Archiv für den Monat August 2017

Things Ain´t What They Used To Be

Wahrscheinlich haben viele die Erfahrung schon gemacht. Ein bestimmtes Erlebnis prägt sich nicht nur wegen des eigentlichen Geschehens ein, sondern es bekommt noch eine bestimmte, unverwechselbare Note, weil es mit Begleitumständen verbunden ist, die es eigentlich unvergesslich machen. Das hängt, wie so vieles, von den Präferenzen desjenigen ab, dem es widerfährt. Bei Menschen, die eine große Affinität zur Musik haben, wie es auch bei mir ist, werden die Umstände des Erlebens durch ein besonderes Stück Musik unvergesslich. Mir selbst ging das oft so und ich habe mir überlegt, ob es nicht reizvoll sein könnte, bestimmte Musikstücke in den Kontext der eigenen Erfahrung zu stellen.

Ich will den Versuch mit Duke Ellingtons Things Ain ´t What They Used To Be beginnen. Ich kannte das Stück damals noch nicht von ihm, sondern in einer Interpretation, die Musiker anläßlich des griechisch-britischen Blues-Musikers Alexis Korner zu dessen 50. Geburtstag gespielt hatten. Ich war von diesem Stück und seiner Botschaft sofort begeistert und hörte es gerne.

Anlässlich der Einladung zu einer Hochzeit im portugiesischen Faro, auf der ein Brite, dessen Eltern wiederum aus Pakistan stammten und portugiesische Wurzeln hatten, eine Deutsche, nämlich meine Cousine, heiratete, fand sich folglich eine bunt gemischte Gesellschaft ein, die aus vielen Teilen der Welt stammte. Und es dauerte nicht lange und ich fand einen guten Kontakt zu einem schrill wirkenden Typen, der sich als Ire entpuppte und im damals vom Bürgerkrieg geschüttelten Belfast als Kinderpsychologe in einer Klinik arbeitete. Er erzählte mir, wie deprimierend es sei, zu sehen, wie die Kinder in dieser Stadt das meiste Leid an diesem von Gewalt geprägten Irrsinn zu ertragen hatten. Er war so weit, gestand er mir, dass er das selbst nicht mehr lange ertragen könne.

Doch die Tiefe der ersten Gespräche verbargen nicht eine andere Schwingung, die uns verband. Wir sonderten uns, zum Ärger seiner Frau und anderer Familienmitglieder, immer wieder von der Gesellschaft ab und machten die Nacht zum Tag. Und wir stellten sehr bald fest, dass uns der Jazz genauso verband wie der unbändige Lebensdrang. Da die Hochzeit ungefähr eine Woche dauerte, hatten wir genug Zeit, um uns immer wieder davon zu machen, um morgens, wenn die Sonne aufging, noch in irgend einer Spelunke im Hafen zu sitzen und gemeinsam auf dem Tisch zu trommeln. Dennis Morton, so war sein Name, hatte sich als Trompeter geoutet, blies dann die Melodie bestimmter Tunes auch ohne Instrument durch die Zähne und ich schlug dazu auf den Tisch. Zum Abschluss, wenn der Morgen schon längst sein aufdringliches Gesichts zeigte und wir uns ermahnten, dass wir es nicht übertreiben sollten, kam als Abschluss immer Things Ain ´t What They Used To Be. Es wurde unser Erkennungszeichen.

Wir hatten eine großartige Woche, und nachdem die wunderbare Feier zu Ende war, blieben wir in Kontakt. Über viele Jahre. Wir schafften es allerdings nie, uns noch einmal zu sehen. Ich erfuhr, dass Dennis mit seiner Frau irgendwann nach Edinburgh gegangen war und dort in seinem Beruf weiter gearbeitet hatte und dass er dem Jazz treu geblieben war und in einer Band spielte. Edinburgh war für einen Iren zu dieser Zeit auch kein angenehmes Pflaster und nach vielen Jahren fassten er und seine Frau den Mut, auch dort die Koffer zu packen und sie zogen ins irische Cork. Dennis schrieb mir in seinem letzten Brief, er ginge jetzt zurück nach Hause und er sei glücklich.

Doch, so ist das Schicksal, ihm war in der alten Heimat nicht mehr viel Zeit gegeben. Nach etwa einem Jahr erhielt ich die Nachricht, dass er an einem Krebsleiden verstorben war. Die Botschaft traf mich sehr, obwohl unser Treffen in Portugal mittlerweile mehr als zwanzig Jahre zurück lag. Noch einmal einige Jahre später traf ich seine Frau auf der Geburtstagsfeier des damaligen Bräutigams, dessen Schwester sie war. Wir unterhielten uns und sie berichtete mir über ihr Leben mit und ohne Dennis. Und dann sagte sie, ich solle einen Moment warten, sie hätte etwas für mich. Als sie zurückkam überreichte sie mir die alte Kamera von Dennis, mit der er damals die Bilder gemacht hatte, die als Andenken an diese wunderbare Woche bis heute dienen. Sie sagte mir, Dennis hätte das so gewolIt. Ich war sprachlos und ergriffen. Als ich das alte Lederetui öffnete, um das mittlerweile antike Instrument zu begutachten, fiel ein kleiner, vergilbter Zettel in meine Hände, auf dem in krakeliger, verzweifelter Schrift die Botschaft aus dem Jenseits stand: Things Ain ´t What They Used To Be!

Mensch, Maschine VI: Subversion

Alles macht nur Sinn, wenn auch Gedanken auf eine besondere Art des Umgangs aufgewendet werden. Die Argumente, die per se existieren, um die Hoffnungslosigkeit eines Unterfangens zu untermauern, das sich mit der Zügelung einer neuen Technologie befasst, existieren zuhauf. Ja, neue Techniken an sich sind nicht das Problem, ja, neue Techniken bieten große Chancen der Erleichterung. Nein, wer will schon Maschinenstürmer sein, nein, wer stellt sich schon gerne dem Fortschritt in den Weg. Aber das alles zählt nichts im Vergleich zu den negativen Folgen, die die konkrete Anwendung dieser Technologie allein in Bezug auf den Weltfrieden nach sich gezogen hat.

Und wie immer, der Widerstand, der nicht von destruktiven Phantasien, sondern von der Vernunft geleitet wird, beginnt mit sehr praktischen Dingen. Er beginnt mit der Frage, wann das Instrument tatsächlich gebraucht wird, um Arbeit zu erleichtern. Es geht weiter mit der Frage, ab wann die Nutzung bereits Einschränkungen der Selbstbestimmung mit sich bringt und inwieweit die nicht digitale Aktion beschwerlicher ist als die digitale. Das ist oft eine einfache Rechnung, deren Ergebnis in vielen Fällen verblüfft. Das Interessante dabei ist sogar die Erkenntnis, dass die Digitalisierung neben allen bereits geschilderten Nachteilen und Anmaßungen auch dazu beigetragen hat, dass vor allem aus der Sicht des Kunden vieles beschwerlicher geworden ist. Neben aller Potenz ist auch diese Technologie an vielen Stellen ein ganz ordinäres Schlachtermesser der Rationalisierung.

Wichtig bleibt die Erkenntnis, dass der stärkste Widersacher des technologischen Abusus das freie Individuum bleibt, das nach wie vor darüber entscheiden kann, inwieweit es mit der Nutzung mitgehen kann und will und wo die rote Linie durchbrochen ist. Das mag manchen zu dürftig erscheinen, ist es aber gar nicht, wenn man bedenkt, wem die Rationierung und die Blockade so alles gelingt. Das sind positive Signale, die nicht unterschätzt werden sollten. Die Perspektive, es mit einem Werkzeug zu tun zu haben, das nur aktiviert wird, wenn es in der Lage ist, zu nutzen, ist einfach und eindeutig und von jedermann anwendbar.

Diejenigen, die sich an den großen Widersprüchen und Strukturen abarbeiten, sei ebenfalls eine frohe Botschaft hinterlegt. So fatal auch die Wirkungen der Digitalisierung sind, von allem in kriegerischen Nutzungszusammenhängen, so simpel ist auch die umgekehrte Nutzung. Wer das Unrecht sät, wird schnell ebensolches ernten. Die Geschichte von staatlich autorisiertem sowie privatem Terror verdeutlicht, dass eine Art Demokratisierung der Zerstörung erfolgt ist. Jeder Kriminelle und Schwerverbrecher ist in vielerlei Hinsicht genauso mächtig wie die von milliardenschweren Flugzeugträgern entsandten Bomber oder Drohnen. Ist das Ziel ungeschützt genug, reichen ein Smartphone, etwas Sprengstoff und eine Packung Nägel. Die Perversion des Krieges ist an jeder Straßenecke auch in Friedenszeiten erlebbar.

Und noch ein Hinweis, der unter dem Aspekt der Subversion durchaus nicht von der Hand zu weisen ist. Um die jeweilige Hochtechnologie lahm zu legen, bedarf es nicht mehr unbedingt einer starken Angriffsarmee oder der Lufthoheit über endlose ballistische Orgien. Die Bevölkerung wird in Zukunft wahrscheinlich weniger zu leiden haben als in Zeiten des konventionellen Krieges, als Produktionsstätten und Infrastruktur zerstört werden mussten, um die Handlungsfähigkeit des Gegners empfindlich einzuschränken. Das Ausschalten der Stromversorgung alleine wird ausreichen, um die voll vernetzte Gesellschaft zurück ins Neandertal zu werfen.