Archiv für den Monat Mai 2017

Sartres Diktum

In Zeiten, in denen Welten und Weltbilder ins Wanken geraten, ist es ein guter Hinweis, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass die Welt auch im Detail zu finden ist. Ohne am großen Rad drehen zu müssen, können Erkenntnisse durch die Analyse des Profanen gewonnen werden. Und das Profane, da machen wir uns selbst nichts vor, das Profane sind auch wir. Und es es lässt sich nicht bestreiten, dass Zeiten, aus denen ersichtlich wird, dass sie sich überlebt haben, auch an einem Geist gescheitert sind, der sie lange Zeit getragen hat.

In einer solchen Situation seien theoretisch-analytische Betrachtungen empfohlen, die nicht den Schlüssel zum Weltgeschehen in einem verborgenen Großen, wie etwa einem Demiurg oder Weltgeist suchen, sondern die die Individuen ihrer Zeit genau beobachten und daraus ihre Schlüsse zogen. Einer, der dies gemacht hat und zudem, zu aller Abstraktionsfähigkeit noch die Gabe mitbrachte, die ganze Komplexität der Existenz so zum Ausdruck zu bringen, dass sie verstanden werden konnte, war Jean Paul Sartre. Zwei Belege aus seinem Werk mögen reichen, um einen Ansatz anzubieten, der im Moment neue Korridore der Erkenntnis eröffnen könnte.

„Es kommt nicht darauf an,“ so Sartre in seiner Schrift Saint Genet, „was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat.“ Dieser Satz, der sich so lapidar anhört, ist insofern revolutionär, als dass er die Verantwortung für das Schicksal des Individuums zurück in den ureigenen Bereich legt. Als hätte er es miterlebt, dass Zustandsbeschreibungen von Subjekten, die sie quasi auf Dauer zu Objekten machen, ausreichen, um ihnen eine gesellschaftliche Legitimation zu geben, weist Sartre diese Verherrlichung des Passiven zurück.

Das Anerkennen fremder Mächte wie gesellschaftliche Verhältnisse, Konventionen, Traditionen oder die nackte Gewalt einzelner Gruppen formen das Individuum, aber es ist in seiner Bestimmung dadurch nicht finalisiert. Sartre leugnet nich den Umstand der Gewalt von außen, aber er besteht auf einer gestaltenden Gegengewalt von innen. Das ist ein Aktionsprogramm gegen alles, was unter dem Titel der Political Correctness subsumiert werden kann. Dort, in deren Kanon, wird der Status Quo aller Opfer auf immer sanktioniert und das Opfer-Sein zum Leitbild erhoben. Im Spiegel zu Sartres Überlegungen zur Existenz des Individuums entpuppt sich der Zeitgeist der letzten zwei Jahrzehnte als eine dramatische Entwicklung zur Entmündigung des Individuums. Das Subjekt wird zum Objekt deklariert und in dieser Rolle glorifiziert.

Ja, Political Correctness ist Herrschaftsideologie, weil sie die Inferiorität derer, die in dieser synthetischen Sprache so absonderlich beschrieben wird, nicht mit der Forderung konfrontiert, diesen Zustand zu ändern. Der ganze Kanon der verbalen Glorifizierung von Einschränkung, Unterdrücktheit und Übervorteilung und das ganze Arsenal an therapeutischen Ansätzen täuscht nicht mehr darüber hinweg, dass es um die Festschreibung der bestehenden Verhältnisse geht. Das ist affirmativ, das sanktioniert die Verhältnisse, die sich momentan als der Zustand herausstellen, der verändert werden muss. Der Bauch ist bereits unterwegs, während der Kopf noch im vergangenen Zeitalter liegt.

In dem wir das, was man aus uns gemacht hat, annehmen und es so formen, wie wir es wollen, überwinden wir die Ideologie der subjektiven Passivität. Sartre drückte das Ganze in seinem Hauptwerk, „Das Sein und das Nichts“, noch prägnanter aus: „Das Sein ist etwas zu Leistendes.“