondern auch im figurativen, aber konkret politischen Sinne. In Chile, in Venezuela, in Brasilien, in Bolivien und Kolumbien. In Hongkong, in Barcelona und in in Frankreich. Nicht, dass es überall um dasselbe ginge. Konkret unterscheiden sich die Kämpfe, die dort stattfinden. In einem haben sie dennoch etwas gemein: Es geht um die Zukunft. Und diese Zukunft stellt fragen, die überall hell erleuchtet im Raum stehen: Wie sieht es mit Ökologie und Ökonomie aus und welche Rolle wird der mittellose Mensch noch spielen, wenn das alles so weiter geht?

Ja, letztendlich haben Jahrzehnte des Wirtschaftsliberalismus im Westen und der des zentralistischen Dirigismus im Osten dazu geführt, dass sich die Frage zuspitzt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eines jeden Sozialwesens. Welche Rolle spiel das einzelne, von Macht und Einfluss freie Individuum? Wird es weiter verwaltet wie ein nutzloses, allenfalls als Arbeitskraft und Marktfaktor eine Rolle spielendes Objekt? Oder wird dieses Objekt des Passivzustandes überdrüssig und sucht im Zustand der Vereinigung nach neuen Lösungen? Wollen die Objekte wieder Subjekte werden und selbst gestalten?

Im Hinblick auf diese Rätsel liegt ein durchaus positives Jahr hinter uns. Die Macht des wirtschaftsliberalistischen Narrativs ist gebrochen und in vielen Ländern ist der Kampf gegen die sich dahinter verbergenden Interessen bereits ausgebrochen. In Deutschland, auch das gehört zur Redlichkeit, ist dieses nicht der Fall. Während im benachbarten Frankreich seit einem Jahr bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, wird hierzulande emotional hoch aufgeladen Symbolpolitik gemacht. Wie lange das noch so funktioniert, ist abzuwarten. Allzu lange wird das nicht mehr gehen, denn die sozialen Auswirkungen sich verändernder Produktionsweisen sowie die fatale Neuorientierung der Politik ohne die notwendigen Investitionen in Infrastruktur und Bildung, dafür aber in eine wachsende Militarisierung, werden viele hart treffen. 

Und dann ist sehr schnell Schluss mit lustig. Dann kommt es zur praktischen Kollision. Und es wäre gut, wenn jeder schon einmal für sich räsonierte, auf welcher Seite sie oder er steht. Das ist eine gute Vorbereitung auf das nächste Jahrzehnt. Und einen klugen Kopf bei dieser Entscheidung, den wünsche ich allen, die mir am Herzen liegen! Lasst das Jahrzehnt frohen Mutes hinter Euch!

WDR-Kinderchor: Ein neuer Kniff der Empörungsindustrie

1000mal wird sich empört, 1000mal ist nichts passiert. So oder ähnlich kann der Modus beschrieben werden, in dem hierzulande Themen abgearbeitet werden, die symbolisch durchaus gehaltvoll sind, essenziell jedoch wenig zu bieten haben. Allerdings ist die Funktion des Empörungsmodus überragend. Er dient dazu, vor allem von den wichtigen Fragen abzulenken und er spaltet diejenigen, die als politische Einheit als eine Gefahr für die bestehenden Verhältnisse angesehen werden müssen. Die Frequenz der Aufreger-Themen steigt, denn die Zeit ist reif für Veränderungen. Da muss schon einiges auf dem Empörungsmarkt angeboten werden, um den Nebel, der über dem Land liegt, noch dichter zu machen.

Neuestes Thema ist ein Kinderchor aus dem Ruhrpott, der vom Sender WDR engagiert wurde, nach einer alten Weise die eigene Oma als Umweltsau zu beschimpfen. Der Text ist insgesamt flach, wie das so ist bei einem Sauflied. In älteren Versionen hieß es noch, dass das Häuschen der Oma versoffen würde. Respekt, der jetzt allenthalben verlangt wird, war auch da nicht vorhanden. Ist wohl auch in Saufliedern nicht unbedingt eine essenzielle Konstitutionsgrundlage. 

Die Wirkung, die die Inszenierung des Liedes erzielte, ist jedoch bemerkenswert. Sie zeigt, dass es gelungen ist, einen Keil zwischen die Generationen zu treiben. Abgesehen von den beleidigten Mienen derer, die altersmäßig wohl zur angesprochenen Oma-Generation gehören könnten, wird nun vice versa so richtig aufgetischt: die Wohlstandsverwahrlosung der heutigen Jugend, ihre von Kinderhand hergestellten Smartphones und Tablets, ihre E-Roller, für die Kinder in den Kobalt-Abbau getrieben werden, ihre Chauffage mit SUVs zum Fechtunterricht, ihre Abhängigkeit von Mamas Haushalt, ihre Weltreisen, ihre Sprachaufenthalte in Australien, um das schlechteste Englisch zu lernen, das auf dem Planeten gesprochen wird etc., etc. Wären alle cooler, so könnte die Schlussfolgerung lauten: Touché! Gingen jetzt alle gemeinsam ein Eis essen, so wäre alles in Ordnung. 

Das scheint in der symbolträchtigen Atmosphäre, auf die die selbst ernannte Wertegemeinschaft so eingeschworen ist, nicht möglich zu sein. Was bleibt, ist der Stachel, der jetzt zwischen den Generationen steckt. Man kann sicher sein, dass das Thema von den Ideologieschmieden des öffentlich-rechtlichen Apparates am Köcheln gehalten wird. Da lecken sich die Edelkomparsen der Empörung bereits die Lippen, wenn sie bei Will, Maischberger, Illner, Lanz und Konsorten wieder aufschlagen können, um ihre Plattitüden feilzubieten, die dann in den Wohnzimmern des abgleitenden Mittelstandes repliziert werden. Herauskommen wird dabei nichts, zumindest nichts Substanzielles. Und damit ist der Zweck der Empörungsindustrie einmal wieder erfüllt.

Wir sollten reden! Reden über den Antagonismus von Wachstumsideologie und der durch strukturelle Überproduktion und die Flutung der Märkte mit Waren, die Ressourcen verschwendend und Menschen vernichtend hergestellt werden. Wir sollten reden über Lohnarbeit, die existenziell nicht auskömmlich ist und von Ansprüchen, die nie erfüllt werden können, weil die bestehenden Möglichkeiten lediglich darin bestehen, von dem Immergleichen noch mehr anzubieten. Wir sollten reden über ein Schulwesen, das zerfällt in immer exklusivere private Enklaven und erodierende öffentliche Lernplätze. Diese Entwicklung wird die Spaltung weiter treiben, und zwar die innerhalb einer Generation. Die optimal gespaltene und partikulare Gesellschaft ist das Ziel dieser Manöver. Insofern ist es klug, nicht einzufallen in den Chor der Empörten, auch wenn es schwer fallen mag. 

Einheit ist das Serum, welches dazu führen kann, dass die Reaktion  für die Brandstifter sehr unangenehm wird. Redet nicht von Petitessen wie Silvesterknallern, wenn das größte NATO-Manöver der Geschichte bevorsteht. Schwärzt nicht die Oma für ihre Kreuzfahrt an, wenn die Waffenexporte aus diesem Land einen neuen Allzeit-Rekord erzielen. Und haut nicht die Kids mit ihren E-Rollern in die Pfanne, wenn zugelassen wird, dass amerikanisches Fracking-Gas gekauft wird. 

Schluss mit dem Quatsch!