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Das System Raute und die Opposition

So wie es aussieht, hat sich die Raute bereits auf die neuen Verhältnisse eingestellt. Die Tage des Koalitionärs SPD sind bereits gezählt. Der unaufhaltsame Abstieg der Partei geht weiter, weil nicht sie es ist, die das eine oder andere Gute für sich reklamieren kann, sondern weil sie gebraucht wird, um ihre klassische Zielgruppe zu binden. Die ist enttäuscht und wandert ab und in der so genannten neuen Mitte wartet niemand, vor allem jetzt nicht, auf die Sozialdemokratie. Indem die Raute sie in die Koalition gelockt hat, hat sie dem Land die einzige Möglichkeit einer parlamentarischen Opposition genommen, die den Namen verdient hätte. Aber, das ist alles Konjunktiv. Eine Partei, die in einer politischen Tradition wie die SPD steht, kann nicht ernsthaft für eine Kriegspolitik in zweierlei Hinsicht stehen: Für tatsächlichen Krieg im Nahen Osten und in Osteuropa und für den Krieg von Reich gegen Arm, wie es der Wirtschaftsliberalismus des Dogmatikers im Bundesfinanzministerium verkörpert.

Die Raute hingegen hat die historische Schuldigkeit der SPD bereits in die Abteilung Annalen verwiesen und setzt mit dem Pilotprojekt Baden-Württemberg, pikanterweise angeführt vom Schwiegersohn ihres Finanzministers, auf den nächsten Coup, um diesem Land mögliche wirksame Formen der Opposition zu nehmen. Denn das ist das System der Raute: Satte Mehrheiten, zum Teil auch mit mehrheitsfähigen Programmpunkten, aber vor allem mit dem Ziel, Opposition zu einer kaum erwähnenswerten Randerscheinung werden zu lassen. 2017 wird, wenn nicht noch so etwas wie eine Aufbegehren all derer, die sich in dem exklusiv auf Instinkt setzenden, logischen Reflex der AFD nicht angesprochen fühlen, die Ökotonne umtreten und gegen den schleichenden Putsch der Raute massiv aufbegehren, eine Veranstaltung von Schwarz-Grün.

Das wäre alles akzeptabel, wenn das Land noch über Oppositionsmechanismen verfügte, die in der Lage sind, vehement zu reagieren. Aber genau das scheint nicht mehr der Fall zu sein. Genau das, was momentan ganze Horden von Verunsicherten in das Lager der rechten Radikalisierung treibt, ist gerade den Kernaussagen dieser beiden Parteien zu verdanken: Der enthemmte, völlig aus den Fugen geratene Wirtschaftsliberalismus der CDU, der moralgesteuerte Militarismus und die ökologisch motivierte Durchregulierung der Gesellschaft durch die Grünen. Das, was zunächst harmlos daherkommt, ist eine Kriegserklärung an die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger und eine Nahezu-Garantie für heiße Kriege gegen Dritte.

Das System der Raute ist nicht nur der Machterhalt, sondern ein allumfassendes Programm, um das Regierungssystem de facto zu ändern. Aus einer parlamentarischen Demokratie ist mittlerweile ein diskursives Modell der Erprobung von Argumentationsketten ohne jegliche politische Relevanz geworden. Entschieden wird im Domizil der Raute. Alle, die sich bisher dazu hergegeben haben, dieses zutiefst anti-demokratische Vorhaben in Form einer Koalition zu unterstützen, mussten ihre eigenen Domänen opfern und schlingerten am Existenzminimum durch das Tagesgeschehen. Auch für die SPD war diese bestehende Regierungskoalition die vorerst letzte Station auf dem Weg zu einer Randexistenz.

Angesichts der bereits absehbaren nächsten Schritte der Raute stellt sich die Frage nach dem Konstrukt einer wieder handlungsfähigen, die politisch visionären Kräfte vereinenden Opposition. Momentan suchen die vorhandenen Parteien allesamt ihr Heil in der Regierungsbeteiligung. Es wird noch für einige fatal enden. So, wie es aussieht, liegt die Perspektive auf eine Zukunft mit Aussichten exklusiv bei einer aktiven Rolle als Opposition. Diejenigen, die sich früh darauf einstellen, werden die größten Chancen haben, um die Zukunft dieses Landes mitgestalten zu können. Der Rest wird enden als Konkursmasse.

Geteiltes Land

Das ging jetzt schnell. Nicht einmal ein Jahr nach den heftigen Protesten auf dem Maydan in Kiew ist das Land geteilt. Und so, wie es aussieht, wohl auf längere Sicht. Wäre die Situation nicht so traurig, dann könnte daraus eine Groteske gemacht werden. Nach dem Motto, wir zeigen, wie eine politisch komplizierte Situation komplett an die Wand gefahren wird. Das ist nämlich der Fall. Und zwar mit einer Beschleunigung, für die es Punkte geben muss. Und Sprache, diese Erkenntnis wiederholt sich in diesen Tagen in immer kürzeren, bedrückenden Abständen, Sprache ist das beste Indiz für die Ramponage im Kopf. Anlässlich der Wahlen in der Ost-Ukraine ist nun zu lesen, „der Westen“ akzeptiere diese Wahlen nicht. Wer damit gemeint ist, wird nicht mehr erklärt und es bleibt den Leserinnen oder Lesern überlassen, ob es die EU, die ukrainische Regierung in Kiew, die Vereinigten Staaten von Amerika, die NATO oder Angela Merkel ist. Der Westen jedenfalls, der findet die Wahlen in der Ost-Ukraine schlecht, weil sie tatsächlich wohl die Spaltung des Landes besiegeln.

Ja, so schnell geht das. Nicht einmal ein Jahr ist es her, da gehörte die Insel Krim noch zur Ukraine und die Ost-Ukraine auch. Da entstand eine berechtigte Opposition gegen einen monopolistisch orientierten Regierungschef, vielleicht auch von Moskaus Gnaden. Und dieser Protest war gut und verständlich. Was das Fatale daraus machte, war, dass dieser Protest instrumentalisiert wurde, um aus einem inneren einen internationalen Konflikt zu machen. Eine stabile, in Jahren des Widerstands gereifte Opposition gab es nicht, aber durchaus bereitwillige Politiker, die sich viel davon versprachen, sich von Russland zu lösen und an EU wie NATO zu binden. Ob das passte und die diversen Haltungen innerhalb der Ukraine repräsentierte, war dabei sowohl diesen Politikern als auch der EU und der NATO schon mal völlig egal. Die Gelegenheit, Russland nun direkt auf die Pelle zu rücken, war einfach zu schmackhaft.

Was folgte, war eine Politik, die Fakten schuf und die konsequent das Terrain von Verhandlungen mit allen Konfliktparteien verließ. Das ist neu, auch bezüglich der EU-Diplomatie. Und so neu dieses Vorgehen war, so desaströs sind die Ergebnisse. Die Bilanz ist traurig, das Land ist gespalten in Ost und West und die Krim ist dahin. Die Warnungen, die Russland seit eineinhalb Jahrzehnten aussprach, man möge seitens der NATO nicht versuchen, den Nachfolgestaat der Sowjetunion quasi im Nachklang zum Kalten Krieg einzuschnüren, verhallten im kontinentalen Wind. Und in der Ukraine kam es zur Sollbruchstelle. Hätte Russland nicht so konsequent gehandelt, wie es das in diesem Falle tat, wäre die nächste Aktion des „Westens“ bereits abzusehen gewesen: Revolten in Russland und eine Opposition, die die Gutmenschen im Westen um Hilfe bittet. Ein Muster, das immer wieder einmal zieht, aber gar nicht auf das Russland zutrifft, das hierzulande von einem teils fehlgesteuerten, teils überforderten Journalismus suggeriert wird.

Die Rechnung, die im Falle der Ukraine aufgemacht wurde, ging bis dato nicht auf. Anstatt ein Flächenland zu haben, das als Markt wie als Raketenabschussrampe nach Osten funktioniert, existiert in dieser Form nicht. Geostrategisch ging die Krim zurück nach Russland, wo sie seit zweihundert Jahren war, der industrialisierte Osten ist dem Kiewer Zugriff entzogen und der Rest, ein ziemlich ramponiertes, wirtschaftlich schwaches Land, wird sich nun von den neuen Freunden in Brüssel subventionieren lassen, weil es dem genialen Plan doch folgen wollte. Wer da noch von Diplomatie spricht, der sollte den Begriff noch einmal nachschlagen.

Wie tief sind wir gesunken?

Die Transformation monolithischer Staatssysteme zu einer offenen Demokratie ist ein langer Prozess. Die große Schwierigkeit, die sich damit verbindet, ist die Suche nach Artikulations- und Organisationsformen einer sich bildenden Opposition. Das ist bei jedem Übergang von Diktaturen so und es ist schwierig genug, von außen zu begreifen, was vor sich geht. Noch komplizierter wird es, wenn die staatsmonopolistischen Gesellschaften Osteuropas diesen Weg beschreiten. Sie sind allesamt geprägt von einer despotischen Bürokratie, die ihrerseits erwachsen ist aus dem, was Karl August Wittfogel als die asiatische Produktionsweise bezeichnete. Ein gutes Beispiel für einen langen, wahrscheinlich letztendlich erfolgreichen, aber auch von Rückschlägen und Umwegen geprägten Prozess zu gesellschaftlicher Offenheit ist Polen. Von der Solidarnosc bis heute war es ein weiter Weg, der noch nicht zu Ende ist.

So wie es scheint, lassen sich die Ereignisse politischer Veränderungen anhand der Namen von zentralen Plätzen beschreiben. Tahrir in Kairo, Taksim in Istanbul und jetzt Maidan in Kiew. Neu ist das nicht, man denke nur an die Plaza de Mayo zu Buenos Aires, aber die Namen dieser Plätze scheinen auch zu stehen für semiotische Zeichen des politischen Umbruchs, für den man hier bei uns im Westen kaum noch Worte findet. Zu unbekannt sind die Akteure des Widerstands, zu unkonturiert das Profil der politischen Gruppierungen, die zumeist erst im Begriff sind, sich zu formieren. Da aber die Bilder, die von diesen Plätzen gesendet werden konnten und gegenwärtig vor allen nachts von Kiews Maidan gesendet werden können alles an Dramaturgie enthalten, wovon eine mediale Inszenierung nur träumen kann, werden Zeitzeugen gesucht, notfalls auch mittels Headhunting.

So entstehen Geschichten, die mit dem beschwerlichen Prozess in einer autoritären Gesellschaft relativ wenig zu tun haben und die die Betrachtenden zu dem Schluss kommen lassen, dass es sich bei der Bewegung in der Ukraine um ein eindeutiges Votum für die Staatsformen im Mainstreameuropa handelt. Als Souffleur für diese Version der zeitgenössischen Geschichtsschreibung fungiert gegenwärtig der Berufsboxer Vitali Klitschko, der ja ein gefühlter Deutscher ist, seitdem er seine professionelle Hochkonjunktur hierzulande erlebte. Er ist ein Gesicht der Opposition in der Ukraine, aber nicht das einzige und auch kein unumstrittenes. Andere Oppositionelle kommen in der hiesigen Berichterstattung jedoch kaum vor. Das ist aber auch nicht notwendig, denn es stand von vorne herein fest, dass die rebellierenden Massen der Ukraine nichts anderes wollen als in die Arme des EU-Monopolismus. Ob das so ist, muss jedoch bezweifelt werden, denn zu schwerwiegend sind die Blaupausen für eine systemische neue Abhängigkeit.

Insofern könnte man sagen, es ist alles wie immer, tauchte da nicht jetzt, gerade passend zur Eskalation des Ganzen, die Expertin Marina Weisband auf, ihrerseits Ex-Piratin, Privatgelehrte und mediale Egozentrikerin. Ihre Expertise besteht aus der Tatsache, dass in ihrem Pass als Geburtsort Kiew steht. Da können wir heilfroh sein, jetzt doch noch Insider-Informationen zu bekommen. Analog zu Claudia Roth, die bei laufender Taxi-Uhr den Istanbuler Taksim Platz besuchte, wagte sich Marina Weisband, ihrerseits wegen der hohen politischen Qualität längst zur Bild-Ikone avanciert, auch auf den Maidan und lieferte Spiegel Online die heißesten Nachrichten per se. Und sie hat auch einen Vortrag dort gehalten über Liquid Democracy, was wahrscheinlich an revolutionärer Gestaltungskraft kaum überboten werden kann. Auf dem Maidan, auf dem die Leute Dreck und trocken Brot fressen und verzweifelt nach Verbandsmaterial suchen, lacht man nachsichtig über die Scharlatane aus dem Westen. Das Publikum hier, in den heiligen Hallen der kritischen Reflexion, sieht das ganz anders.