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WM: Erkenntnisse vor dem Endspiel

Was hat diese Fußballweltmeisterschaft an Erkenntnissen gezeitigt? Eine Frage, die viele Menschen bewegt, die der Überzeugung sind, dass der Fußball, so wie er gespielt und vermarktet wird, auch etwas aussagt über die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er jeweils praktiziert  wird und in der Art, wie er sich im direkten Vergleich aufstellt. Alle, die glauben, Fußball sei ein Sport wie jeder andere, nur etwas überbewertet, sollte sich mit diesen Gedanken erst gar nicht befassen. Wo kein Resonanzkörper, ist bekanntlich auch kein Klang.

Hier, im zu einem Schwellenland mutierenden Germanistan, kursierte von Anfang an das Wort „umstritten“, um die Bedenken gegenüber dem Weltfußballverband FIFA, seinen Praktiken und dem Gastgeberland Katar und seiner Menschenrechtslage zum Ausdruck zu bringen. Dass diese Entrüstung weder bei Grand Prix-Veranstaltungen noch bei einer kürzlich dort abgehaltenen Handball-WM geäußert wurde, hängt damit zusammen, dass selbst die, die den Fußball für völlig überbewertet halten, um seine immense Wirkung wissen. Man wollte, in erster Linie für das heimische Publikum, ein Zeichen setzen, auch auf das Risiko hin, dass dabei die eigene Mannschaft scheitert. Insofern war die Veranstaltung für die Sender politisch-moralischer Botschaften ein voller Erfolg. Dass bei dieser Zurschaustellung der eigenen Vorstellungen gewaltige Risse in der Symbolik entstanden, dürfte vielen Beobachtern nicht entgangen sein. Eine Innenministerin, die noch vor wenigen Wochen in der Ukraine freundlich lächelnd neben einer Amazone mit dem T-Shirt, das die Aufschrift „Black Rifles Matter“ trug, stand, erschien dann mit dem Regenbogenemblem am Arm in Katar auf der Tribüne. Ehrlich gesagt, stellte sich gleich die Frage, was ihr wohl geschehen wäre, wenn sie mit dem Regenbogen-Symbol in der Ukraine erschienen wäre?

Aber zurück zum Fußball. Die Vergabe nach Katar ist Ausdruck für die Verschiebung der globalen Marktmacht nach Asien. Und die Art und Weise, wie in Katar Fußball gespielt wurde, brachte keine neue Spielidee zum Vorschein, sondern zeigte etwas, das in den letzten Jahrzehnten keine große Rolle gespielt hatte. Da ging es noch um die Form von Arbeitsorganisation, die Bildung von Teams und die Entwicklung von Potenzialen. Jetzt, bei dieser WM, war zu beobachten, wie man sich im Krieg aufstellt. Da spielte die primäre Sicherung der Verteidigung die größte Rolle. Wer nicht in der Lage war, sich gegen schnelle, taktisch gut durchdachte Vorstöße zu verteidigen, war schnell raus aus dem Rennen. Und wer in der Lage war, das eigene Territorium mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und dennoch die Kraft und die Idee aufbrachte, auf dem gegnerischen Territorium für Überraschung zu sorgen, dem war auch letzten Endes der Erfolg beschieden. Jenseits der Verteidigungsfähigkeit machten einzelne Individuen den Unterschied. 

Eine weitere Kategorie, die letztendlich zum Erfolg beitrug, war die Verankerung im eigenen Umfeld. Die Mannschaften, die über ein großes, enthusiastisches Kontingent an Zuschauern verfügte, kam bei diesem Kräftemessen am weitesten. Dort, wo andere Themen eine Rolle spielten und die Unterstützung kaum zu vernehmen war, sank schnell die Moral und man fuhr frühzeitig nach Hause. Wobei wir bei der Truppe aus Germanistan angelangt wären. Da ist die Diagnose evident. Wer sich nicht verteidigen kann, dem nützt die beste Offensive nichts, wer den Fokus verliert, bietet immer gleich mehrere Angriffsflächen, wer keine Unterstützung genießt, kommt sich schnell verloren vor. Eigentlich wertvolle Erkenntnisse, oder? 

Let it roll Baby!

Nun rollt er wieder. Der berühmte Ball, der viele Millionen Menschen in den Bann zieht. Zum Auftakt begleitet von Bildern der sozialen Auseinandersetzungen im Land des Geschehens, die ein Licht auf die Brisanz werfen, in der sich Brasilien momentan befindet. Und begleitet von den Kommentatoren, die vieles erzählen, aber wie immer an den tatsächlichen Fragen vorbei schlittern, mit einer Sicherheit, die beeindruckt. Und begleitet von Meldungen, die sich beziehen auf den in Dekadenz zuckenden Weltverband FIFA, der geschüttelt wird von einer systemischen Triade, die am besten beschrieben wird mit den Begriffen Kollusion, Korruption und Nepotismus. In diesem Kontext wird nun auch der Name Franz Beckenbauer genannt. Da ist es nichtig, ob er ein aktiver Teil dieses Managementprinzips geworden ist oder ob einmal wieder ein Machtkampf tobt, der die Saubermänner zu marginalisieren sucht. Beides ist möglich. Beides ist scheußlich.

Und es geht einmal wieder um Schiedsrichter, die die Frage aktualisieren, ob Quoten die Lösung für eine gelungene Partizipation sind, wenn die Leistung nicht stimmt. Das zieht sich durch die wenigen Spiele, die bis heute ausgetragen wurden wie ein roter Faden. Aber das ist nun auch wieder nichts Neues. Das Eröffnungsspiel hat in hohem Maße dokumentiert, wie groß der Druck ist, der auf den brasilianischen Spielern lastet. Wenn die nicht gewinnen, dann können sie emigrieren. Marcello, dieser bullige, motivierte Spieler, zeigte nach dem unglücklichen Eigentor sein Gesicht. Es offenbarte das Existenzielle, den Wahnsinn, der das Land in einen Ausnahmezustand versetzt. Dass Brasilien dann gegen das motivierte und von Einzelkönnern durchsetzte Team aus Kroatien gewann, war dennoch, trotz eines dubiosen Elfmeters, folgerichtig. Popstar Neymar und der spritzige Oscar machten den Unterschied. Zu spielerischer Eleganz, der gewohnten Gala brasilianischer Teams, ließen die Kroaten sie nicht kommen. Sie mussten hart arbeiten, das war schweißtreibend wie in einer Silbermine.

Und dann kam der amtierende Welt- und Europameister, im Glanze lupenreiner Bilanzen und funkelnder Dekoration, und wurde von den Niederländern filetiert wie ein verfetteter alter König. Das System des Tiki-Taka, mit dem die nun bereits ein Jahrzehnt währende globale Dominanz erreicht wurde, ist durchschaut. Dass mit Louis van Gaal, dem Maniak aus den holländischen Flutwiesen dieses System tranchiert wurde, entbehrt nicht der Ironie, gehört er doch zu den ehemaligen Verfechtern eben dieser Idee. Da hat das Insiderwissen die Revolution gewaltig beflügelt. Auch in diesem Spiel waren wieder die Physiognomien das Bemerkenswerte. Iker Casillas, die Torwartikone aus Madrid, zeigte die ganze Trauer, die der Verlust der Macht verursacht. Und das brasilianische Publikum fraternisierte mit den Ikonoklasten aus dem Land der Tiefebene, wo die Begrifflichkeit des Raumes schon immer eine andere war. Das zeigte Robin van Persie mit seinem genialen Tor. Es war der Stich ins Herz der alten Kolonialmacht.

Auch Mexiko und Chile demonstrierten in beeindruckender Weise, dass sie nicht nur wegen der ehrenhaften Teilnahme angereist sind. Sie untermauerten genauso wie Brasilien und die Niederlande, dass im Kampf um die Herrschaft das Verwalten alleine nicht ausreicht. Mag der Apparat auch noch so ausgeklügelt und funktionssicher sein, er wird nicht reichen, um die Dominanz zu verteidigen. Um etwas zu reißen, erfordert es eine Idee, die das Neue beinhaltet. Es erfordert Können, aber wichtiger noch ist das Wollen und die Geschwindigkeit, mit der der Plan umgesetzt wird. Perfektion nützt nichts, wenn die Entschlossenheit fehlt. Vor uns liegen erkenntnisreiche Wochen.