Archiv für den Monat März 2015

Die Renaissance der alten Feindbilder

Manche können sich noch daran erinnern. Die Welt hatte klare Bilder. Da gab es die Guten und die Bösen. Wer Zweifel an den fest gefügten Bildern hatte, der hatte sehr schnell ein ernstes Problem. Da war man schnell ein Brunnenvergifter. Gemeint waren damit diejenigen, die dem eigenen Stamm die Lebensgrundlage entzogen. Und wer nicht gleich dieses Stigma bekam, dem wurde zumindest geraten, doch einfach „rüber“ zu gehen. Das war das Lager des Feindes. Kurz: Die Welt war in Ordnung.

Um es zu konkretisieren! Der Russe, oder auch der Iwan, waren die Metaphern für das Böse schlechthin. Alles, was aus dem Westen kam, war gut und alles, was aus dem Osten kam, war eine bolschewistische Verschwörung. Der wohl kurioseste Begriff aus jener Periode stammte eigentlich aus der Zeit, als die Weltgemeinschaft am deutschen Wesen genesen sollte, seitdem sprachen manche bei Opposition jeder Art vom jüdisch-marxistischen Freimaurertum. Der Russe, der stand bereits vor der Tür und wartete nur darauf, bei uns in die gute Stube eindringen zu können, um unsere Mütter, Schwestern und Töchter zu vergewaltigen, unsere Autos zu beschlagnahmen und die Fabriken abzubauen und hinter den Ural zu schleppen. „In 15 Minuten“, so sang Udo Lindenberg in seiner ironischen Weise, „sind die Russen auf dem Kurfürstendamm…“

Seitdem hat sich die Welt verändert. Zwischenzeitlich glaubte man sogar in Europa, dass die alten Feindbilder der Geschichte angehörten. Deutschland durfte sich wiedervereinigen, die Sowjetunion brach zusammen und wich einer losen Staatengemeinde mit einem russischen Zentrum, die Amerikaner konzentrierten sich mehr auf den Nahen Osten als auf Europa und ein ewiger Frieden schien auf lange Sicht möglich. Zwar gab es den einen oder andren Stolperstein bei er Befriedung Europas, wie zum Beispiel auf dem Balkan, aber selbst dort, bei dem Angriff auf Serbien, waren russische und amerikanische Soldaten auf derselben Seite.

Diejenigen, die nach 1990 geboren wurden, hatten für eine kurze Periode ihres jungen Lebens das große Glück, ohne die alten, hässlichen Feindbilder aufwachsen zu dürfen. Das ging so lange gut, wie die verschiedenen Mächte, die sie ja alle blieben, versuchten, bei ihrem Handeln die Befindlichkeiten der anderen mit ins Kalkül zu ziehen. Doch dann begannen Kräfte zu walten, die sich mit dem Status Quo nicht mehr zufrieden gaben und nach mehr Einfluss lechzten. Alte, aber ökonomisch zeitübergreifende Begehrlichkeiten, wie das Streben nach neuen Märkten und die Verfügung über Rohstoffe begannen, sich der Akteure zu bemächtigen und deren Handeln zunehmend zu beeinflussen. Und plötzlich drängte die NATO und die EU stramm Richtung Osten und Russland schmiedete Bündnisse im Nahen Osten, die Westlern die Sprache verschlugen. Und so ging das dann weiter, Schritt für Schritt, auf beiden Seiten.

Während in Russland ein archaischer Patriotismus das Denken vieler Menschen bestimmt, der vieles legitimiert und sogar fordert, ist diese Form imperialer Betrachtungsweise in bestimmten westlichen Kreisen eher rudimentär vorhanden. Als Pendant oder als Nachfolge dieser Einstellung hat sich allerdings eine genauso aggressive Weltsicht etabliert. Es ist die der moralischen Überlegenheit über den Rest der Welt. Da sind nicht mehr die arischen Gene beim Streben nach Hegemonie relevant, sondern das politisch korrekte Bewusstsein. Und obwohl das alles neu erscheint, haben wir, nicht ohne innere Logik, die Renaissance der alten Feindbilder. Auf allen Seiten: Der barbarische Russe, die faulen und korrupten Südeuropäer und der arrogante Deutsche als Überzeugungstäter. Fortsetzung folgt.

Summertime

Der Komponist George Gershwin schrieb es für eine Volksoper. Zusammen mit DuBose Heyward, von dem das Libretto stammte, begann er Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts mit der Komposition von Porgy & Bess. Beide betonten immer, es handele sich um eine Volksoper. Inspiriert zu dieser Definition des Genres waren die beiden sicherlich von dem kongenialen Paar Bertolt Brecht und Kurt Weill. Porgy & Bess setzte zum ersten Mal das Schicksal der amerikanischen Schwarzen in ein Werk dieser Dimension.

Das Stück, das in dem Opus gleich viermal zu hören ist und das zu Weltruhm gelangte, war Summertime. Es markierte das Bekenntnis zur Schönheit dieser Welt, in vollem Bewusstsein der Tragik, die sie dennoch mit sich bringt. Das auch durch den Text leicht daherkommende Stück vermochte es dennoch, diese emotionale Doppelbotschaft zu transportieren. Summertime wurde nicht nur ein Welthit, es gehört bis heute zu den meist gecoverten Stücken aller Zeiten. Jedes Ensemble, das etwas auf sich hält, spielt es ein, jede Amateurband, die dokumentieren will, dass sie etwas kann, spielt es. Das gelingt nicht immer, manchmal bleibt die Botschaft auf der Strecke und es hört sich schrecklich an und verkommt zur Fahrstuhlmusik.

Von den unzähligen Interpreten, die sich Summertime, das schließlich 1935 zum ersten Mal zu hören war, ausgewählt haben, ragen viele heraus. Eine Künstlerin, zu der es von ihrem angestammten Repertoire eigentlich gar nicht passte, stürmte mit dem Lied die Herzen einer ganzen Generation. Die 1943 im texanischen Port Arthur geborene Janis Joplin schaffte sehr jung den Durchbruch. Bereits in den sechziger Jahren, in denen in den USA alles in Wallung geriet, verstörte sie mit ihren vom Blues beeinflussten Rock Songs, die vor allem das Frauenbild aus den Fugen hoben. Sie nahm Drogen, führte ein Lust betontes Leben, lebte schnell und starb früh. Bis heute ist sie zu hören, vor allem mit Titeln wie Me And Bobby McGee, Mercedes Benz, Cry Baby, Ball & Chain oder dem Kozmic Blues. Sie starb 1970, 27jährig, in Los Angeles.

1968 nahm sie Summertime auf und brach auch hier mit allen Konventionen. Aus dem viel geliebten Stück aus Gershwins Volksoper wurde ein Fanal. Nach einem an eine klassische Ballade erinnernden Präludium, nicht selten von einem Bläsersatz intoniert, dringt Joplin mit ihrer hohen, verrauchten, sehnsüchtigen Stimme in die Atmosphäre und verfremdet das Stück, dem sie textlich wie von der Komposition treu bleibt, durch die bloße Art ihrer stimmlichen Interpretation. Sie erzählt  nicht, wie im Original, wie schön das Leben sein kann, nein, ihre gesamte Interpretation ist ein Manifest der Hoffnung, wie schön das Leben sein soll. Es ist der verzweifelte Schrei einer jungen Frau, die um ihr Ende weiß und nicht wahrhaben will, dass große Teile der irdischen Schönheit ihr in ihrem kurzen Dasein vorenthalten bleiben werden. Es ist eine tragische Referenz an die menschliche Existenz, die alle, die es hören, erschrecken lässt. Ihre Zeitgenossen spürten das. Menschen, die damals, als Janis Joplins Summertime zum ersten Mal dabei waren und es hörten, haben es bis heute nicht vergessen. Nicht das Stück, nein, das Erlebnis. Janis Joplins Summertime ist ganz große Kunst. Zu einem Preis, den nur die ganz große Kunst kennt.

Aus Zwangsgebühren alimentierte Quacksalber

Der Begriff Terror beschreibt einen Zustand, in dem Angst und Schrecken verbreitet werden. Das kann durch direkte Gewaltausübung geschehen, es kann aber auch erzeugt werden durch eine Vision über eine Gefahr, die real noch gar nicht oder überhaupt nicht existiert. Das sind die trivialen Zustände von Terror. Komplexer wird es, wenn das Agieren bestimmter Kräfte zu Spekulationen  über zukünftige Zustände führen, die in ihrer ungeheuerlichen Dimension gar nicht konturierbar sind. Allein die Ahnung davon, wohin ein solches Verhalten führen könnte, löst bereits Angst und Schrecken aus. Und, ob durch die Akteure beabsichtigt oder nicht, wenn Angst und Schrecken sich verbreiten, dann ist der Terror allgegenwärtig.

Ein Verhalten, das momentan derartige Reaktionen auslöst, ist das der Massenmedien. Im Falle des Absturzes einer Airbus-Maschine der Fluggesellschaft Germanwings in den französischen Alpen, bei dem 157 Menschen ums Leben kamen, hat die Medienbranche bis auf wenige Ausnahmen gezeigt, wozu sie fähig ist und vor allem, was von ihr nicht mehr erwartet werden kann. Dass bei diesem Ereignis Menschen ums Leben kamen und dadurch eine emotionale Spannung existiert, ist für die Vertreter des Boulevards wie der öffentlich-rechtlichen Anbieter genug Energie, um die Opfer als Geisel zu nehmen und die Bevölkerung mit Informationsfragmenten, Halbwahrheiten, Verdächtigungen, Volksverhetzung, Schuldzuweisungen und potenzierter Spekulation zu terrorisieren. Nichts von dem, was da in Kübeln in die Verbreitungskanäle gekippt wird, dient der Wahrheitsfindung, nichts von dem hat den Charakter von verantwortungsvollem Umgang mit Information. Alles, was die Branche produziert, entspringt der Mentalität von Quoten-Strichern. 

Da verwundert es nicht, dass nahezu alle politischen Funktionsträger das Spiel mitmachen und ihre Betroffenheit zu vermarkten suchen, was billig ist, im Vergleich zu der Agenda, die zur gleichen Zeit außerhalb des öffentlichen Fokus gefahren wird. Denn wie passend ist es, dass alle politisch tatsächlich interessanten Themen aus den Kanälen der Verbreitung verbannt wurden. Während die Polit-Puppen allenfalls vor Trümmerteilen in den Bergen mit betroffenen Mienen gezeigt wurden, beschlossen sie im Berliner Parlament, diesmal im Off, doch ganz agil ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine und band die Republik nun auch offiziell an die Eskalationslogik im ukrainischen Konflikt mit Russland. Natürlich ist das so gewollt, aber da wäre doch angesichts der potenziellen Betroffenheit der ganzen Bevölkerung ein bisschen mehr Information am Platz gewesen. Zu viele Fragen sind eben nicht beantwortet, wie z.B. wer sind denn die dortigen Partner, was sind eigentlich Oligarchen und bekommen US-Konzerne jetzt die Fracking-Rechte in der Ukraine? Aber da tappt das deutsche Kollektiv ganz unbekümmert im Dunkeln, das Herz schlägt nun in Haltern am See. Und weil das alles so schön flutschte, wurden gleich noch ebensolche Abkommen für Moldau und Georgien beschlossen. Deutschland, wir weben dein Leichentuch, so dumm waren die schlesischen Weber wahrlich nicht.

Zwei Dinge, die verstören müssen und die nicht hingenommen werden können, sollten angesichts der Situation zu bedenken sein: 1. Hat die Staatsanwaltschaft noch eine Vorstellung von Aufgabe, Rolle und Unabhängigkeit, wenn sie das Springer-Blatt mit seiner, auch im Falle des Co-Piloten an den Tag gelegten Volksverhetzung walten lässt? und 2. da die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten ihrem Auftrag nicht mehr nachkommen, als demokratisches Kontrollorgan Informationen für die Bevölkerung aufzubereiten, sondern gezielt Meinungsmache betreiben, ist es an der Zeit, das Monopol zu zerschlagen. Kein Mensch braucht diese aus Zwangsgebühren alimentierten Quacksalber, die nichts als Unrat produzieren.