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Der Tod ist die Illusion

Jörg Fauser. Die Tournee. Roman aus dem Nachlass

Was hat sie ihn gemobbt! Die vereinigte und etablierte Literaturkritik. Die Mahnwache der bürgerlichen Gesetztheit. Und da kommt so ein Rotzlöffel daher, ein Zivi, der an der Nadel hing und sich im Rohstofflager Istanbul den nächsten Schuss besorgte. Und schrieb einen Hammer nach dem anderen. Für die im Literaturbetrieb Gesetzten war er ein Affront. Und für die Underdogs, die auf einen kulturellen Paradigmenwechsel hofften, war er ein Stern am Himmel. Umso entsetzter waren die gesellschaftlichen Outlaws, als er viel zu früh und unter dramatischen Umständen am Morgen seines 43. Geburtstags sein Leben verlor. Oder beendete. Bis heute ungeklärt.

Die Rede ist von Jörg Fauser. Dessen bekannteste Werke die Romane Rohstoff, Der Schneemann und Das Schlangenmaul sind. Und manchmal hört man noch den Spieler, gedichtet für den Rocker Achim Reichel. Ansonsten haben die mehr als drei Jahrzehnte seit seinem Tod das Tuch des Schweigens über Jörg Fauser gelegt. Dass es noch etwas zu entdecken gab, wussten die Herausgeber einer Gesamtausgabe dennoch. In einer vom Alexander Verlag Berlin erschienenen aus dem Jahr 2007, Band 9, (und auch bei Diogenes als TB) findet sich noch Die Tournee. Ein Romanfragment aus dem Nachlass.

Neben der dringenden Empfehlung, die bereits genannten Romane noch einmal zu lesen, sei die Lektüre der Tournee unbedingt angeraten. Denn dort scheint noch einmal auf, mit welchem Giganten das Literaturhandwerk es da zu tun hatte. Lässig, wie ein Mixer gesellschaftlicher Zustände, mit stechenden Raubtieraugen, steht der Autor hinter der Theke und schüttelt die unterschiedlichen Milieus durcheinander. Da keuchen abgehalfterter Galeristen durch windige Kneipen, da tingelt eine Schauspielerin, deren Stern nie aufgegangen ist, durch die Kurorte in der Provinz, da changiert eine indonesische Bardame durch die Milieus, da tanken Politiker in heilsamen Bädern wieder auf, da tarnt sich ein skrupelloser Drogendealer als Geistlicher auf einem Katholikenkongress. Alles ist möglich und alles hängt miteinander zusammen. 

Das, was die etablierte Literaturkritik Jörg Fauser so gerne vorgeworfen hat, dass er nämlich nichts anderes als ein Kriminalautor gewesen sei, ist in Wahrheit seine Stärke. Das kriminelle Potenzial der profanen Geschäftsprozesse einer bürgerlichen Gesellschaft mag den mittlerweile ebenfalls ausgestorbenen Bildungsbürgern entgangen sein. Die Gegenwart, mit der wir es heute zu tun haben, hat uns eines Besseren belehrt. Der Stoff, aus dem die Träume sind, verleitet alle dazu, sich auf das dünne Eis des Vabanque zu begeben. Die Tournee, das Fragment, ist so aktuell wie nie, während die hohe Kunst, die man Fauser so gerne vor das Gesicht als das Maß aller Dinge hielt, längst in Vergessenheit geraten ist.

Und natürlich. Fauser bleib sich Zeit seines Lebens treu. Auch seine Helden scheitern alle. Das war das Extrakt, aus dem seine Geschichten sind und waren.  Es gibt kein Entrinnen aus dem Circulus vitiosus. Sowohl die Spieler, die redlichen wie die Ganoven, als auch die Bank – sie alle schlagen über kurz oder lang aufs Pflaster. Und sie bleiben liegen. Keiner hebt sie auf. Und während sie erkalten, geht nebenan ein greller Scheinwerfer an und zeigt auf ein Spiel, das gerade wieder beginnt. Mit dem gleichen Ende. Fauser wusste das. Die neuen Spieler nie. Ihr Tod war die Illusion. Und sie wird es immer sein. 

Die Substanz vitaler Literatur

Jörg Fauser. Rohstoff

Mit 38 Jahren hatte er begonnen, den Roman zu schreiben. Quasi zu seinem vierzigsten Geburtstag 1984 erschien Rohstoff, drei Jahre vor seinem unerwarteten, mysteriösen und viel zu frühen Tod. Jörg Fauser war zum Zeitpunkt der Erstauflage ein Autor in der damaligen Bundesrepublik, der es geschafft hatte, aus dem Nichts und ohne protegiert worden zu sein, sich einen Namen in der Literaturszene zu machen. Sein Roman Der Schneemann war bereits ein Erfolg, mit dem Gedichtband Trotzki, Goethe und das Glück hatte er der Lyrik des Undergrounds in Deutschland einen bleibenden Impuls gegeben. Mit Rohstoff griff er mit sicherer Hand in die eigene Asservatenkammer. Fauser enthüllte der Öffentlichkeit die Mechanismen seiner eigenen Produktion.

Die Handlung des Rohstoff beginnt in Istanbul, genauer gesagt dem Stadtteil Tophane, wo der Protagonist Harry Gelb zusammen mit einem schwäbischen Maler in einer Dachkammer haust und beide ihrer Sucht nachgehen. Istanbul als Mekka der Junkies der sechziger Jahre wird beschrieben als ein Panoptikum der Suchenden, die auf ihrem Weg in die Freiheit auf den Pfad der chemischen Träume gelandet waren. Ob Opium oder Heroin, der Stoff hatte sie reduziert auf den Rhythmus der Sucht. Brutal und bedrückend wird das Existenzielle der Junkies freigelegt und es bleibt nichts von dem platonischen Traum der Erfüllung. Harry Gelb beginnt, die Reduktion seiner selbst in einfachen Wachsheften zu verbalisieren und bemerkt beim Schreiben, dass dieses selbst das Eigentliche ist, nach dem er sucht. Das Schreiben wird der Weg zur Emanzipation, doch bis dahin ist es ein langer Weg.

Harry Gelbs Stationen sind eine Kommune in Berlin, eine Mansarde in Göttingen, erneute Zwischenstationen in Istanbul und Amsterdam, bis er sich auf Frankfurt einpendelt, woher er, wie der Autor selbst, auch kommt. Dort beteiligt er sich bei einer Hausbesetzung, schlägt in der besetzten Westend-Villa zusammen mit Kommunisten, Anarchisten und Rockern sein Zelt auf, ist zeitweilig liiert mit einer Französin aus dem Bildungsbürgertum, befreundet mit einem griechischen Regisseur, arbeitet als Wachmann für eine Security-Firma, arbeitet als Packer auf dem Frankfurter Flughafen, klappert unzählige Verlage mit einem fehlerhaften Typoskript seines ersten Romans, des Stamboul Blues ab, säuft mit Rockern und Wahnsinnigen herum, lässt alle Bindungen an eine bürgerliche Existenz sausen, kommt vom Stoff los, um sich in den Alkohol zu retten und erlebt den Abstieg der so genannten Gegenkultur.

Das Fixum, der rettende Schirm im freien Fall bleibt die Gewissheit, dass das Schreiben das Medium seiner Existenz ist und sein wird. Rohstoff ist ein erschütterndes Bekenntnis zur Literatur, das sich nicht deckt mit den Konstitutionsprinzipien einer bürgerlichen Bildung und Ästhetik. Sie kommt von unten, von der Straße und der Erkenntnis, dass das Unten das Normale, das Leben Bestimmende ist und sein wird. Jörg Fauser würde in der kommenden Woche 65 Jahre alt. Er ist seit 22 Jahren tot und wurde nicht nur deshalb zum Mythos. Seine Bücher bleiben vital und lassen das Blut gerinnen, weil sie aus der Substanz, dem Rohstoff gewoben sind, der das Leben dominiert.