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Brasilianische Wahrheiten

Mal eben zweihundert Milljönchen zur Rettung des Amazonas auf den Tisch werfen, und alles ist in Butter! Nach dem Motto schien die Reise des Kanzlers nach Südamerika konzipiert zu sein. Neben der innigen Umarmung unter Sozialisten im Falle Lulas, gestaltete sich der Trip nach Südamerika doch komplizierter als gedacht. Ich Chile ging es um seltene Erden, in Argentinien um Metalle und Fleisch und in Brasilien um geopolitische Manöver. So könnte man die Agenda auch umschreiben. Aber sowohl die Kooperation mit Mercosur, wie sich das südamerikanische Pendant zur ehemaligen EU nennt, die ihrerseits längst kein exklusiv wirtschaftliches Bündnis mehr ist und zur Sektion der NATO mutiert, als auch die mit Brasilien, das seinerseits zum Zusammenschluss des BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) gehört, konnte nicht nach den eigenen Vorstellungen gestaltet werden.

Die Erkenntnis, die diese Reise mit sich bringen müsste, wäre die, dass sich jenseits des selbst gemalten Bildes der Welt mittlerweile eine tatsächliche Konstellation abbildet, die mit der eigenen Vision nichts zu tun hat. Den besten Eindruck vermittelte die abschließende Pressekonferenz nach dem Treffen von Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva und Kanzler Scholz. Der deutsche Tenor: Maßnahmen gegen den Klimawandel, Verurteilung Russlands, Munitionslieferungen für die Ukraine. Die brasilianische Position: Maßnahmen gegen den Klimawandel, keine Verurteilung Russlands, sondern die der Rolle der USA in dem Konflikt, keine Munitionslieferungen, stattdessen eine Friedensinitiative, die von Brasilien und China ausgehen soll.

Deutlicher können unterschiedliche Positionen nicht formuliert werden. Das Bild, das der Kanzler dabei abgab, war nicht erbaulich, und das Gewehr, das aufrecht neben ihm stand und aus dem Hause Habeck stammt, der sich seinerseits stolz als der Waffenexporteur der Republik bezeichnete, und den Namen Brantner trägt, blieb starr und aufrecht. So hatte man sich das alles wohl nicht vorgestellt und musste nun schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur das eigene, sondern auch das von einer allzu willfährigen Presse bis zum Erbrechen nachgezeichnete Bild von den politischen Verhältnissen auf dieser Welt ein von Einfalt geprägter Traum ist.

Das BRICS-Bündnis ist längst kein zu belächelnder Zusammenschluss mehr, der sich bis auf Russland aus ehemaligen Kolonien des Westens zusammensetzt und nichts auf die Beine stellt. Bevölkerungsmäßig sind dort nahezu drei Milliarden Menschen versammelt, d.h. es sind junge Populationen, große Märkte, die Länder verfügen über reichhaltige Ressourcen und sie haben zum Teil eine grandiose technologische Entwicklung hinter sich. Wer da glaubt, er könne die einzelnen Mitglieder nach alter Kolonialmanier mal eben mit etwas glitzerndem Tand über den Tisch ziehen, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Es bliebe zu hoffen, dass diese Erkenntnisse sich in einer politischen Kursänderung niederschlagen. Die in jedem Klamauk-Kontext reklamierte Augenhöhe ist längst kein Verhältnis mehr, das Deutschland gönnerhaft gegenüber anderen offerieren kann, sondern ein Privileg, das man sich selbst erarbeiten muss. Wer einen Funken Phantasie besitzt, kann sich vorstellen, wie zum Beispiel in den BRICS-Ländern die von kleinen grünen oder schwarzen Äffchen ausgesprochene Formulierung einer regelbasierten Ordnung ankommt. Zumal der alte wie der neue Kolonialismus aus jeder Pore dieser eigenartigen Spezies bis zum Himmel stinkt. Und, damit nicht genug, es existieren immer mehr Länder, die sich explizit für eine Erweiterung des BRICS interessieren und es für an der Zeit halten, eine neue, mächtige, nicht mehr zerschlagbare Bewegung der Blockfreien ins Leben zu rufen.  

Da ist der Rat an die Bundesregierung teuer. Alle über den Haufen schießen? Oder die Realität anerkennen und die eigene Position dementsprechend zu überdenken?

Lügen in Zeiten des Krieges

Nein, das ist keine Buchbesprechung. Es geht nicht um den lesenswerten Roman des Louis Begley, der seine Kindheit als Jude im kriegsverwickelten Polen reflektierte. Obwohl Polen bei dem aktuellen Anlass ebenfalls eine gewichtige Rolle spielt. Nebenan, in Frankreich, da existieren noch Menschen, die trotz oder gerade wegen der allgemein im westlichen Europa euphorischen Kriegsstimmung ihre Stimme erheben und sich nicht scheuen, ihre Sichtweise kundzutun. Erst kürzlich hatte ein Enkel von Charles de Gaulle, seinerseits ein erfolgreicher Banker, die geostrategischen Verschiebungen beschrieben, die sich durch die Stellvertreterrolle der EU im Konflikt der USA mit Russland vollziehen. Kurz gesagt, die zumindest vehemente ökonomische Schwächung Europas und Russlands. Das Kalkül der USA beschrieb er so, dass die Lahmlegung Europas als Ganzem, und dazu gehört eben auch Russland, den USA den Rücken freimache, um den aus ihrer Sicht Hauptfeind China ins Visier nehmen zu können. Und dass bei der Achse der Willigen eine Machtlinie von Washington über London nach Warschau entstanden sei, bei der weder Paris noch Berlin eine größere Rolle spielen, sei mittlerweile mehr als deutlich geworden.

Nicht allen, könnte man schlussfolgern, bevor man noch den französischen Historiker Emmanuel Todd zitierte, der ebenfalls kürzlich in einem langen Interview an prominenter Stelle seine Sichtweise zu Protokoll gab, ohne auf die zunehmend schwächere Disposition nicht nur Europas, sondern auch der USA zu verzichten. Die weltweit zu beobachtenden neuen Allianzen, die in gewisser Weise an die Bewegung der Blockfreien aus dem letzten Jahrhundert erinnern, sind insofern für die Hegemonie der USA gefährlicher, als dass sie über nicht zu unterschätzende Mittel verfügen, um den Dollar als Weltwährung zu stürzen und damit der grenzenlosen Kreditwürdigkeit der USA ein Ende setzen könnten.

Was aus der Bewegung der Blockfreien geworden ist, steht in den Geschichtsbüchern. Jenseits des unmittelbaren Interesses seitens Europas wurde ein Staat nach dem anderen destabilisiert, durch Putsch, Mord oder direkte militärische Intervention. In Indonesien, Mitbegründerstaat der Bewegung, 1965 durch einen Putsch mit mehr als 1,5 Millionen Toten bis hin zur endgültigen Zerschlagung Jugoslawiens im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Vielleicht auch noch einmal soviel zu dem Argument, man könne den Völkern nicht vorschreiben, welchen Weg sie wählen.

In der öffentlichen Wahrnehmung Deutschlands bleiben diese Stimmen ungehört. Genauso wenig wird darüber berichtet, was nicht in die Serie der Erfolgsmeldungen passt. Jedes Revirement im russischen Militärapparat wird als Indiz der dortigen Probleme gewertet, dass nun gleiches in der Ukraine geschieht und oberste Militärs gar wegen Korruption entfernt werden müssen, ist den Propagandaabteilungen hierzulande keine Meldung wert. Ebensowenig die Tatsache, dass die Türkei trotz williger Auslieferung von Kurden seitens des NATO-Anwärterlandes Schweden nach wie vor ihr Veto zur Aufnahme Schwedens einlegt. Wohl weil der Menschenpreis bis dato zu niedrig ist. Und deshalb wird in Finnland darüber nachgedacht wird, alleine und nicht zusammen mit Schweden der NATO beitreten zu wollen. 

Lügen in Zeiten des Krieges haben den Zweck, auf Biegen und Brechen die Illusion des eigenen Sieges solange wie nur möglich aufrecht zu erhalten. Ist diese Illusion in Gefahr, dann erhält die einzige Wahrheit, die Kriege hervorbringen, die Möglichkeit ans Licht zu kommen: Im Krieg verlieren alle Seiten, bis auf die, die gut daran verdienen und möglichst weit vom Geschehen entfernt sind. 

Am Boden

Jetzt hatten wir es wieder. Eine Bückling und ein Kniefall nach dem anderen. Mal real, mal figurativ. Wer sich die Frage stellt, wie eine selbstbewusste Politik aussieht, sollte in diesen Zeiten konsequent wegschauen. Neulich traf ich wieder einen von denen, die ihr ganzes Leben lang für eine andere, aus ihrer Sicht bessere Gesellschaft gekämpft haben und nun, im fortgeschrittenen Alter, auf die Knie sinken, um sich das schüttere Haupt von denen streicheln zu lassen, die sie für lange Zeit als die Vertreter der Interessen ausgemacht hatten, die für die widrigen Umstände verantwortlich zeichneten. Ein Krieg von russischer Seite, den USA und NATO über Jahre vorbereitet hatten, dient ihnen nun,  in den Chor der imperialistischen Claqueure mit einzufallen und von einem Völkerrecht zu schwadronieren, das gerade ihre neuen Patrone immer nur dann geachtet hatten, wenn es in den eigenen Kram passte. Die unzähligen Putsche, Kriege, Bombardements und Sabotageakte, gegen die eine heute seniorisiete und dekadente Linke in vergangenen Zeiten protestiert, demonstriert und gekämpft hatte, sind vergessen und bei der Wiederholung dieser Akte der Aggression ist man ganz vorne dabei. Mit der fragwürdigen Begründung der Rettung des Völkerrechts.

Kann es sein, dass Worte und Bilder im Halse stecken bleiben? Jedenfalls drängt sich der Eindruck auf, wenn man sich die mittlerweile staatlich subventionierten Hetztiraden von Leuten anhört, die sich mal Kommunisten nannten und jetzt, vom Staat und von kriminellen Oligarchen gefördert, in Funk und Fernsehen alle Menschen, die für den Frieden plädieren, bestenfalls als Volltrottel oder als fünfte Kolonne der gegnerischen Kriegspartei diffamieren. Oder wenn sich Abgeordnete vor den schlimmsten Schergen einer autoritären Staatsdoktrin, deren Revers noch von den Überresten enormer Korruption bekleckert ist, auf die Knie werfen, um die Lebensleistung zu preisen. Oder wenn die woken Damen im Pelzmäntelchen ihre Verkommenheit vor den Banderolen glitzernder Monopole grinsend zur Schau stellen. 

Das Beruhigende, auch wenn es im Ruin endet, ist die Prognose, dass dieser Krieg verloren ist. Alle Spekulationen über die Vernichtung des Gegners basieren auf einer Illusion, die fleißig in die Köpfe gehämmert wurde und die zu sitzen scheint. Hört man sich um, so frieren tatsächlich Menschen, die es sich leisten könnten, trotzdem bereits freiwillig für den Endsieg. Diejenigen, die appellieren, das zu tun, machen das sicher nicht und diejenigen, die frieren, obwohl sie es nicht wollen, haben im Moment keine Stimme, die den Unmut und den Willen zur Veränderung zum Ausdruck bringt. Diejenigen, deren Stunde jetzt schlagen würde, haben die Seite gewechselt. Auch wenn sie es nicht merken, ihr Kapitel in den Geschichtsbüchern ist bereits zugeschlagen. An dem, was noch kommen wird, werden sie nicht mehr beteiligt sein. Weil sie keiner mehr will. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Wer nicht mehr kämpft, auch.

Und wer von diesen Menschen tatsächlich glaubt, sein Seelenheil durch die Hinwendung zu Onkel Sam in dieser Kontroverse retten zu können, denen sei gesagt, dass sie damit wiederum falsch liegen. Denn bei der amerikanischen Administration verhält es sich so, wie mit Dostojewskis Großinquisitor aus den Brüdern Karamasow: Er glaubt selbst nicht an Gott. Und so ist es mit Trump wie Biden, beide glauben nicht an die amerikanische Demokratie. Dieselben Oligarchen. Anti-Amerikanismus? Ja, dort, bei denen, die den Krieg um Weltherrschaft reklamieren.