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Gorbatschow und Obama, Trump und Jelzin

Als die Sowjetunion ihren Zenit überschritten hatte und die systemischen Fehler allzu deutlich wurden, als die Staatsführung nur noch aus den ganz Alten der Nomenklatura rekrutiert wurde, da tauchte am Horizont ein Junger auf, der frischen Wind in das System zu bringen versprach und von vielen als der Retter gesehen werden wollte. Sein Name war Gorbatschow und sein Programm nannte sich Glasnost und Perestroika, übersetzt so viel wie Durchsichtigkeit oder Offenheit und Umgestaltung. Doch anstatt das System zu retten, trug der frische Wind, der von einem von amerikanischer Seite kostspieligem Rüstungswettlauf begleitet wurde, zur fatalen Erosion des gesamten Systems. Die UdSSR brach zusammen und bescherte der Welt die Auflösung einer stabil geglaubten Ordnung.

Für die Bürger der ehemaligen Sowjetunion war das keine schnelle Erlösung, sondern es folgten chaotische Zustände und Hungersnöte und eine Zeit, die bis heute als Trauma erlebt wird. Und dem glücklosen Präsidenten Gorbatschow folgte ein Haudrauf namens Jelzin, der in Wodkalaune für manches Husarenstück sorgte und das Land den Raubrittern des anarchischen Kapitalismus überließ. Letztere nannten sich Oligarchen und griffen das ehemalige Volkseigentum mit zumeist kriminellen Methoden ab. Erst ein Präsident Putin sagte letzteren den Kampf an und holte so manches Gut wieder heim ins Reich. Dass er dabei nicht zimperlich war, ist bekannt.

In den USA markierte das Jahr 2008 einen Wendepunkt. Die Logik der eigenen Ökonomie hatte die Welt in eine Finanzkrise gerissen und die USA selbst waren in einem desolaten Zustand. Finanzspekulation statt Wertschöpfung, das war seit Jahren bereits die Maxime und hatte die einstige ökonomische Macht des Landes unterminiert. Die Apologeten des Freihandels und der internationalen Mobilität hatten mit daran gearbeitet, das Land tief zu spalten in Gewinner und Verlierer der Globalisierung. In diese Atmosphäre, die bereits etwas Endzeitliches an sich hatte, drang ein junger und zudem schwarzer Politiker namens Barack Obama, der einem großen Teil der Bevölkerung noch einmal die Möglichkeit des amerikanischen Traums suggerierte. Zwar konnte dieser Heilsbringer Reformen durchbringen, die vorher undenkbar gewesen waren, aber anderes konnte und wollte auch er nicht ändern.

Jede Supermacht leidet ab irgendeinem Punkt an strategischer Überdehnung, d.h. die Anforderungen an Machterhaltung und Machtausbau sind größer, als es dem tatsächlichen Potenzial des Landes entspricht. Mit dem Anspruch, auch dieses Problem zu lösen, war Obama angetreten und an den Ansprüchen der Falken im eigenen Lager und den Verbündeten in Europa gescheitert. Dass er letztere nun auf seiner Abschiedstour noch einmal an die gemeinsame Verantwortung gemahnte, half außer dem immer wieder abrufbaren deutschen Größenwahn keinem. Dennoch konnte der scheidende Präsident innenpolitisch Erfolge vorweisen, die allerdings im Orkan der internationalen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen verblassen.

Die Amerikaner haben ihrer Enttäuschung freien Lauf gegeben und nach dem brillanten Redner, dem Welterklärer und Moderator nun einen Mann gewählt, der bei seiner Ursachenanalyse auch mal Fünfe gerade sein lässt und sich wenig um die Tischsitten schert. Im Äußeren wie im politischen Gestus erinnert Trump sehr an den ehemaligen russischen Präsidenten Jelzin. Auch das Abfolgemuster stimmt. Es existieren auch Analogien zwischen Obama und Gorbatschow. Und das wird das Spannende: wird Trump, ähnlich wie Jelzin, jetzt die internationalen Verbrecher auf die USA loslassen, um sich noch einzuheimsen, was einzuheimsen ist? Und wenn er das macht, wird er dann so enden wie Jelzin? Machtlos, geduldet und irgendwann ersetzt durch einen, der die Ordnung wieder herstellt und den internationalen Anspruch mit scharfer Zunge erneut formuliert?

Spaltung am Tag der Einheit

Vor einem Vierteljahrhundert war eine Situation eingetreten, die der viel zitierte Lenin mit einem wunderbaren Wort seinerseits hätte hinterlegen können: Eine revolutionäre Situation entsteht dann, wenn die unten nicht mehr wollen und die oben nicht mehr können. So einfach kann das sein. Ganz so einfach war es aber nicht. Sicher ist, dass die Bevölkerung der damaligen DDR so nicht mehr weiter leben wollte. Und sicher ist auch, dass die dort herrschende Parteibürokratie in der bewährten Weise nicht mehr weiter regieren konnte. Das Geflecht, in dem diese revolutionäre Situation entstanden war, beinhaltete allerdings Faktoren wie die beiden Supermächte USA und vor allen Dingen die UdSSR. Letztere hätte den Zusammenbruch der DDR durchaus militärisch verhindern können. Und es ist ebenso sicher, dass die andere Supermacht deshalb keinen neuen Krieg vom Zaun gebrochen hätte. Die UdSSR standen allerdings selbst vor massiven inneren Problemen und die politische Maxime Michail Gorbatschows, Glastnost und Perestroiika, heute das Motiv eines jeden Change-Prozesses, trug dazu bei, dass unter bestimmten Zusicherungen die UdSSR ihr eisernes Veto nicht abriefen. Die Zusicherungen seitens des Westens und des neuen Deutschlands bezogen sich auf Neutralitätsgarantien im mittel- und osteuropäischen Raum.

Diejenigen, die von der Öffnung am meisten profitiert haben, eine junge Elite am Rande der damaligen ostdeutschen Nomenklatura, hat es seither weit gebracht. Heute stehen mit der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten genau die Profiteure dieser Friedens- und Gewährungsgeste in den zentralen Positionen der politischen Macht. Was beiden anlässlich der Feiern zu dem Vierteljahrhundert von sich gaben, deutet von einer Ignoranz und einem Zynismus, der erschüttert. In ihren Reden wurden keine Bezüge zu der historischen Konstellation hergestellt und es reduzierte sich alles auf den mit brennenden Kerzen vorgetragenen Widerstand dieser Tage. Das trifft einen Teil, der nicht geschmälert werden soll, aber es ist der kleinere. Und das mit Absicht.

Seit der Jahrtausendwende folgte die Bundesrepublik der aggressiven Politik George W. Bushs, die eine gezielte und planmäßige Osterweiterung der NATO zum Ziel hatte. Bislang sind es neun Staaten im ehemaligen Sicherheitsgürtel der UdSSR, die als Mitglieder aufgenommen wurden. Mit der Ukraine geht es nun um den zehnten Staat, dessen Ostteile historisch eng mit Russland verwoben sind. In diese Richtung gingen dann auch die Formulierungen Angela Merkels, die die Lehren aus dem Erfolg der Wiedervereinigung dahin gehend formulierte, dass man wehrhaft und entschlossen bleiben müsse. Das ist starker Tobak, sagt es doch aus, dass die Lehre aus der Vereinigung die Härte gegen die damaligen Befähiger sein müsse. Politisch ist das absurd, propagandistisch passt es zu dem Höllenritt, der in voller Vorbereitung ist.

Zeitgleich berichteten die Medien, dass die gegenwärtige Verteidigungsministerin bereits den Einsatz einer Bundeswehrtruppe mit Drohnenbesteck zur Überwachung der Friedensvereinbarung in der Ostukraine plane. Angefragt hat niemand, aber das scheint die trunkene Vorstellung von Proaktivität auch nicht zu erfordern. Gleichzeitig will der CSU-Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen LKW-Konvoi mit Hilfsgütern in die Ostukraine schicken, dieses wiederum ohne Absprache mit dem eigenen Auswärtigen Amt und anderen internationalen Akteuren. Wer als Kanzlerin so mit dem Ölkännchen an den Feuerstellen spazieren geht, darf sich nicht wundern, dass die hauseigenen Hasardeure aus ihren dunklen Löchern geschossen kommen und sich an dem Feuerwerk beteiligen wollen. Es sind wahre Lehrstunden, die anlässlich des Festes der Deutschen abgehalten wurden. Wieder nichts gelernt, könnte man sagen. Mit dieser Haltung wird die europäische Spaltung militant voran getrieben und die Politik diskreditiert, die zu den Erfolgen der Verständigung geführt hat.

Die Transparenz und das kritische Subjekt

Dass Geschichte nie linear verläuft, bewies eine Kuriosität aus dem Osten. Ausgerechnet dort, wo man von einer Diktatur, ja einem Monolithen sprach, wurden zwei Begriffe geformt, die nicht nur in einem kausalen, sondern in einem kulturellen Zusammenhang stehen und die Welt verändern sollten: Glasnost und Perestroika, Transparenz und Umgestaltung. Michail Gorbatschow, der Mann, der aus den Reihen der mächtigen, gefürchteten KPdSU kam und ihr erster Mann wurde, fachte mit diesen beiden Begriffen ein Feuer an, das die Machtstrukturen der alten KP in lodernden Flammen aufgehen lassen sollte. Die Konstitutionsprinzipien der finsteren Hierarchie, Obskurantismus und eherne Gesetze der Macht, lagen mit Glasnost und Perestroika auf dem Schafott. Der Rest ist Geschichte. Die Sowjetunion existiert nicht mehr und mit ihrem Ende fühlte sich der Westen als die überlebende und damit überlegene Macht. Auch das ist mittlerweile relativiert, nicht nur durch das Schwächeln des ungezügelten Finanzkapitalismus, sondern auch durch das Erstarken eines gar nicht mausetoten Russlands und durch die ungeheure wirtschaftliche und politische Dynamik im pazifischen Raum.

Der kapitalistische Westen, der nach eigener Selbstwahrnehmung mittlerweile vom Industrialismus über die Dienstleistungsgesellschaft im Kommunikationszeitalter angekommen ist, sucht einmal wieder nach Prinzipien der sozialen Kohärenz. Diese wiederum findet er in den Konstitutionsprinzipien der Kommunikation selbst: Transparenz schafft nicht nur Vertrauen, sondern stellt auch eine Atmosphäre gemeinsamer Intentionalität her und bewirkt eine gesellschaftliche Gestaltung des Daseins. So zumindest die Theorie. Was das Herstellen von Transparenz anbetrifft, so ist diese Maxime nahezu zu einer Doktrin verkommen, die als Wert an sich zelebriert wird und in ihrer Exklusivität eher Frivolität als politischen Sinn verkörpert. Alles, was quasi als wichtige Information ins Netz gestellt wird, kommt daher unter dem Diktum einer für politische Entscheidungen unabdingbaren Voraussetzung.

Bei näherer Betrachtung ist das zumeist nicht der Fall. Selbst die unter großem Getöse kommunizierten Massendaten durch WikiLeaks haben nichts Neues hervorgebracht, das von politischer Virulenz gewesen wäre. Befeuert wurde die Sucht nach Gossip und das revolutionärste an Erkenntnis, welche die demokratische Urkraft der Massengesellschaft erreichte, waren Formulierungen von einzelnen Mitarbeitern des diplomatischen Korps, in denen Politiker A als Faulpelz und Madame B als begriffsstutzig oder bieder beschrieben wurden. Ob Menschen ihr Leben lassen mussten, weil die Position ihres Stützpunktes in Krisengebieten dieser Welt der Öffentlichkeit preisgegeben wurde, wissen wir nicht. Auf jeden Fall wäre es ein gerne in Kauf genommener Kollateralschaden auf dem Karriereweg des Julian Assange gewesen, dessen soziale Kompetenz amöbenhafte Dimensionen dokumentiert.

Die Ausgangsthese einstiger sowjetischer Altkommunisten, dass Offenheit und politische Transparenz zum Willen politischer Umgestaltung führen muss, trifft anscheinend nicht auf alle Gesellschaften gleichermaßen zu. Zumindest in der Bundesrepublik sind viele Veröffentlichungen, die wir der medialen Permissivität des Kommunikationszeitalters verdanken, nicht dazu prädestiniert, politische Veränderungen nach sich zu ziehen. Die Enthüllung der Massenkorruption im bayrischen Landtag zum Beispiel, wo 79 der insgesamt 187 Abgeordneten direkte Verwandte eingestellt haben, führt nicht zur Aufhebung der Immunität, Neuwahlen etc., sondern sie wird hingenommen als eine systemimmanente Funktionsstörung. Von einer eigenen politischen Gestaltungskraft geht anscheinend niemand mehr aus. Eher traut man einer Modifikation der steuernden Algorithmen. In einer Welt voller Objekte sucht man vergeblich das handelnde Subjekt. Da hilft auch keine Transparenz.