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Vergiss nie, woher du kommst

Die mediale Monopolisierung hat auch im Kulturbereich gewütet. Vieles, was vor Jahren nur Insidern bekannt war, gilt heute als öffentliches Gemeingut. Zum Beispiel, dass viele aus Film und Fernsehen bekannte Schauspieler eigentlich von der Bühne kommen. Dort haben sie ihr Handwerk gelernt, dort haben sie ihre Talente entwickelt und dort erleben sie ihre großen Momente. Wenn man die Rolle aus einem Shakespeare oder Brecht zu spielen hat unterscheidet sich das doch gravierend von der eines Tatortkommissars. Und deshalb tauchen gerade in dem letztgenannten Format viele auf, die weitaus mehr zu bieten haben, als das Millionenpublikum gewahr wird. Einer davon ist sicherlich der aus Herdecke stammende Jörg Hartmann. 

Das Interessante an ihm ist, dass er auf der Bühne gelernt hat, als Tatortkommissar (und natürlich einer Serie wie Weißensee) einem großen Publikum bekannt ist und zudem seine Selbstvermarktung mit einer Art Autobiographie selbst in die Hand genommen hat. Mit dem Titel „Der Lärm des Lebens“ hat er ein Buch veröffentlicht, das gleichzeitig als ein von ihm gesprochenes Hörbuch erhältlich ist. Selbstverständlich gehört dazu noch der eine oder andere Auftritt in den zahlreichen Talkshows, die sich zunehmend als Influencer-Partys etablieren. 

Nichts für ungut. Jörg Hartman ist ein ernst zu nehmender deutscher Schauspieler, der ein Buch abgeliefert hat, das alles andere als trivial ist. Er beschreibt darin seine Herkunft und Familiengeschichte, in der sich der Wandel der Bundesrepublik in den letzten Dekaden spiegelt, er erzählt von seinen Anfängen auf diversen kleinen Bühnen, bis er es zur Berliner Schaubühne geschafft hat. Beeindruckend ist, dass er, wie viele andere, die aus dem Ruhrgebiet stammen, die Ruhrpott-DNA nicht in der Lage ist abzustreifen. Immer denkt er an die Kleinen, die Wehlosen und Schutzbedürftigen, und immer fühlt er sich diesen verpflichtet. Und er bringt der Leserschaft nahe, wie oft sich bei einer erfolgreichen Karriere die Frage stellt, inwieweit die professionelle Verpflichtung mit dem eigenen, geerdeten Menschenbild und den damit verbundenen Passionen korrespondiert, oder eben auch nicht.

So vermittelt die Lektüre einen alles andere als geschlossenen, mit sich selbst im Reinen befindlichen Charakter, sondern einen Zerrissenen, dessen Produktivität gerade in diesem Dauerzustand begründet liegt. Irgendwie wurde ich bei der Lektüre den Gedanken nicht los, dass der Kommissar Faber, der aufgrund seines Auftretens das Publikum tief spaltet, nicht ein reales Abbild des Rebells aus dem Ruhrgebiet zeigt, der die Versöhnung sucht, aber das Rebellieren nicht sein lassen kann. Das ist ein wichtiges Stück Geschichte dieser Republik, das viele mit erzählen können, aber kaum irgendwo geschrieben steht.

Was die Einblicke in die Sozialisation auf den Bühnen dieser Republik betrifft, so werde ich das Buch gleich einer Schauspielerin aus dem Nebenhaus zukommen lassen und sie um ihre Meinung fragen. Was den Autor und das Buch anbetrifft: ich fand es unterhaltsam und bei bestimmten biographischen Passagen markant. Was bläuen sie dir im Ruhrgebiet von Kindesbeinen ein? Wohin du auch gehst, vergiss nie, woher du kommst! Jörg Hartmann hat das verinnerlicht.