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Das kalte Herz des Jägers

Wer bei der Begegnung zwischen den Niederlanden und Mexiko auf eine eindeutige Angelegenheit der ersteren gesetzt hatte, wurde bitter enttäuscht. Eigentlich war es das Spiel Mexikos. Im Gegensatz zu ihren bisherigen Partien wartete Louis van Gaal mit einer Taktik auf, die dem bisherigen Verlauf des Turniers entsprechend das Attribut europäisch verdient hat. Abwarten, den Gegner kommen lassen, auf Sicherheit spielen und auf die Chance zum Gegenschlag lauern. Oranje spielte ohne Verve und Esprit, das Team wirkte wie ausgetauscht und lieferte besonders in der ersten Hälfte eine müde Vorstellung. Davon, den Löwen nicht untergehen zu lassen, war nichts zu bemerken.

Mexiko dagegen trat nicht nur couragiert auf, war gewohnt technisch gut und spielte sich mehrere Gelegenheiten heraus. Zu Beginn der zweiten Hälfte wurden sie mit einem sehenswerten Tor belohnt. Danach befreiten sich die Niederländer zwangsläufig von der selbst verordneten, auf Sicherheit zielenden Spielweise und versuchten auf Angriff zu spielen. Auch das war jedoch nicht überzeugend und Gefahr drohte immer nur dann, wenn Robben den Ball bekam und im Strafraum auf Elfmeter spielte. Das misslang zunächst und bis kurz vor Schluss sprach alles für ein verdientes, erkämpftes Weiterkommen Mexikos.

Doch dann holte van Gaal van Persie vom Platz und brachte einen Mann, den sie den Hunter nennen, Jan Klaas Huntelaar. Er war es, der das Spiel drehte. Zunächst gab er eine Flanke per Kopfball auf den gut und glücklich postierten Wesley Snijder zurück, der fünf Minuten vor Schluss mit einem gelungenen, wuchtigen Schuss das 1:1 erzielte. Und wiederum wenige Minuten später bekam Robben dann endlich, beim vierten oder fünften Versuch, den Elfmeter, diesmal sogar berechtigt. They call me the hunter, and that´s my name nahm sich kurz entschlossen den Ball und verwandelte den Strafstoß mit kaltem Herzen.

Wer glaubt, der Sieg der Niederländer sei das Ergebnis einer genialen taktischen Leistung, unterliegt einem Trugschluss. Es war das Glück, das selbst in wenigen Momenten auch dem Arroganten beschieden ist. Sollten daraus Analogieschlüsse für die nächsten Begegnungen europäischer gegen amerikanische Mannschaften auf diesem Turnier gezogen werden, so können sie nur ins Verderben führen. Wer sich dort nicht der Herausforderung des emotionalen Kampfes stellt, der wird bittere Enttäuschungen erleben. Das Bild sei erlaubt: Europa verwaltet die Verteilung des Kuchens, Amerika kämpft unerbittlich nicht um ein großes Stück davon, sondern um ihn in seiner Gesamtheit. Das hat symbolischen Charakter, es zeigt Tendenzen der globalen Entwicklung und dass nun auch die ansonsten weltbewanderten Niederländer zu provinziellen Kleingeistern mutierten, löst eine gewisse Traurigkeit aus. Noch reichte das kalte Herz des Hunters, ein zweites Mal wird ein solcher Schachzug nicht reichen.

Griechenland, im Spiel gegen Costa Rica, zeigt sich auf diesem Turnier unbeirrt von seiner kämpferischen, alles andere als hinhaltenden und einschläfernden Seite. Auch hier zeigt sich, dass die Lage der Nation auf dem Grünen Rasen immer eine Rolle spielt. Die Griechen, die in den vergangenen Jahren so gelitten haben, teils wirtschaftlich, was enorm ist, aber auch in Bezug auf ihr Selbstwertgefühl, zeigen eine Reaktion, die die richtige ist. Die Nation ist zu groß, sie ist zu wichtig als dass sie es sich erlaubte, depressiv im Staube zu versinken. Da ist Kampf die angemessene Antwort. Egal, wie es in dieser Nacht noch ausgehen wird, mit der vorher gesehenen Mentalität, einen abgezockten Coup landen zu wollen, ist weder bei Griechenland noch bei Costa Rica zu rechnen.

Der Flaneur mit den Kroko Schuhen

Um es gleich zu sagen. Die ersten Spiele besagen noch gar nichts. Abgerechnet wird am 13. Juli. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Auch wenn die Niederlande Spanien demontierte, der stolpernde König kann sich noch erholen. Und auch wenn Costa Rica das stämmige Uruguay im Schweiße unaufhaltsamer Euphorie niederkämpfte, am Lohntag wird sich zeigen, wer gebummelt hat. Selbst Griechenland hat immer wieder bewiesen, dass es nicht so schnell stirbt, wie die Tagesbörse glaubt. Ein Spiel jedoch hat gezeigt, was sich wohl auch in diesem Turnier nicht mehr ändern lässt. Wenn alte, imperiale Größen aufeinander treffen, dann ist vieles gesetzt. Italien gegen England war wieder einmal so ein Spiel.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Deutschen mögen die italienischen Tugenden nur in der Gastronomie oder im Urlaub, aber nicht im Fußball. Da bilden sie eine Klasse, an die die Helden aus Germanistan nur selten heran reichen. Der Reporter im deutschen TV dokumentierte bereits sehr früh, woran das meistens scheitert. Man kann das Spiel der Italiener nicht lesen. Diese wussten sehr genau, welchen Belastungen sie über die Gesamtdauer des Spieles ausgesetzt sein würden. Deswegen spielten sie lange Zeit One-Touch-Stafetten und ließen die motivierten Engländer laufen, die nach Jahren der Capello-Intervention zu begreifen scheinen, was Spielkultur ist, aber ihren Meister gefunden hatten. Und als der Kommentator bereits von italienischen Verzweiflungstaten sprach, schossen diese das Führungstor. So kann es kommen. Und zu Boden gehst du nur, wenn du den Schlag nicht kommen siehst, das wusste schon Muhammad Ali.

Inszeniert durch ihr Genie Andrea Pirlo! Er allein ist es wert, sich die Spiele Italiens anzuschauen. Er, von dem man glaubt, es flaniere ein Gigolo in Kroko Schuhen mit einem Schoßhündchen an der Leine über eine üppige Wiese der Po-Ebene und der dann plötzlich aus dem Fußgelenk alle Formationen auf dem Platz ad absurdum führt und Gladiatoren wie Balotelli die Möglichkeit gibt, mit einem einzigen Hammerschlag dem langweiligen Gewese ein Ende zu bereiten. Pirlos Freistoß in der Nachspielzeit, der die Latte Englands noch einmal küsste, beschrieb eine Flugbahn außerhalb der physikalischen Gesetze. Das ist große Kunst, der etwas innewohnt, das die im Profanen materialisierte Welt zum Träumen verführt.

Was immer wieder die Gemüter beflügelt ist die Frage, warum die englische Liga so stark und das Nationalteam vergleichsweise so schwach ist. Die Erklärung scheint kein Mysterium zu sein. Das Verhältnis bildet den Irrweg ab, den das Land seit Margaret Thatcher beschreitet. Es ist die Abkehr von der Eigenleistung und die Glorifizierung der Börse. Wer Leistungen nur noch einkauft, ohne selbst zumindest eine Ahnung davon zu besitzen, wie sie erstellt wird, wacht irgendwann auf und hat einen Brummschädel wie nach Unmengen Bitter Ale. In den Topp-Klubs der Insel sind Engländer Mangelware. Und die Leistungsträger spielen in Brasilien gegen England. Es ist zu hoffen, dass man das in London so langsam begreift, die jetzigen Erfahrungen böten einmal wieder eine Chance.

Den Deutschen, die sich mit Italien so schwer tun, sei zum Trost gesagt, dass es sich natürlich um eine Ambivalenz handelt. Wir, die ehrlichen Arbeiter, wir lieben den Luftikus, der das Schöne schafft. Nur gewinnen darf er nicht, das ist ungerecht. Umgekehrt ist es übrigens ähnlich. Viele der italienischen Tifosi sind erbost über die Erfolge der Teutonen, wenn sie nur durch Blut, Schweiß und Tränen zustande kommen, aber so ganz ohne Grazie. Im internationalen Projektmanagement ist man übrigens weiter: Da werden deutsch-italienische Teams als optimale Lösung gesehen. Da gilt die Kombination aufgrund ihrer jeweils unterschiedlichen Qualitäten als das Nonplusultra. Liebt euch, ihr mögt euch doch!

Let it roll Baby!

Nun rollt er wieder. Der berühmte Ball, der viele Millionen Menschen in den Bann zieht. Zum Auftakt begleitet von Bildern der sozialen Auseinandersetzungen im Land des Geschehens, die ein Licht auf die Brisanz werfen, in der sich Brasilien momentan befindet. Und begleitet von den Kommentatoren, die vieles erzählen, aber wie immer an den tatsächlichen Fragen vorbei schlittern, mit einer Sicherheit, die beeindruckt. Und begleitet von Meldungen, die sich beziehen auf den in Dekadenz zuckenden Weltverband FIFA, der geschüttelt wird von einer systemischen Triade, die am besten beschrieben wird mit den Begriffen Kollusion, Korruption und Nepotismus. In diesem Kontext wird nun auch der Name Franz Beckenbauer genannt. Da ist es nichtig, ob er ein aktiver Teil dieses Managementprinzips geworden ist oder ob einmal wieder ein Machtkampf tobt, der die Saubermänner zu marginalisieren sucht. Beides ist möglich. Beides ist scheußlich.

Und es geht einmal wieder um Schiedsrichter, die die Frage aktualisieren, ob Quoten die Lösung für eine gelungene Partizipation sind, wenn die Leistung nicht stimmt. Das zieht sich durch die wenigen Spiele, die bis heute ausgetragen wurden wie ein roter Faden. Aber das ist nun auch wieder nichts Neues. Das Eröffnungsspiel hat in hohem Maße dokumentiert, wie groß der Druck ist, der auf den brasilianischen Spielern lastet. Wenn die nicht gewinnen, dann können sie emigrieren. Marcello, dieser bullige, motivierte Spieler, zeigte nach dem unglücklichen Eigentor sein Gesicht. Es offenbarte das Existenzielle, den Wahnsinn, der das Land in einen Ausnahmezustand versetzt. Dass Brasilien dann gegen das motivierte und von Einzelkönnern durchsetzte Team aus Kroatien gewann, war dennoch, trotz eines dubiosen Elfmeters, folgerichtig. Popstar Neymar und der spritzige Oscar machten den Unterschied. Zu spielerischer Eleganz, der gewohnten Gala brasilianischer Teams, ließen die Kroaten sie nicht kommen. Sie mussten hart arbeiten, das war schweißtreibend wie in einer Silbermine.

Und dann kam der amtierende Welt- und Europameister, im Glanze lupenreiner Bilanzen und funkelnder Dekoration, und wurde von den Niederländern filetiert wie ein verfetteter alter König. Das System des Tiki-Taka, mit dem die nun bereits ein Jahrzehnt währende globale Dominanz erreicht wurde, ist durchschaut. Dass mit Louis van Gaal, dem Maniak aus den holländischen Flutwiesen dieses System tranchiert wurde, entbehrt nicht der Ironie, gehört er doch zu den ehemaligen Verfechtern eben dieser Idee. Da hat das Insiderwissen die Revolution gewaltig beflügelt. Auch in diesem Spiel waren wieder die Physiognomien das Bemerkenswerte. Iker Casillas, die Torwartikone aus Madrid, zeigte die ganze Trauer, die der Verlust der Macht verursacht. Und das brasilianische Publikum fraternisierte mit den Ikonoklasten aus dem Land der Tiefebene, wo die Begrifflichkeit des Raumes schon immer eine andere war. Das zeigte Robin van Persie mit seinem genialen Tor. Es war der Stich ins Herz der alten Kolonialmacht.

Auch Mexiko und Chile demonstrierten in beeindruckender Weise, dass sie nicht nur wegen der ehrenhaften Teilnahme angereist sind. Sie untermauerten genauso wie Brasilien und die Niederlande, dass im Kampf um die Herrschaft das Verwalten alleine nicht ausreicht. Mag der Apparat auch noch so ausgeklügelt und funktionssicher sein, er wird nicht reichen, um die Dominanz zu verteidigen. Um etwas zu reißen, erfordert es eine Idee, die das Neue beinhaltet. Es erfordert Können, aber wichtiger noch ist das Wollen und die Geschwindigkeit, mit der der Plan umgesetzt wird. Perfektion nützt nichts, wenn die Entschlossenheit fehlt. Vor uns liegen erkenntnisreiche Wochen.