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Zypriotische Tektonik

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Aus der Ferne betrachtet wirkt vieles sehr einfach. Manchmal ist auch genau das der Sinn der permanenten Distanz. Die Krise Zyperns scheint so etwas zu sein. Denn alles, was sich auf oder um Zypern tut, scheint mit einer Komplexität befrachtet zu sein, vor der das manische Ansinnen nach Vereinfachung von politischen Zusammenhängen tatsächlich in die Knie gehen muss. Die Botschaften, die uns bisher von Medien und Regierung erreichten, sind sehr schlicht: Die Zyprioten haben über ihre Verhältnisse gelebt, sie haben Kredite genommen zu unverschämt niedrigen Zinsen, sie haben eine katastrophale Geschäftsmoral und unterhalten einen völlig überladenen, leistungsschwachen öffentlichen Dienst. Zudem, und das scheint strafverschärfend gemeint zu sein, liegen dort die stinkreichen, faulen Russen an den Stränden herum und werfen mit ihren Petro-Rubeln nur so um sich.

Die Geschichte lässt sich, wie bei dem Geschäftsmodell Europa üblich, auch so beschreiben: die zentraleuropäischen Banken haben Zypern wie anderen südeuropäischen Ländern das Geld nahezu aufgedrängt. Die zypriotische Regierung machte allerdings den Fehler, weder Infrastruktur, noch technisches Gerät noch militärische Ausrüstung aus dem Hause Deutschland zu kaufen, sondern sie investierte hier und da, verhängnisvollerweise auch in Griechenland und ließ eine immense Investition in die lokale Bauwirtschaft zu. Da die Kredite nicht zu Einkäufen bei den Kreditgebern führten, wurde das Eintreiben der Schulden nicht mit Hilfspaketen abgefedert, sondern diesmal recht rigoros betrieben. Fair ist das nicht, aber wenn es um Macht und Einfluss geht, ist das auch eher selten.

Mit Blick auf das offizielle Deutschland könnte man sagen, es ist wie immer, d.h. Innenpolitik ist gleich Außenpolitik und die rein ökonomische Sichtweise dominiert. Bei dem Konflikt sollte man nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich bei Zypern immer noch um eine geteilte Insel handelt, auf deren andere Hälfte nur über die Türkei zu gelangen ist. Für eine sich zunehmend in der islamisch-arabischen Welt als Big Player profilierenden Türkei ist ein derartiges ökonomisches Desaster innerhalb der EU ein gefundenes Fressen. Zum anderen sollte man die zypriotische Regierung nicht unterschätzen, was das Austarieren neuer Bündnisoptionen anbelangt.

Nicht aus Zufall ist die Vermutung von großen Flüssiggasvorkommen vor der Küste Limassols Grundlage für Gespräche zwischen Israel und Zypern, bei denen bereits von einem energetischen Bündnis gesprochen wird. Es beinhaltet bereits den Konsens, dass bei einer Bestätigung des Ressourcenvolumens eine strategische Partnerschaft zwischen Israel und Zypern geschlossen wird, bei der zypriotisches Gas mit israelischem Know-how geborgen werden und beiden Ländern zugute kommen soll. Und so stellt sich wieder einmal heraus, dass der machtpolitische Konflikt im östlichen Mittelmeerraum jenseits des Koordinatensystems der Bundesregierung liegt.

Analog zur fatalen Balkanpolitik, bei der die Zerschlagung des ehemaligen Jugoslawiens und die Isolierung des stärksten Teiles dieses Vielvölkerstaats, Serbiens, ganz oben auf der Agenda stand und zu diesem Zweck mit islamistischen Befreiungsbewegungen wie mit kriminellen Vereinigungen eifrig fraternisiert wurde, was übrigens zu einem recht stabilen Bündnis zwischen Israel und Serbien geführt hat, wird die verpasste Lektion auf Zypern wieder versemmelt. Das, wovon einst der machttrunkene Sarkozy gefaselt hat, einer Entente mediterranee, hat weder Frankreich noch die hinterher hechelnde Bundesregierung bis dato zustande gebracht. Israel kann das Versagen der EU wie ihrer Großmächte derzeit gut für eine eigene Sicherheitsstrategie nutzen, was ihm zu gönnen ist. Die bloße Krämerseele befähigt hingegen nicht zum Global Player.

Korruption und Daumenschraube

Nicht wenige sind irritiert über die kritischen und zuspitzenden Stimmen in Südeuropa hinsichtlich der deutschen Rolle im Konsortium derer, die erklären, den Euro als Währung und damit die Europäische Union retten zu wollen. Gerade in den letzten Tagen, als es um den drohenden Staatsbankrott Zyperns ging, tauchten wieder Plakate auf, die vor allem Kanzlerin Merkel als logische Nachfolge der deutschen Nazis darstellen. Zuvor war so etwas schon in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal passiert. Historisch und politisch ist dieser Vergleich unsinnig, aber zu denken sollte er schon geben.

Die Volatilität des Euros begann mit der Weltfinanzkrise im Jahr 2008, erstaunlicherweise zunächst zu seinen Gunsten gegenüber dem Dollar. Da dachten schon viele, der Zeitpunkt einer neuen Weltwährungshegemonie sei nahe, bevor man entsetzt feststellen musste, dass der europäische Binnenmarkt derartig a-kongruent aufgestellt war, dass er unter dem Fehlen eines möglichen Stretchings zwischen verschiedenen Währungen so litt. Der Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften wie in Griechenland war die Folge.

Die deutsche Binnenpolitik unter dem damaligen Gespann Merkel-Steinbrück setzte auf vertrauensbildende Maßnahmen, die sich in Slogans wie „Das Sparbuch ist sicher“ und auf Rettungsaktionen der gesamten Bankenbranche Ausdruck verschaffte. Mit der rücksichtslosen Verwendung von Steuergeldern wurden vor allen die Verluste aus finanzkapitalistischen Zockergeschäften der staatlichen Banken ausgeglichen. Obwohl wieder einmal Volksvermögen in gigantischen Ausmaßen verbrannt wurde, regte sich in Deutschland kein Widerstand.

Als Griechenland in die Knie ging, änderte sich die deutsche Position. Um die Schulden dieses und später folgender südeuropäischer Länder gegenüber den Banken des Zentrums zu begleichen, konnte diesmal nicht auf große Kapitalmengen des Volksvermögens zurückgegriffen werden. Diesmal ging es, unter dem Druck der Merkel-Administration wie der immer präsenten Weltbank, ans Eingemachte, d.h. staatliche Leistungen und Ausgaben wurden in den zu schnürenden Sanierungspaketen zu einem zentralen Punkt. Das Ausmaß der Staatsausgaben wurde dabei von den Sanierern skandalisiert, obwohl sie diese Margen bereits beim Eintritt in die Währungsgemeinschaft gekannt und nie moniert hatten.

Die Doppelbödigkeit, mit der im Falle Griechenlands bereits argumentiert worden war, bekam auf Zypern noch eine andere Dimension. Da wurden nicht nur Staatsausgaben, sondern das gesamte Geschäftsmodell skandalisiert. Einer auf Steuervorteile und ein liberales Bankwesen setzende kleine Republik, die sich tatsächlich – vor allem durch Investitionen nach Griechenland! – verspekuliert hat, nun zu raten, sein Heil in der industriellen Werteproduktion zu suchen, ist an Zynismus nur noch durch die Nonchalance zu überbieten, den Eigenanteil an den Sanierungskosten über die Sparkonten der Kleinanleger anzuraten, wie dieses in den ersten Tagen der manifesten Krise geschehen ist. Wenn sich dann noch ein Bundesfinanzminister dahin gehend zitieren lässt, dass es wie in der Schule auch in diesem Falle Neidgefühle der Schlechteren gegenüber den Besseren gebe, dann sollten aus der Emotionalität heraus erzeugte Übertreibungen nicht auch noch dazu genutzt werden, um die Stimmung hierzulande gegen die Zyprioten anzuheizen.

Die Szenarien, die wir in den Fällen Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und nun Zypern erleben, sind vom Webmuster vergleichbar. Das ihnen zugrunde liegende Schema beginnt mit einer Erleichterung zum Geldkonsum und endet in der Schuldknechtschaft. Ob das noch so friedensstiftend wie immer behauptet wird ist, wird sich noch zeigen. Und ob die Galionsfiguren der Sanierung die Stimulans erhöhen, nationale Souveränität merklich zugunsten des europäischen Zentralmonsters aufzugeben, ist mehr als fraglich.