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Viele Fakten und ein Hufeisen

Heinrich August Winkler. Weimar 1918 – 1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie

Weimar ist wichtig. Weimar ist aktuell. In Zeiten, in denen das, was als demokratisch gesetzt gilt, den Anschein vermittelt, ins Wanken geraten zu sein, fällt sofort das Wort der ersten parlamentarischen Demokratie, die unter dem Namen der Weimarer Republik in die Geschichte einging. Sie selbst entstand unter dramatischen Umständen, sie nahm einen dramatischen Verlauf und sie scheiterte dramatisch. So ist es nicht verwunderlich, dass bei jeder Krise der Name Weimar aufblitzt wie ein schlechtes Omen. Oft ist es nur so ein Gefühl, mal als Warnung gemeint, mal nur das Zeichen von Hilflosigkeit. Da ist es vonnöten, sich mit der Materie gewissenhaft auseinanderzusetzen. 

Der Historiker und zum Festredner im Bundestag avancierte Heinrich August Winkler hat das bereits im Jahr 1993 mit einer Publikation gemacht, die aufgrund seines gewachsenen Bekanntheitsgrades nun in den Auslagen der Buchhandlungen liegt. Sie trägt den Titel: „Weimar 1918 – 1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie“. Das Buch umfasst 700 Seiten und ist, was die Aufführung der recherchierte Fakten, die dichte der Darstellung und die chronologische Konsequenz anbelangt, eines Historikers würdig und lässt nichts zu wünschen übrig. Wer sich die tatsächlichen Begebenheiten in ihrer Abfolge vor Augen führen möchte, der ist mit diesem Buch gut bedient.

Was mich bei der Lektüre zunächst irritierte, mit weiterem Fortschreiten zunehmend störte und irgendwann regelrecht unwillig machte, waren die Einlassungen des Historikers. Nicht, dass es einem Historiker nicht zustünde, sich selbst mit einem Standpunkt zu positionieren. Das ist hilfreicher als eine ostentativ zur Schau gestellte Neutralität, die, um ehrlich zu sein, eine Fiktion bleiben muss. Winkler macht aber in dieser Publikation genau dies. Er enthält sich einer expliziten Erklärung zu seinem eigenen Standpunkt, operiert aber mit beeinflussenden sprachlichen Mitteln.

Zumeist sind es kurze Bewertungen von historischen Fehlern, die bestimmte Akteure gemacht haben oder es sind eingeworfene Adjektive, die bei der Leserschaft eine bestimmte Stimmungen  erzeugen sollen. Da werden Akteure mal als irrational, mal als verbohrt und mal als gesteuert dargestellt, was zutreffen mag, jedoch in einer Schrift mit dem Anspruch als einer historischen Darstellung nichts verloren haben. Dass diese Wertungen zufällig sind und alle Akteure dieses aufwühlenden Weimars beträfen, ist jedoch eine Annahme, die nicht zutrifft.

Was auffällt, ist auf der einen Seite eine sehr sachliche Darstellung der Ereignisse, die sich aus dem Agieren der radikalen Rechten ergaben, dem zumeist eine innere Logik bescheinigt wird. Wogegen alle Aktionen von der SPD, der USPD und der KPD als verhängnisvoll beschrieben und gewürdigt werden. Damit nimmt Winkler eindeutig einen Standpunkt ein, der sich konsistent durch die gesamte Arbeit hält und der auf das Theorem des Hufeisens oder auch dem des Totalitarismus verweist. Folglich verlässt die Leserschaft den Parcours nicht mit der Erkenntnis, aber mit dem Gefühl, die Linke habe die erste demokratische Republik auf dem Gewissen.  Angesichts der vor allem aktuellen politischen Entwicklungen handelt es sich dabei um eine problematische Darstellung und man könnte zu dem Schluss kommen, dass der ideologische Unfug, der aus der Betrachtung von der Mitte und den Rändern regelmäßig formuliert wird, bis in die Sozialdemokratische Partei hineinreicht, deren Mitglied Winkler ist. 

Wer die Fakten dieser verhängnisvollen Republik noch einmal Revue passieren lassen will, mag das Buch lesen. Wer nach einer politisch verwertbaren Analyse sucht, wäre damit nicht gut beraten. 

CDU: Opfer der eigenen Erzählung

Kennen Sie das? Da erzählt jemand eine Geschichte, packend, mit Witz und ernsten Passagen. Sie reißt so richtig mit, und alle, die sie hören, wissen, dass sie nicht so ganz stimmt, dass da bestimmte Sachen ignoriert und andere überbetont werden. Aber alle finden die Geschichte so toll, dass sie das beiseite lassen. Denn sie möchten, dass die Geschichte tatsächlich so gewesen ist, wie sie gerade erzählt wird. Und deshalb halten alle auch an dieser Version fest. Immer wieder wird sie erzählt, bis, ja, bis fast alle glauben, dass die Version, die erzählt wird, sich mit der historischen Wahrheit deckt. Und wenn es das Schicksal will, dann kommt irgendwann, zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn er ist in einem solchen Fall immer ungünstig, dann kommt die Wahrheit zutage und zerstört die allseits so geliebte Geschichte, die man sich bei jeder Gelegenheit erzählt hat. Das Mindeste, was dann dahin ist, ist die eigene Glaubwürdigkeit. Für menschliche Wesen eine ganz gefährliche, existenzbedrohende Angelegenheit.

Wer hätte je gedacht, dass es ausgerechnet die CDU einmal ereilen würde! Sie, die sich selbst immer als die Mitte der Gesellschaft definiert hat. Sie, die stets bei politischen Gegnern sehr schnell von Rändern sprach und dazu immer eine Theorie parat hatte, nämlich die des Totalitarismus. Rechts wie links agierten die Feinde der Demokratie und die CDU war die große Kraft des Maßes und der Integration. Und die anderen, in deren Gesellschaft man schnell kommen konnte, wenn man sich nicht der CDU anschloss, die anderen konnten im Handumdrehen zu Feinden der Demokratie abgestempelt werden, wenn sie unbedacht handelten.

Und nun, ausgerechnet in einer ohnehin schon turbulenten Zeit, kommen genau die Fakten wieder hoch, die in dem Narrativ der Partei nie eine Rolle gespielt haben. Denn die Funktionseliten, die in jeder Partei, in der sehr viel organisiert werden muss, eine dominante Rolle spielen, diese so genannten Funktionseliten stammten historisch gleich mehrmals aus dem Arsenal des Totalitarismus. Die erste Welle kam nach dem Krieg in die West-CDU und spielten eine dominante Rolle. Hans Globke, Mitverfasser der Rassegesetze, Kurt-Georg Kiesinger, antisemitischer Propagandist im Rundfunk des Außenamtes, Hans Filbinger, Marinestabsrichter; Kanzlerberater, Kanzler und Ministerpräsident, sie hatten das Parteiabzeichen der NSDAP getragen, waren dort in mächtigen Positionen und wurden zu Markenzeichen der Nachkriegspartei der Mitte. Eine Aufarbeitung dieser Geschichte fand nie statt, weil sie in dem Narrativ, das alle so lieben, nie vorkam.

Und hätte eine Partei nicht genug mit dem Totalitarismus einer Generation zu tun, bei der großen Stunde der Wiedervereinigung wurde die komplette Ost-CDU, ihrerseits in der indigenen Bevölkerung des inhalierten Gebietes auch gerne als Blockflöten tituliert, mit einem kräftigen Zug einverleibt. Auch deren kooperative Ausmaße mit dem SED-Regime wurden nie erwähnt, auch das fand in der Erzählung, die alle so gerne hören, nie statt. Und was nicht stattfand, muss bekanntlich nicht aufgearbeitet werden. 

Umso emsiger wird aus den Reihen der großen Totalitär-Kontingente der Vorwurf gegen alle anderen laut formuliert. Nahezu grotesk mutet es an, wenn ausgerechnet diese Partei der Linken vorwirft, sie verkörpere den Totalitarismus der einstigen DDR. Ehrlich gesagt, im Vergleich zur CDU hat die Linke unerbittlich und schmerzhaft über die eigene Geschichte nachgedacht und ihre Schlüsse gezogen. Es heißt nicht, dass sie nicht so manchen Reflex noch pflegte, der aus den alten Tagen stammt. Aber, auch personell, lassen sich keine Parallelen zur CDU, bei der nahezu flächendeckend die kompletten Organisationseinheiten umgewidmet wurden und über Nacht die Absolution erhielten. Und wer die hat, der hält besser die Schnauze, wie es so treffend heißt. 

Die schöne und so gerne erzählte Geschichte von der Mitte ist leider auserzählt. Es sind Zeiten für Menschen mit guten Nerven!   

EU: Ihre Tollität und der Totalitarismus

Wer erinnert sich nicht mehr an die Zeit vor den Europawahlen, als mit einem ungeheuren Aufwand für die EU als einem ur-demokratischen Projekt geworben wurde und nie der Verweis fehlte,  es handele sich auch um ein gigantisches Friedensprojekt. Viele Menschen haben sich davon betören lassen und im Netz sogar ihr Konterfei von Eurosternchen umschwärmen lassen. 

Nach der Wahl sah bereits nach kurzer Zeit alles anders aus. Die vorher so gepriesenen Direktkandidaten für den Kommissionsvorsitz spielten keine Rolle mehr und ausgerechnet die als Scharfmacherin profilierte, als Ministerin desavouierte von der Leyen machte das Rennen, mit Zustimmung des ultraleichtes Blocks versteht sich. Der rhetorische Firlefanz von vor der Wahl spielt keine Rolle mehr. Das dachten sich auch die Mitglieder der rechtskonservativen Parteien, die einen Antrag ins Parlament brachten, der aus dem angeblichen Friedensprojekt einen Angriff auf den Frieden macht.

Die Quintessenz des Antrags lässt sich schnell umschreiben: Ausgehend von der Analyse, dass es sich beim deutschen Faschismus und beim russischen Kommunismus um zwei totalitäre Systeme gehandelt habe, die sich im Hitler-Stalin-Pakt noch verbunden hätten und Europa nun von der Knebel des Totalitarismus befreit sei, sollten alle Denkmäler, die die falsche Assoziation herstellten, die Rote Armee hätte zur Befreiung vom Faschismus maßgeblich beigetragen, demontiert und beseitigt werden. 

Die Selbstachtung verbietet es, diesen geschichtsrevisionistischen Schwachsinn auch noch en detail zu widerlegen. Bei dem kürzlichen Besuch von Bundespräsidenten Steinmeier in Polen hätte man sich bereits denken können, dass an einem derartigen Konstrukt gearbeitet wird. Auch er hatte sich ausdrücklich bei den USA für die Befreiung vom Faschismus bedankt, ohne die damalige Sowjetunion auch nur zu erwähnen.

Wichtig noch zu registrieren, dass dieser Antrag der Unsäglichkeit angenommen wurde, und zwar mit den Stimmen der Sozialdemokraten und der Grünen. In Sachen Geschichtsrevisionismus ist man sich also einig. Der, so ist das immer, dient zur Etablierung neuer Feindbilder. Dass das Russland ist, wissen wir seit dem erfolgreichen Angriff auf die Souveränität der Ukraine. Wie sehr die amerikanische Nomenklatura in diese kriegstreibenden Machenschaften verwickelt war, ist an den dirty Fingers der Familie Biden in diesen Tagen wieder deutlich geworden. 

Die Theorie des Totalitarismus erklärt im Grunde nichts. Sie wird immer dann hervorgeholt, wenn man eine Blaupause braucht, um das vermeintlich eigene lupenrein demokratische Edelsystem zu beweihräuchern. Allerdings existieren schon immer totalitäre Regimes. Das ist außer Zweifel. Und deren Charakter lässt sich relativ einfach umschreiben.

Ein totalitäres Regime sichert die Herrschaft eines kleinen Kreises von Menschen über den Rest. Es werden Einzelinteressen vor das Gemeinwohl gestellt. Das ist der Wesenszug auch schlicht autoritärer oder sogar sublim demokratischer Systeme. Was das Totalitäre ausmacht, ist der Versuch, ideologisch alles zu beherrschen und zu durchdringen. Dazu gehört auch die Vorstellung der Gesellschaft von Geschichte. Geschichte ist das Narrativ, von dem aus das weitere Vorgehen in der Zukunft reflektiert wird. Dabei arbeitet das totalitäre Paradigma in der Regel mit Feindbildern. Sie dienen einerseits dazu, von dem eigenen Agieren im Innern abzulenken und andererseits haben sie immer im Blick, Aggressionen nach außen zu legitimieren.

Insofern ist der im Europaparlament angenommene Antrag zur Auslöschung der Erinnerung des Beitrages der Roten Armee zur Befreiung vom Faschismus ein willentlich totalitärer Akt, um das Geschichtsbewusstsein der EU-Bevölkerung zu manipulieren. Und beides trifft zu: Ablenken von der eigenen Politik gegen das Gemeinwohl und Vorbereitung kriegerischer Akte gegen Russland. Die EU wird totalitärer. Oder handelt es sich um einen Akt ihrer Tollität?