Wahlen: Ämter ohne Votum, Zocker, Bankrotteure und giftige Greise

Und wieder stehen Wahlen an. Es wird zwar darüber berichtet, aber kaum eine Kolumne widmet sich der Qualität von Verfahren wie Kandidaten. Wenn man bedenkt, dass gerade freie Wahlen zu einem der Hauptargumente gehören, die für die bürgerliche Gesellschaft sprechen, ist das sehr verwunderlich. Gleich vier Wahlen sollten genauer unter die Lupe genommen werden.

Die erste ist eine, die im strengen Sinne des Wortes keine ist. Die Besetzung der Spitzenämter in der Europäischen Union erfolgt nicht durch Kandidatinnen und Kandidaten, die direkt durch das Votum der Wählerinnen und Wähler ausgesucht wurden. Dass die jetzige Präsidentin der EU-Kommission auch die zukünftige sein wird, wurde von Fraktionen ausgehandelt. Eine Stärkung des Gedankens direkter Demokratie und damit verbundener Legitimation ist das nicht. Es sei die Prognose erlaubt, dass zu Ende der zweiten Amtszeit dieser Person die EU in der jetzigen Form nicht mehr existieren wird. Die Instrumentalisierung der EU durch die NATO wird fortschreiten und die Umstellung der Ökonomie auf Kriegswirtschaft wird spalten und zu Austritten führen. Vielleicht ist es sogar geplant. Jedenfalls wird mit der Bestätigung des Personalensembles der Abgesang auf die Vorstellung eines demokratischen, blühenden und vereinten Europas vollzogen werden.

Im quasi benachbarten Großbritannien werden, hier kaum noch wahrgenommen, am 4. Juli Neuwahlen stattfinden. Festzustellen ist, dass sich Großbritannien nie als Teil Europas gefühlt hat und man sich an diesen Gedanken so schnell wie möglich gewöhnen sollte. Zum anderen ist das, was in der dortigen von der Börse und dem transatlantischen industriellen Komplex abhängigen Politikblase abspielt, nur mit einer Form des distanzierten Befremdens wahrzunehmen. Der wesentliche Punkt der Auseinandersetzung wenige Tage vor der Wahl bezieht sich auf das Phänomen, dass Mitglieder der regierenden konservativen Partei, nachdem sie um den noch anzusetzenden Termin der Wahl wussten, in die Londoner Wettbüros gelaufen sind und eben auf diesen Termin gesetzt haben. Es ist, als spielten Hasardeure Kaufmannsladen.

In Frankreich wiederum hat der vermeintliche Retter der französischen Demokratie mit seinem Neoliberalismus und seinem martialischen Vorgehen gegen jede Art der Opposition alles verspielt. Jetzt setzt er alles auf Schwarz. Die französische Gesellschaft steht vor einer nahezu unüberbrückbaren Spaltung. Von Versöhnung und gemeinsamer Perspektive keine Spur. Und sieht man sich von hier aus, östlich des Rheins, die Entwicklung der französischen Staatsanleihen angesichts der bevorstehenden Wahlen an, dann ist die Wahl der EU-Präsidentin noch eine Petitesse gegen das, was ökonomisch in Europa passieren kann. 

Und, never forget the real force behind it, in der kommenden Nacht steht das erste Aufeinandertreffen zwischen dem amtierenden Präsidenten Joe Biden und seinem Herausforderer Donald Trump an. Und, angesichts der Frage von Demokratie und Qualität sei der Aspekt nicht unterschätzt, die gesamte Presse in den USA thematisiert eigentlich nur ein Thema. Und das lautet: hält Biden ohne Aussetzer die Veranstaltung durch und behält Trump sich im Griff. Eine miesere Referenz für das, was dort zur Debatte steht, ist kaum vorstellbar. Da sind die Machtkämpfe in den Hinterhöfen des Großstadtdschungels in der Regel mit mehr Inhalt und Niveau behaftet.

Wie gesagt, wir reden über Veranstaltungen, die systemisch als ein wesentliches Asset der bürgerlichen Demokratie gehandelt werden. Sollte man sich da nicht Gedanken über die Qualität machen dürfen? Und, so nebenbei, auch wenn die Egozentrik immer wieder den Blick verstellt, was werden die Beobachter von außen, aus anderen Teilen der Welt, wohl denken, wenn sie sehen, dass die wichtigsten Posten hinter verschlossenen Türen vergeben werden, wenn Parlamentarier nichts anderes im Sinn haben, als zu zocken, wenn Präsidenten stehenden Auges ihr Land in den Ruin führen oder sich zwei Greise duellieren, von denen der eine giftig und der andere desorientiert ist?  

2 Gedanken zu „Wahlen: Ämter ohne Votum, Zocker, Bankrotteure und giftige Greise

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  2. Bludgeon

    Perfekte Zusammenfassung der Misere. Demokratie – da steckt auch irgendwie Demontage mit drin.

    Die oben denken, die Wahlschafe sind nun ausreichend verdummt, dass man ihnen wirklich alles zumuten kann. Die Wahlschafe wiederum verzichten auf aktive Teilhabe und wählen lieber auch noch den allerletzten Hazzardeur, der es „hoffentlich anders macht“.

    Tja. Watt willste da raten? Wo hätte Vernunft schon mal gewonnen, wenn man die Meute fragt?

    In der Pandemie hab ich die komplette Serie „Poldark“ geguckt. Südengland zwischen 1790 und 1810 ungefähr. Das fing sehr mäßig an, steigerte sich jedoch dann ganz erstaunlich, besonders, was die Darstellung des House of Parliament anbetraf und die dortigen Debatten: Und immer siegt der falsche! Naturgesetz!

    Das war schon über weite Teile extrem lehrreich, was die lange Tradition der Lobbisierung der Demokratie betraf. In der letzten Staffel allerdings kippte es dann zeittypisch ins woke Märchenland ab. – Tja. Schade.

    Und die beiden unzurechnungsfähigen Zombies in Amerika werfen die Frage auf: Wer trifft denn dort die eigentlichen Entscheidungen? Die Kalkmine und der Fernsehpfau jedenfalls nicht. Die werden nur abwechselnd auf diversen Flugzeug Gangways fotografiert und dürfen an der Hand irgendwelcher Damen in hellen Hosenanzügen Gassi gehen. – Tja, zum dritten.

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