Gewalt: „The hell is empty…“

Das Entsetzen ist groß. Und der Anlass ist nicht schön. Und getroffen sind bis jetzt nicht nur Vertreter der SPD und der Grünen, sondern auch der AFD. Dass letzteres in der Presse kaum Aufmerksamkeit verdient, liegt an der monokausalen Denkweise der Meinungsmacher. Dort glauben sie, die Verrohung der Gesellschaft und die Übergriffe auf die Politik seien exklusiv das Werk der AFD. Das mag, auch aus wahltaktischen Gründen, den einen oder anderen Vorteil bringen, lösen wird es nichts. Und es hilft auch nicht, die Ursachen zu entschlüsseln. Das Einzige, was von allen Lagern übergreifend konzediert wird, ist die zunehmende Attraktivität der Gewaltanwendung.

Die einen erklären es mit dem Populismus, die anderen mit unkontrollierter Migration, dritte wiederum sprechen von Agents provocateurs verfeindeter Mächte. Der Phantasie in fehlgeleiteter Erklärung sind keine Grenzen gesetzt, auch wenn in dem einen oder anderen Fall ein Indiz gefunden werden kann. Die gesellschaftlichen Paradigmen, die in den letzten Jahren etabliert wurden, werden eigenartigerweise nicht in Betracht gezogen.

Drei Ursachen für die Eskalation von Gewalt in alltäglichen Kontexten seinen angerissen: 

– Der Grad der Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist seit der Herrschaft des Wirtschaftsliberalismus und dem damit einhergehenden Neokonservatismus seit Beginn der 90iger Jahre massiv beschleunigt worden. Privatisierung neuralgischer gesellschaftlicher Einrichtungen und Ökonomisierung von Prozessen, die sich einer betriebswirtschaftlichen Logik entziehen, haben zu einer qualitativen Verschlechterung der Bereiche Bildung, Gesundheit und Infrastruktur geführt. Alles Sektoren, die durch ihre Existenz und Qualität das definieren, was als wesentliche Prägungen einer gesellschaftlichen Identität begriffen werden muss. Stattdessen erlebten Individualismus und Eigensinn eine nie da gewesene Hausse.

– Die Corona-Krise wiederum hat dazu geführt, dass die mandatsgebundene Politik sich über den Souverän erhoben und unveräußerliche Rechte außer Kraft gesetzt und die Kritik daran mit einer Ausgrenzung sondergleichen stigmatisiert hat. Und, man kann es leugnen, solange man will, das Vertrauensverhältnis zwischen Souverän und Mandatsträger, die in der Regel bis heute uneinsichtig sind, wurde exorbitant zerstört.

– Der von langer Hand vorbereitete und letztendlich eingetretene Krieg in der Ukraine wurde untermalt von emotionsgeladnen Feindbildern, die seit dem deutschen Russlandfeldzug als überwunden geglaubt waren. Seit Beginn dieses Krieges schwelgen Politik und Öffentlichkeit in die Gewalt zum Thema habenden Überbietungsprozessen. Der Terminus wie das politische Ziel eines Friedens wurden zu Schimpförtern. Der Krieg ist in der Kollektivsymbolik längst wieder zur dominanten Figur geworden. Der Grad dieser Verrohung ist soweit gediehen, dass kaum jemand aus der öffentlichen Wahrnehmung die Courage aufbringt, diese bellizistische Phalanx zu durchbrechen.

Angesichts lediglich dieser angeführten Gründe über zunehmende Gewalt in der Gesellschaft erstaunt zu sein, ist nur aus einem vielleicht auch kollektiv eingeübten Prozess der Verdrängung zu erklären. Erst wird die Ellenbogengesellschaft kultiviert, dann das Vertrauensverhältnis zwischen Politik und Bevölkerung massiv gestört und schließlich wird die Eskalation von Gewalt als alternativlos gepriesen: und dann sowas? Die Diagnose sei entschuldigt: wer das nicht mehr erklären kann, hat seinen analytischen Verstand bereits verloren.

Ja, es ist furchtbar. Ja, wir verlieren wichtige Prämissen unserer Zivilisation. Nur, wenn die Gründe dafür nicht benannt werden, wird es so weitergehen. Und wieder hilft nur Shakespeare:

„The hell is empty and all the devils are here.“ 


  

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